28. Jahrgang | Nummer 13 | 28. Juli 2025

Goethes Ankunft in Weimar

von Manfred Orlick

Das Jahr 2025 hält für den deutschsprachigen Raum einige herausragende literarische Jahrestage parat – vom Thomas Mann-Doppeljubiläum (150. Geburtstag am 6. Juni und 70. Todestag am 12. August) bis zum 150. Geburtstag von Rainer Maria Rilke am 4. Dezember. Neben diesen Jahrestagen rückt ein weiteres besonderes Jubiläum in den Fokus: vor 250 Jahren, genau am 7. November 1775, kam der junge Johann Wolfgang Goethe nach dem thüringischen Weimar. Er war der Einladung des jungen Herzogs Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach gefolgt. Der anfängliche Besuch sollte später in die Literaturgeschichte eingehen.

Goethe wurde zu einer zentralen Figur am Weimarer Hof. Er bekleidete mehrere Ämter und prägte maßgeblich das kulturelle Leben der Stadt. Mit Johann Friedrich Herder, Christoph Martin Wieland und Friedrich Schiller bildete er das sogenannte „Vierergestirn“, das Weimar zu einem Zentrum der deutschen Klassik machte. In Weimar entstand auch Goethes Hauptwerk Faust. An der zweiteiligen Tragödie arbeitete er fast sechzig Jahre. Als er nach Weimar kam, brachte er bereits erste Entwürfe für Faust I mit, während der Faust II erst kurz vor seinem Tode im Jahre 1832 vollendet wurde.

Die Stadt Weimar feiert Goethes Ankunft vor 250 Jahren mit einem vielfältigen Programm an Veranstaltungen, Theateraufführungen, Ausstellungen und Lesungen. Im Mittelpunkt steht dabei das „Themenjahr Faust“, das von der Klassik Stiftung Weimar ausgerufen wurde. In Zusammenarbeit mit zahlreichen Kulturpartnern widmet man sich dem Meisterwerk, das aus verschiedenen Perspektiven facettenreich betrachtet und lebendig gemacht wird. Die Stadt wird quasi zur Faust-Werkstatt. Start war die Walpurgisnacht am 30. April mit einem musikalischen Fabelwesen-Umzug durch die Stadt und der Eröffnung des Ausstellungsparcours.

Im Mittelpunkt steht dabei „Faust. Eine Ausstellung“ im Schiller-Museum. Mit Comics, Animationsfilmen, Videos und interaktiven Spielen wendet sich diese Exposition vor allem an ein junges Publikum. Damit will man Faust in die Gegenwart holen und die oft als „schwierig“ empfundene Schullektüre von ihren (gelben) Buchdeckeln befreien. Im Goethe- und Schiller-Archiv dagegen herrscht mit „Experiment Faust“ eine eher klassische Ausstellungsatmosphäre. Mit selten gezeigten Manuskripten Goethes werden die Werkentstehung und die Arbeitsweise des Dichters gezeigt.

In der Herzogin Anna Amalia Bibliothek wartet der stets wandelbare Mephistopheles auf die Besucher. Die Ausstellung „Teuflisch! Mephisto in der Bibliothek“ widmet sich dem Mit- und Gegenspieler Fausts und gewährt einen Blick in die weltweit größte Faust-Sammlung, die über 21.000 Objekte und Publikationen beherbergt, von frühen Buchillustrationen über Schauspielerfotografien und Comics bis hin zu Werbeplakaten.

Das Nietzsche-Archiv thematisiert in seiner Präsentation die lebenslange Auseinandersetzung des Philosophen mit Goethes Schriften und verweist auf Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede in Biographie und Rezeption.

In der ACC-Galerie gestalteten vier Künstler, inspiriert von ausgewählten Textpassagen aus Faust, eine Neubetrachtung von Mephisto.

Selbst das Bauhaus-Museum beteiligt sich am Themenjahr mit der Präsentation des Bühnenbildes zu dem Theaterstück Don Juan und Faust von Christian Dietrich Grabbe, das Oskar Schlemmer 1925 eigens für das Deutsche Nationaltheater Weimar gestaltet hatte.

