Inzwischen pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass ohne Resilienz gar nichts mehr geht, wenn die in Deutschland lebenden Menschen die derzeitigen und künftigen Krisensituationen und gesellschaftlichen Verwerfungen erfolgreich bewältigen sollen. Also genau der richtige Zeitpunkt, hinter die Kulissen dieses aktuellen Gemeinplatzes zu schauen.
Es scheint sinnvoll, sich dem Phänomen von unterschiedlichen Seiten her zu nähern: Auf der einen Seite beschäftigen sich damit Donya Gilan, Isabella Helmreich und Omar Ahad, Wissenschaftler des privaten Leibniz Instituts für Resilienzforschung in Mainz, in ihrem bei Herder erschienen Buch „Resilienz. Die Kunst der Widerstandskraft. Was die Wissenschaft dazu sagt.“ Auf der anderen Seite die Soziologin Stefanie Graefe, Privatdozentin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, in ihrem schon 2019 erschienen Buch „Resilienz im Krisenkapitalismus. Wider das Lob der Anpassungsfähigkeit“, erschienen im Transcript-Verlag.
Schon die Buchtitel verweisen auf die Spannweite dessen, was als Resilienz verstanden werden kann: Bei den Mainzern geht es um den Erwerb innerer Stärke, um „angesichts des ungewissen Ausgangs einer Krise weiter zu machen und zu hoffen, dass sich der Ausgang zum Positiven wenden lässt“, also eher darum, die Lage hinzunehmen, gegebenenfalls auch ein bisschen darunter zu leiden, aber letztlich einem passiven Prinzip Hoffnung zu huldigen, gemäß der alten Kölschen Volksweisheit „Et hätt noch immer jot jejange“. Die Soziologin Graefe dagegen richtet den Blick auf die Produktionsverhältnisse, die unser Leben bestimmen und mit denen umzugehen, sie vielleicht sogar einmal zu überwinden, allein Anpassung, wie die herrschende Interpretation von Resilienz sie fordert, wohl nicht genügt. Frei nach dem Motto: Resilienz gibt es, aber wenn sie nur das Fügen ins Gegebene zur Folge hat, greift ihr Wirken zu kurz. Sie sollte unser Verhalten in Bezug auf die Verhältnisse, in denen wir leben, zumindest nicht lähmen, sondern es auf Veränderung und Verbesserung hin befördern.
Resilienz leitet sich ab vom lateinischen resilire (zurückspringen, abprallen). Ursprünglich wurde der Begriff in der Physik im Hinblick auf Materialeigenschaften verwendet. Er bezeichnet den Umstand, dass ein Stoff nach Einwirkung von außen schnell wieder in den alten Zustand zurückkehrt, etwa ein Schwamm. Auch in der Ökosystemtheorie spielt der Begriff Resilienz eine große Rolle. Inzwischen wurde er auch für zahlreiche andere Fachbereiche adaptiert, so fürs Ingenieurwesen, die Elektrizitätswirtschaft, die EDV und, wer hätte etwas Anderes erwartet, für die Rekrutierung, Steuerung und Förderung „personeller Ressourcen“.
Diese „psychologische Resilienz“ wurde in den 1970er Jahren bekannt, und zwar aufgrund von Beobachtungen der US-amerikanischen Entwicklungspsychologin Emmy Werner. Sie hatte auf Hawaii jahrzehntelang Kinder in ihrer Entwicklung beobachtet und dabei folgendes festgestellt: Manche von ihnen wuchsen unter schwierigen sozialen Bedingungen auf und hatten deshalb eine ungünstige Prognose. Dennoch entwickelten sie sich positiv und zeigten dabei eine gewisse Robustheit. Diese Kinder nannte sie „resilient“. In der Folgezeit wurde demgemäß die Frage der Resilienz vor allem in der Kinder- und Jugendarbeit bedeutsam, bevor sie in den vergangenen 20 Jahren für immer mehr Bereiche des Humanen und Sozialen adaptiert wurde.
In Krisensituationen, wie wir sie derzeit erleben, scheint das Konzept der Resilienz besondere Attraktivität zu gewinnen, weil es im Grunde verspricht, dass Menschen, trotz schlechter Rahmenbedingungen psychisch stabil bleiben, harte Zeiten gut durchstehen, nicht unglücklich oder auf Dauer depressiv werden. So gesehen, wäre Resilienz ein ideales Konzept zur Bewältigung der gegenwärtigen Krise und sollte auch nach Meinung und Zielsetzung unserer derzeit Regierenden auf allen möglichen Ebenen gefördert werden. „Trainiere Resilienz und du bist gewappnet!“ wäre demnach die systemische Maxime für krisenhafte Zeiten.
Genau an dieser Auffassung von Resilienz als trainierbarer psycho-sozialer Fähigkeit übt Stefanie Graefe scharfe Kritik. Sie bemängelt, dass eine Banalität wie der Wunsch, dass Menschen eine Krise gut durchstehen möchten, zu einem Handlungsideal stilisiert werde. Während man früher annahm, Resilienz sei angeboren oder werde früh in der Kindheit erworben, gehe man heute davon aus, dass sie von jedem trainiert werden könne. Damit werde sie zu einer systemischen Haltungs- und Handlungsanforderung, der sich niemand mehr entziehen könne. Vor allem dann nicht, wenn die Welt weithin als krisenhaft wahrgenommen werde.
Dass Resilienz eine wichtige menschliche Ressource sein kann, sei nicht bestritten, dass sie aber gerade im Hinblick auf angeblich erwerbbare Kompetenz auch gegen Menschen und für das jeweilige System missbraucht werden kann, liegt auf der Hand. Die Gretchenfrage lautet: Dient die Pflege von Resilienz der je eigenen Persönlichkeit im Sinne einer emanzipativen Stärkung derselben oder soll sie vornehmlich dazu beitragen, die Menschen zu ertüchtigen, mithin anpassungsbereit, gefügig und funktionabel zu machen?
Was sich Regierungen und Wirtschaftssysteme besonders in Krisenzeiten wünschen, kann sich jeder an den fünf Fingern einer Hand abzählen. Was der Mensch als autonomes und solidarisches Wesen benötigt, allerdings auch. Es lohnt mithin, beim derzeitigen „Resilienzgeraune“ genau hinzuschauen.
Sollte in Zukunft also statt des wohltuenden und von Empathie geleiteten Wunsches „Bis dann. Lass dir´s gut gehen!“ die Abschiedsformel „Bis dann. Bleib resilient!“ verwendet werden, könnte es ratsam sein, (sich) zu fragen, was „Wünschende“ eigentlich damit meinen.
Wer in die beiden genannten Bücher reinlesen möchte, kann dies mit einem „Blick ins Buch“ per Internet tun.
Donya Gilan und andere: Resilienz – die Kunst der Widerstandskraft. Was uns stark macht in der Krise. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2024, 208 Seiten, 14 Euro.
Stefanie Graefe: Resilienz im Krisenkapitalismus. Wider das Lob der Anpassungsfähigkeit. Transcript-Verlag, Bielefeld 2019, 234 Seiten, 19,99 Euro.
Schlagwörter: Anpassungsfähigkeit, Donya Gilan, Jürgen Scherer, Krise, Resilienz, Stefanie Graefe