Das Weltgewissen ist ein kollabierter
Cappuccino auf dem Bistrotisch. Die
aufgeschäumte Milch der frommen
Denkungsart hält nicht, was sie
versprach. Simone de Beauvoir
starrt auf ihr Smartphone. Jean-Paul
Sartre hat keine Follower mehr. Die
Menschheit büßt das Sorgerecht für
ihren Planeten ein. Auf der Straße
genießen Zechpreller den Herbst in
melancholischen Selbstgesprächen. Ich
schlachte mein Jahrhundert noch immer
aus, halte murmelnd den Schrott in
schmutzigen Händen: Das ist doch noch
gut. Das kann ich noch gebrauchen. Li-
teraturpreisträger und Bestsellerautoren
defilieren vorüber. Nicht Titel noch Namen
merke ich mir. Das postkulturelle Gebläse
konkurriert mit dem Geräusch anfahrender
Untergrundbahnen. Es stört den Schläfer
neben der Rolltreppe nicht. Alle Ausreise-
Anträge hat Gott archiviert, verstrichen die
letzte Bearbeitungsfrist. Wohin auch soll
ich mich wenden? In Trümmern
liegen die zerbrechlichen Schädel
der Kinder, von denen ich träumte. In
den Kantinen der Waffenfabriken werden
goldene Espressomaschinen aufgestellt.
Echter Arabico mit dem feinen Aroma von
Blut als Nahrungsergänzungsmittel der
westlichen Wertegemeinschaft. Antoine
de Saint-Exupéry schiebt den Putzwagen
durch die Gänge im Reichstag, klatscht den
Scheuerhader auf die Fliesen. Im Abwasser
macht sich Kokain aus dem Staub. Das
lässt sich messen, wie alles, außer
der Mordsgeduld, Schwester der
Weisheit und der Dummheit. Ingeborg
Bachmann rauchte zu viel. Brigitte
Reimann liebte zu viel und Simone
de Beauvoir kommt zurück, hat ihren
Autoschlüssel vergessen. Am Himmel
über Berlin dreht eine Cessna ihre letzte
Runde nach dem Strömungsabriss, schwebt
lautlos ein arbeitsloser
Engel davon.
Oktober 2024
Schlagwörter: Henry-Martin Klemt