28. Jahrgang | Nummer 3 | 10. Februar 2025

Theaterberlin

von Reinhard Wengierek

Diesmal: „Change“ – Schaubühne / „Conni & Clyde“ – Volksbühne / „Warten auf’n Bus“ – Vagantenbühne

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Schaubühne: Daseinsmüdigkeit

Ein Paar, mitten im Leben eher wankend statt stehend, still an Midlifecrisis leidend. Die Ehe nach zwei Jahrzehnten längst fad, noch aber beherrscht freundschaftlich. Nina (Anna Schudt), Politikerin und Kämpferin für die Rettung eines Frauenhauses, hat mehrere Fehlgeburten hinter sich; Mark (Jörg Hartmann), studierter Wirtschaftsanwalt, ein Burnout mit zu viel Alkohol sowie den nüchternen Umstieg als Grundschullehrer. Zwei wache Zeitgenossen mit sehr viel angestrengt gutem Willen, jeweils das ihre zu tun vor Ort, um wenigstens ein bisschen beizutragen für Veränderung. Für „change“ hin zum Besseren.

So starten die beiden in den Tag, wir folgen ihnen: Büro, Lehrerzimmer, Zoologischer Garten, Friseur, Frauenhaus, Fernsehstudio, Treff der anonymen Alkoholiker … Und überall moralische Zwickmühlen, nervenzerrende Entscheidungen, Kompromisse zwischen gut und faul, umrankt von Versagensängsten, Unerfülltsein, Seelenqual.

Maja Zade liefert in ihrem neuen Stück „change“ ein Kompendium kleiner, auch kleinlicher, großer, auch größter ungelöster Konfliktlagen beruflich wie privat, die das durchaus konfliktbewusste Paar beschwert bis an den Rand zur Unerträglichkeit.

Bürgerlicher Alltag zwischen Frühstück und Abendbrot, von der Autorin präzis skizziert und aufgeblättert in einem Leporello vieler kurzer, komischer, sarkastischer, bitterer oder trauriger Szenen an unterschiedlichsten Orten mit einer Fülle gegensätzlicher Figuren, die alle – der Clou der Inszenierung von Thomas Ostermeier – gespielt werden von Anna Schudt und Jörg Hartmann.

Auf der weiten, bis auf Kühlschrank, Sofa, Tisch und Kleiderständer leeren Bühne (Magda Will) breitet das hochberühmte Dortmunder Ex-Tatort-Paar Schudt-Hartmann perfekt arrangiert virtuose Verwandlungs- und Einfühlungskunst aus, die freilich zuweilen das unfreiwillig Parodistische streift im rasenden Wechsel von Kostüm und Perücke.

Das Füllhorn der Szenen und Figuren (insgesamt 23) mag spektakulär sein, doch reicht das kaum aus für tiefergehende Charakterzeichnungen. So bleiben Schattenrisse. Oder Stichworte für weiterführende Assoziationen. Die Autorin, deren Stücke ansonsten bekannt sind für dramatische Steigerungen und scharfe Wendungen ins Tragische, rollt jetzt zwei Stunden lang ätzend gleichmütig einen Flickenteppich der Vergeblichkeit, der Depression und Daseins-Melancholie aus. Bonjour Tristesse Berlin. Und keine guten Aussichten. Dafür die Demonstration brillanter Schauspielerei.

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Volksbühne: Herzchen-Idyll mit Atombombe im Schuhkarton

Mit gieriger Lust und höhnischem Lachen ziehen sie durch Amerika; schnappen sich, was sie wollen, ballern beiseite, was im Weg steht: Bonnie und Clyde, zwei einsame Wölfe gegen den Rest der bösen Welt.

Das verführerische Verbrecherpaar von anno 1930, eiskalt bis in die Fingerspitzen, aber sexy, fiel im Kugelhagel und stand wieder auf im Himmel kulturgeschichtlicher Mythen (Kino, Musical, Popmusik).

Um hohe Erwartungen zu dämpfen: Mit all dem hat die dick mit Zeitgeistrosa verkleisterte Blödelshow „Conni & Clyde“ so gut wie nichts zu tun, die der Drag-Artist Meo Wulf löchrig erdacht und ebenso inszeniert hat.

Zusammen mit der gedienten Volksbühnenschauspielerin Christine Groß wird das nonbinäre Künstlerpaar C&C gemimt. Das haust und hopst pittoresk kostümiert in einer von Myan Tuulia Frank plüschig ausgepolsterten Wohnhöhle zwischen Klavier, Schlafsessel, Hausbar, Blumenkübel. Vermufftes Herzchen-Küsschen-Idyll mit Drinks und musikalischem Tralala. Ungelüftet (es stinkt, man hat Verdauungsprobleme) und weltabgeschieden. Bis Clyde – Überraschung! – mit dem Handy politische Bruchstückchen von Draußen wahrnimmt und im Grünzeugkasten absurderweise ein Maulwurf auftaucht.