Das Goethe-Jahr 2025 wird jedoch nicht nur in Weimar zelebriert: Auch Erfurt, Bad Berka, Ilmenau und zahlreiche weitere Orte in Thüringen bereichern das Programm mit eigenen Veranstaltungen.

In ihrem seit 2021 jährlich erscheinenden Magazin klassisch modern widmet sich die Klassik Stiftung Weimar ebenfalls ausgewählten Themen des Goethe-Jubiläums. Nach einem Grußwort von Ulrike Lorenz, Präsidentin der Stiftung, stellt Thomas Schmuck, seit 2019 Kustos der Naturwissenschaftlichen Sammlungen Goethes, einige Objekte daraus vor und zeigt, wie Wissenschaft und Poesie bei Goethe verschmelzen. Die Kuratorin Petra Lutz befasst sich mit Faust II, den Goethe in einem Pappelholzschrank deponierte, anstatt ihn zum Drucker zu schicken. Der 82-jährige Dichter setzte scheinbar weniger auf die zeitgenössischen Leser, sondern auf die zukünftigen. Die Lyrikerin Nora Gomringer betrachtet mit Bewunderung das Faust-Manuskript, das im Goethe- und Schiller-Archiv aufbewahrt wird. Die Boxen mit den Manuskriptseiten sind für potenzielle Feuerwehreinsätze extra gekennzeichnet. Gomringer hofft jedoch, dass der Goethe-Nachlass von Feuer, Wasser und der Politik verschont bleibt.

Die Meeresbiologin Antje Boetius und der isländische Schriftsteller Halldór Guðmundsson bringen frischen Wind in den Gelehrtenstreit zwischen Neptunisten und Plutonisten, der zwischen 1790 und 1830 eine wichtige Rolle spielte. Goethe hatte an dieser Diskussion mit einigen Schriften selbst teilgenommen. Der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering geht unter dem Titel Das falsche Paradies dem ökologisch- und sozialgeschichtlichen Prozess in Faust II nach. Fausts Vorhaben der Landgewinnung scheitert am Ende: das verdrängte Meer kehrt zurück. In einem weiteren Beitrag unternimmt Detering einen Exkurs in die sinnverwirrenden Fantasien der Walpurgisnacht.

Dietmar Dath setzt sich mit Forschung und Lehre in der Dichtung von Goethe auseinander. Noch im hohen Alter ließ der Dichterfürst sich von neuesten Forschungsergebnissen unterrichten, die er dann umgehend in die Homunkulus-Abschnitte des zweiten Faust-Teils einarbeitete. Der Warschauer Künstler Michał Matejko antwortet mit einem Bild-Essay auf Daths Text. Die FAZ-Redakteurin Petra Ahne vergleicht die Hütte der „beiden Alten“ Philemon und Baucis mit den Baumhäusern der heutigen Klimaaktivisten. Aus dem stillen Beharren des Ehepaars ist Widerstand gegen Fausts Landgewinnungsprojekt geworden. Die Hütte als Protestarchitektur, damals und heute.

Außerdem wurden die Autorinnen Heike Geißler, Lena Gorelik, Dana Grigorcea und Anne Haug gebeten, über vier rätselhafte Figuren (Mangel, Schuld, Sorge und Not) zu reflektieren, die nur am Ende von Faust II, im 5. Akt, kurz die Bühne betreten. Abschließend werden die vielfältigen Zugänge zu Faust in der Klassik Stiftung Weimar aufgelistet. QR-Codes verweisen auf digitale Inhalte, die im Laufe des Jahres erweitert werden.

 

Klassik Stiftung Weimar (Hrsg.): klassisch modern – Das Magazin der Klassik Stiftung Weimar, Ausgabe 5, Weimar 2025, 56 Seiten, kostenfrei und erhältlich über die Homepage der Stiftung.