Nun ist es also passiert. Die FPÖ, ausbuchstabiert: Freiheitliche Partei Österreichs, hat die Wahlen zum Nationalrat, der zweiten (und entscheidenden) Kammer des Parlaments gewonnen. Bis dahin war es ein langer Weg.
Ihre Vorgänger-Partei, der Verband der Unabhängigen (VdU), war 1949 als Sammelbecken ehemaliger Belasteter des Hitler-Regimes gegründet worden. Die von inneren Konflikten zerrissene Formation suchte sich durch die Umgründung mit neuem Namen im November 1955 eine straffere Struktur zu geben. Auf dem folgenden Parteitag im April 1956 wurde Anton Reinthaller zum Parteiobmann (Vorsitzenden) gewählt.
Reinthaller war unter alten Nazis kein Unbekannter. Der ehemalige SS-Brigadeführer (entsprach dem Generalmajor in der Wehrmacht) war der in Österreich noch verbotenen NSDAP schon vor dem „Anschluss“ an Hitlerdeutschland 1938 beigetreten. Von 1950 bis 1953 war der NS-Schwerstbelastete, so der Urteilsspruch, in Haft. Aus dem gärigen Haufen alter und neuer Nazis in Österreich vermochte die FPÖ bei Parlamentswahlen zunächst nur rund sechs Prozent der Wählerstimmen zu erzielen. Ein neuer Parteiobmann – Friedrich Peter, auch er mit einschlägiger SS-Vergangenheit – versuchte ab 1958, der Meute einen seriöseren Anstrich zu geben. Auf der Suche nach einer Regierungsmehrheit nahm der Sozialdemokrat Bruno Kreisky 1970 dann die parlamentarische Tolerierung seiner Minderheitsregierung durch die FPÖ in Kauf. Wes Geistes Kind deren Wähler- und Anhängerschaft war, zeigte sich 1975, als Simon Wiesenthal Peters SS-Zugehörigkeit und dessen wahrscheinliche Verwicklung in Massenmorde im Zweiten Weltkrieg aufzeigte. Der antisemitische Aufschrei, der folgte, mochte Wiesenthal auf das Echo vorbereitet haben, das ihm um die Ohren flog, als er elf Jahre später herausfand, dass der damalige österreichische Bundespräsident Kurt Waldheim in „Kriegszeiten“ nichts mit dem unbeschriebenen Blatt zu tun hatte, das er gern vorzeigte.
Dem zeitweisen Schwenk der FPÖ vom offenen Nationalismus zum Rechtsliberalismus unter den Parteiobmännern Alexander Götz und Norbert Steger setzte ab 1986 Jörg Haider ein Ende. In lässig-nonchalanter Art servierte der äußerlich ideale Schwiegersohn-Typ seine zunehmend mit bräunlicher Soße garnierten Gerichte. So sagte er, um nur ein einziges Beispiel zu nennen, über den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeine Wien, Ariel Muzicant, wie könne einer, der Ariel heiße, soviel Dreck am Stecken haben. Aufmerksame Beobachter, aber vor allem Haiders Bewunderer, sahen in der Anspielung auf das Waschmittel (Ariel) einen Hinweis darauf, dass Juden schmutzige Geschäfte machten und niemand sie weißwaschen könne. Auch stieß Haiders populistische Hetze gegen „Asylanten“ und „Sozialschmarotzer“ im Zeichen der kapitalistischen Krise auf immer offenere Ohren – Sündenböcke waren gefragt. Seine Anhänger pfiffen in rabaukenhafter Manier jene Menschen aus, die sich, wie der Skisprung-Olympiasieger Karl Schnabl, für die Beibehaltung zweisprachiger Ortsschilder in den auch von ethnischen Slowenen bewohnten südlichen Landesteilen aussprachen. Dabei hatte Haider keine Probleme, sich publikumswirksam mit Muammar al-Ghaddafi und Saddam Hussein zu zeigen, was auch auf – letztlich jedoch unbewiesene oder geschickt verschleierte – Finanzgeschäfte des Ehrenmannes mit den Diktatoren hinwies.
Offene Finanzskandale und Abspaltungen sorgten 2005 für Haiders Abwahl zugunsten von Heinz-Christian Strache und für tiefgreifende Turbulenzen. Dies aber hatte schon vorher den Aufstieg der FPÖ zur Mitregierungspartei nicht verhindert. Noch unter Haider hatte die FPÖ im Jahre 2000 Ministerposten in der von der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) geführten Regierung erhalten. Damals sorgte dies noch für ein europaweites Entsetzen.
Haiders Unfalltod 2008 schien die Rechtsextremen substanziell zu schwächen. Doch Strache und seine Nachfolger als Parteichefs Norbert Hofer und Herbert Kickl sorgten für Stabilisierung. Erneute Regierungsbeteiligungen als Juniorpartner der ÖVP und 1983 bis 1986 auch der Sozialdemokraten unter der SPÖ-Regierung von Fed Sinowatz führten zur weiteren „Normalisierung“ der FPÖ mit ihrer populistischen, europa- und fremdenfeindlichen Sprache.
Die knieweiche Politik des bürgerlich-sozialdemokratischen Lagers, das nur im Abbau des Sozialstaates seine (wenn auch nicht mit Deutschland vergleichbare) Härte zeigte, leitete Wasser auf die Mühlräder der FPÖ. Dieser Sozialabbau und eine zunehmend tolerierte Feindschaft gegen „Fremde“ als angebliche Verursacher für wirtschaftliche und politische Probleme machten den Weg frei für das jetzige Wahlresultat, in dessen Folge die FPÖ erstmals stärkste Partei wurde.
In der Online-Ausgabe der Zeit kommentierte ein Leser das Wahlresultat: „Gut, dass Georg Kreisler das nicht mehr erleben muss. Er hätte allerdings die Österreicher wiedererkannt.“ Jedenfalls die politischen Nachfahren derer, vor denen der jüdische Kabarettist 1938 hatte fliehen müssen.
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