Wieder erinnern wir uns an Künstler und andere große wie kleine Prominente, die eine Zeitlang besonders in der DDR das Leben kurzweiliger machten, und deren Tod oft nur beiläufig gemeldet wurde – wenn überhaupt! Einige sind schon im Laufe des Jahres im Blättchen gewürdigt worden, etwa der begnadete Karikaturist und Autor Harald Kretzschmar, der letzte Weltbühne-Chefredakteur Helmut Reinhardt, der Schauspieler und Theaterleiter Peter Sodann sowie Rechtsanwalt und zeitweiliger TV-Ratgeber Friedrich Wolff.
An den hinter uns liegenden Feiertagen waren die Fernsehprogramme mit Märchenfilmen vollgestopft, nicht wenige dabei von der DEFA. Das eine oder andere Märchen bringt Kinder und Enkel zum Staunen, für die Älteren werden Erinnerungen geweckt. Ein paar Mal lief auch „Das singende, klingende Bäumchen“ (1957), dessen Protagonisten uns im vergangenen Jahr verlassen haben. Die schöne, etwas zu pubertäre Prinzessin spielte Christel Bodenstein, die im Dezember mit 86 Jahren von uns ging. Sie war Tänzerin in Halle und erzählte oft schmunzelnd, dass sie von DEFA-Regisseur Kurt Maetzig im Sommer an einem FKK-Strand für seinen Film „Schlösser und Katen“ entdeckt wurde. Das Engagement kam nicht zustande, aber DEFA-Kollege Slatan Dudow gab ihr 1956 in „Der Hauptmann von Köln“ die weibliche Hauptrolle neben Rolf Ludwig. Bevor sie ihrer Laufbahn 1973 mit dem Engagement in der Kleinkunst (unter anderem am Friedrichstadtpalast) eine neue Richtung gab, spielte sie zahlreiche Filmrollen vieler Genres, zeigte, dass sie spielen, singen und tanzen konnte. Mehrfach war sie an Manfred Krugs Seite zu sehen, so in der Roman-Adaption „Beschreibung eines Sommers“ (1962) – ihr Lieblingsfilm, bevor ihr ihr Mann Konrad Wolf 1966 die Titelrolle in „Der kleine Prinz“ übertrug. Sie überzeugte als androgyner, lebenskluger Junge und stand der mitwirkenden Elite der DDR-Schauspieler in nichts nach. Später verheiratet mit dem Kabarettisten Hasso von Lenski trat sie im Alter als Zeitzeugin vor die Kamera und beteiligte sich an Projekten ihres Sohnes Mirko Wolf, der auf dem Gebiet des Trickfilms tätig ist. Letztmalig spielte sie 2016 eine Filmrolle im Remake des „Singenden, klingenden Bäumchens“ – als weise Kräuterfrau.
Der Originalfilm hatte nicht nur Befürworter: „So ein ‚Märchenprinz’ ist ja geradezu der Prototyp spießbürgerlicher Erziehungsideale, der dann in vielfach abgewandelter Gestalt in Uniform oder Zivil den Backfischen in der kapitalistischen Unterhaltungsindustrie erneut auf der Leinwand vorgezaubert wird“, schrieb die DDR-Zeitschrift Deutsche Filmkunst 1958. Das bezog sich auf Eckart Dux, der sich im April mit 97 Jahren von uns verabschiedete. Er war seinerzeit sowieso Westberliner und im bundesdeutschen Film noch lange auf Schwiegersöhne festgelegt, sogar bis zu „Adelheid und ihre Mörder“, wo er mit Ende 70 Gisela Mays Verehrer war. Sein großes Pfund war seine geschmeidige Stimme, und, seit 1948 tätig, war er nach 75 Jahren der dienstälteste deutsche Synchronsprecher. Begonnen hat er seine Filmlaufbahn 1950 in dem DEFA-Opernfilm „Die lustigen Weiber von Windsor“ als ungeliebter Schwiegersohn von Camilla Spira neben Sonja Ziemann. Schwiegersohn von Curt Goetz war er im Folgejahr in der in Göttingen gedrehten Komödie „Das Haus in Montevideo“. Goetz blieb ihm bis zuletzt ein verehrter Lehrmeister, und noch mit über 90 Jahren las Dux dessen Texte im Berliner Schlosspark Theater.
Als der „Windsor“-Film gedreht wurde, war auch Walter Beck schon bei der DEFA. Auf Empfehlung des früh verstorbenen sowjetischen Regisseurs Ilja Trauberg kam Beck 1948 ins DEFA-Nachwuchsstudio, assistierte in den folgenden Jahren Regisseuren wie Iwan Pyrjew, Joris Ivens, Slatan Dudow und Martin Hellberg, von dem er am meisten lernte. Beck ist mit seinen phantasievoll gestalteten Märchenfilmen um König Drosselbart, Dornröschen, den Bärenhäuter und den Froschkönig besonders zu den Feiertagen der wohl meistgespielte DEFA-Regisseur in den TV-Programmen. Nach Ende der DEFA machte er sich unter dem Pseudonym Ulrike Odenwald als Publizist verdient um die filmhistorische Aufarbeitung des DEFA-Kinder- und Jugendfilms. Im 95. Lebensjahr ist er im Sommer gestorben.