Das possierliche Tierchen stürzt Conni, zartbesaitet, in Eifersucht, Clyde verzieht sich. Und macht Platz für Connis groß und breit angelegte Drag-Performance. Man zeigt endlich hingebungsvoll im glitzernden Rausch was man hat am Leib und artistisch nebst Gesang alles draufhat. Das entkrampft, löst auch die Verstopfung und gibt Anlass für einen extra tollen Tanz auf schier meterhohen High-Heels mit der Kloschüssel, aus der es natürlich braun herausschwappt. Kreisch! Der Saal kocht.

Nun naht nach gut 90 Minuten das Happy-End: Clyde schmachtet das Liedchen „Ich lieb dich obwohl du Scheiße bist“; das versöhnt. Wie der Griff zu den kunterbunten Spielzeugwaffen verbindet. Denn man müsse ja was tun gegen die schlimme Welt vor der Tür ganz ohne rosarot. Schließlich steht im Programmheft allerhand über Gut und Böse und Krieg und Widerstand und sogar einiges von Hannah Arendt. Also Politiker abknallen und eine Atombombe schmeißen (da steckt schon eine im Schuhkarton unterm Schminktisch). „Aber Terrorismus ist ja auch keine Lösung. O mein Gooott!“ – Soweit die Satire. Soweit der Trash als subversive Gesellschaftskritik.

Ansonsten toupieren wir weiter tuntige Turmfrisuren, kokettieren mit nacktem Hintern, kreiseln im Spaß-Delirium. – Jubel im Publikum. Und Standing ovationes für Meo Wulfs „Erforschung“, so die Verlautbarung der Volksbühne zu diesem Abend, inwieweit „im Theater Drag als künstlerische Praxis eine essenzielle Rolle spielt und neue Räume der Queerness sich eröffnen“.

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Vaganten: Wartezimmer Haltestelle

In der Polytechnischen Oberschule „Juri Gagarin“ saßen sie zusammen in einer Klasse: Ralle und Hannes (Paul Walther, Andreas Klopp), die damals „schärfsten Kerle in der Darkness-Ecke aufm Schulhof“. Viele Jahre später sitzen sie an der Bushaltestelle von Briesenow, tief im Brandenburgischen; der eine einst Tagebauingenieur, der andere Agrarwissenschaftler, beide geschieden, abgewickelt, langzeitarbeitslos.

Der Haltepunkt Briesenow ist, bei passablem Wetter, ihr Wohnzimmer – besser kostengünstig an der frischen Luft als im Kneipendunst. Und so ziehen sie, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, auf der Holzbank im ÖPNV-Häuschen los über Gott und die Welt. Reden an gegen Einsamkeit, Leere, Langeweile, gegen ihr Schicksal und die „neuen“ Umstände. Sie zanken und sie trösten sich, kloppen sich mit einem fiesen Dorf-Sheriff und mit streunenden Neonazis, die Jagd machen auf Ausländer und Linksidioten. Außerdem warten sie auf den Bus.

„Warten auf’n Bus“ ist denn auch der Titel dieser tragisch getönten Komödie von Oliver Bukowski, eine zusammen mit Sophie Decker kräftig saftig fürs Theater gefasste Adaption der so erfolgreichen gleichnamigen RBB-TV-Serie.

Der Verweis auf Wartestand klingt nicht ganz zufällig wie „Warten auf Godot“, aber nur ein bisschen. Denn eigentlich warten die leicht derangierten Frustbeulen auf ihre Göttin: Eine erfrischend taffe Busfahrerin (Melissa Anna Schmidt), gerade entliebt und also alleinstehend, was die beiden Zausel in Konkurrenz zum Anbaggern treibt – mehr oder weniger geschickt. Sehr komisch. Sehr rührend.

Die schicke Kathrin stoppt nämlich gelegentlich ihren oft menschenleeren Überlandbus für ein Päuschen. Und für den Austausch von Gedanken sowie Lebensweisheiten. Zu mehr kommt es am Ende zwar nicht, schade. Doch freundschaftliche Bande wenigstens sind geknüpft.

Christine Hofer hat das Kammerspiel mit den nicht eben zimperlichen Dialogen zupackend inszeniert. Ohne Scheu vor Krach und Turbulenz; die schönen zarten Momente sind eher rar. Dafür wird flott gesungen und Musike gemacht vom vorbeistiefelnden Britzke mit der Klampfe unterm Arm (Karsten Zinser, der auch die tolle Nummer mit dem Ortspolizisten abzieht). Britzke ist Westler („Oooch, Kreuzberg!!). Da guckten die permanent um Selbstbehauptung ringenden Ossis erst mal beese. Doch das gibt sich. Zum Happyend wagen zur Begeisterung des Publikums Ralle und Hannes ein scheues Tänzchen. Und alle Vier liegen sich – freilich nur kurz und die Träne weggesteckt – in den Armen.