Bis in die letzte Zeit hatte Beck immer wieder mal mit der Kritikerkollegin Margit Voss am Telefon gefachsimpelt. Die Journalistin, die über mehr als drei Jahrzehnte für den Film in der wöchentlichen Sendereihe „Atelier und Bühne“ im Berliner Rundfunk zuständig war, wurde von ihrem verstorbenen Theater-Kollegen Dieter Kranz so charakterisiert: „Die Sache ist ihr stets wichtiger als die eigene Person. Es kommt ihr nicht darauf an, sich durch besondere Formulierungen zu profilieren. Sie fühlt sich auch keineswegs als die über den Wolken thronende Kunstrichterin, sondern viel mehr als die Verbündete von Künstlern, die ihre Welt kritisch reflektieren.“
Im Radio, aber auch in vielen Aufsätzen für Zeitschriften und Bücher setzte sie sich besonders für das weibliche Element im Film ein, auch, wenn es um Kinderfilme ging, wie hier um Haselnüsse: „Dieses Aschenbrödel reitet mit Lust, schießt vorzüglich, hat Freunde unter den Tieren und ist – das spürt der Zuschauer sofort – durchaus nicht so auf die Zauberkraft der Nüsse angewiesen wie das Grimmsche Vorbild. […] Und somit ist es auch möglich, dieses Märchen als eine poetische Liebesgeschichte zu erzählen – als eine Liebesgeschichte für Kinder und Erwachsene, deren Übertragbarkeit auf die Gegenwart und Anlehnung an heutige Verhaltensweisen ganz offensichtlich sind.“
Margit Voss, die von großen und kleinen Festivals berichtete, bei einigen auch Filmgespräche leitete oder in der Jury mitarbeitete, führte Interviews mit Großen (nicht nur) des deutschen Films wie Heinz Rühmann oder Wolfgang Staudte. Über ihre Begegnungen mit Slatan Dudow berichtete sie in einem kurzen Aufsatz für ein Buch. Im Frühjahr nahm sie noch an der Präsentation in der Akademie der Künste teil. Im November starb sie mit 93 Jahren.
In Götz Friedrichs DEFA-Märchen „Rotkäppchen“ (1962) ist bis heute Jochen Bley immer wieder als Häschen zu sehen. Der damals zehnjährige Babelsberger spielte noch in drei anderen Filmen markante Kinderrollen, studierte und wurde Doktor der Jurisprudenz, der über Verwaltungsrecht ein Standardwerk verfasste. Mit 71 Jahren starb er im März.
Von überbordender Phantasie waren auch die Kinder- und Jugendfilme, die im DEFA-Trickfilmstudio entstanden. Einer der großen Meister war Günter Rätz, der am Maifeiertag kurz vor seinem 89. Geburtstag starb. Der Berliner arbeitete als Maurer, bevor er in einem Zirkel zum leidenschaftlichen Puppenspieler wurde. Schon mit zwanzig animierte er am Trickfilmstudio Dresden Puppenfilme. Damit begann eine erfolgreiche Karriere, in der er nach einem externen Studium in Babelsberg dutzende Filme verantwortete, die buchstäblich in der ganzen Welt mindestens ebenso oft ausgezeichnet wurden. Neben kurzen Filmen nach Ludwig Renns „Nobi“ (1963) oder Fred Rodrians „Hirsch Heinrich“ (1965) waren besonders seine abendfüllenden Filme „Die fliegende Windmühle“ (1981) und „Die Spur führt zum Silbersee“ (1990) spektakulär. Bis ins neue Jahrtausend hat Günter Rätz, der auch dem Drahtfigurenfilm wichtige Impulse gab, als Autor für Trickfilme gearbeitet.
Unter den fast 100 Film- und TV-Rollen, in denen wir Ulrich Voß sehen konnten, war auch manch Kinderfilm, wie 1970 Walter Becks historisch stimmiger „Der rote Reiter“, der von Auseinandersetzungen mit der Reichswehr bis zu Budjonnys Reiterarmee erzählte. Damals gehörte Voß noch zum Volkstheater seiner Heimatstadt Rostock. Der studierte Philologe und Romanist brillierte dort in bemerkenswerten Inszenierungen, beispielsweise als Falstaff oder – neben Else Wolz – als Priester in der DDR-Erstaufführung von Rolf Hochhuths „Die Hebamme“. Das war 1974 auch überregional im Fernsehfunk zu erleben. Damals ging Voß nach Berlin, wo er an allen großen Bühnen im Osten gastierte, Filme synchronisierte und in Fernsehserien an der Seite von Lieblingen wie Gisela May oder Ingeborg Krabbe auftrat. Später verkörperte er zweimal Helmut Kohl und spielte 2011/12 einen ebenso skurrilen wie gutherzigen Bestatter in der Krimi-Serie „Nordisch herb“. Der Künstler, der auch als Autor hervortrat, verließ uns im Januar mit 85 Jahren.
In dem Märchenfilm „Gevatter Tod“ (1980) wurde das Thema Sterben nach einem Grimm-Märchen kindgemäß umgesetzt. In einer Nebenrolle wirkte Jörg Panknin mit, unter dessen weit über 100 Film- und Fernsehauftritten zwischen 1968 und 2016 so mancher Kinderfilm war. Die meisten davon handelten in der Gegenwart, etwa „Moritz in der Litfaßsäule“ (1983) mit ihm als Lehrer. Menschen, wie wir sie aus dem Alltag kannten, konnte Panknin glaubwürdig gestalten – so in der Hauptrolle der DFF-Serie „Barfuß ins Bett“ (1988-90) als Oberarzt neben Renate Blume. Er starb im Dezember kurz nach seinem 80. Geburtstag.
In dem Fernsehfilm „Lasset die Kindlein“ (1976) nach einer Erzählung von Wolfgang Kohlhaase spielte Panknin die Hauptrolle, einen Zimmermann. Die Musik komponierte Peter Rabenalt, der ein Multitalent war. Er begann als einer der ersten Studenten der Filmproduktion in Babelsberg. Nebenher spielte er Kabarett und gründete eine Jazz-Band, mit der er Kurt Barthels ersten Spielfilm „Fräulein Schmetterling“ begleitete, der 1965 gedreht und erst 40 Jahre später uraufgeführt wurde. Längst als Wissenschaftler an der HFF tätig, nahm Rabenalt ein Zusatzstudium der Komposition auf und schuf die Musik zu rund 60 Filmen, darunter viele bemerkenswerte Werke von Rainer Simon und Ulrich Weiß. Auch als Filmtheoretiker und Hochschulprofessor war er hoch angesehen. Im August verabschiedete er sich mit 87 Jahren für immer.
Einer der letzten Filme von Rainer Simon entstand in den 1990er Jahren, erzählte vom Aufbruch eines Jugendlichen aus einer sächsischen Kleinstadt und hieß „Fernes Land Pa-Isch“. Die Vorlage schrieb Günter Saalmann, der – wie Rabenalt ebenfalls – ein Jazzer war (Posaune) und seit 1978 vor allem mit seinen Kinder- und Jugendbüchern auch internationalen Erfolg hatte. Der Chemnitzer starb im November mit 88 Jahren.
Sie wurde in einem an orientalische Märchenfilme erinnernden Streifen, dem von DDR-Autor Willi Meinck geschriebenen „Hatifa“, ein Liebling der Kinder am Beginn der sechziger Jahre und darüber hinaus. Die aus einer Schauspielerfamilie stammende Gisela Büttner war die Sklavin Hatifa. Neben Theaterarbeit in Berlin spielte sie in vier weiteren Spielfilmen und trat in anderthalb Dutzend Fernsehproduktionen der sechziger und siebziger Jahre vor die Kamera. Besonders wichtig wurde ihr die Arbeit mit der Stimme. Als Sprecherin und Dialogregisseurin beim Synchron und in der Hörspielarbeit war sie erfolgreich, bis sie sich vor 30 Jahren aus dem Beruf zurückzog. Mit 82 Jahren starb sie Anfang Mai in Berlin.
Als Christel Bodenstein 1962 im Musikfilm „Revue um Mitternacht“ spielte und sang, war auch Meistertänzer Claus Schulz in einer seiner wenigen Filmrollen dabei. In den fünfziger und sechziger Jahren entwickelte sich Schulz, der seine Laufbahn 1949 als Balletteleve in Schwerin begann, zum erfolgreichsten Solotänzer der DDR. Er interpretierte so unterschiedliche Parts wie Strawinskys „Petruschka“ und „Feuervogel“, Debussys „Nachmittag eines Fauns“, den Prinzen in Tschaikowskis „Dornröschen“ und den Sancho Pansa in „Don Quixote“ von Leo Spies. Schulz choreographierte, inszenierte, und er moderierte im Fernsehfunk die Rätselsendung „Nussknacker“. Mit Ende 30 verließ er die DDR und ist danach als Tänzer nicht mehr in Erscheinung getreten. Im Mai starb er in Berlin einen Monat vor seinem 90. Geburtstag.
Schlagwörter: F.-B. Habel, Nekrologe