Die Bäume sind von weichem Lichte übergoßen,
im Winde zitternd, glitzert jedes Blatt.
Der Himmel, seidig-blau und glatt,
ist wie ein Tropfen Tau vom Morgenwind vergoßen.
Die Tannen sind in sanfte Röte eingeschloßen
und beugen sich vor seiner Majestät, dem Wind.
Hinter den Pappeln blickt der Mond auf’s Kind,
das ihm den Gruß schon zugelächelt hat.
Im Winde sind die Büsche wunderbar:
bald sind sie Silber und bald leuchtend grün
und bald wie Mondschein auf lichtblondem Haar
und dann, als würden sie auf’s neue blüh’n.
Ich möchte leben.
Schau, das Leben ist so bunt.
Es sind so viele schöne Bälle drin.
Und viele Lippen warten, lachen, glüh’n
und tuen ihre Freude kund.
Sieh nur die Straße, wie sie steigt:
so breit und hell, als warte sie auf mich.
Und ferne, irgendwo, da schluchzt und geigt
die Sehnsucht, die sich zieht durch mich und dich
Der Wind rauscht rufend durch den Wald,
er sagt mir daß das Leben singt.
Die Luft ist leise, zart und kalt,
die ferne Pappel winkt und winkt.
Ich möchte leben.
Ich möchte lachen und Lasten heben
und möchte kämpfen und lieben und haßen
und möchte den Himmel mit Händen faßen
und möchte frei sein und atmen und schrei’n.
Ich will nicht sterben. Nein:
Nein.
Das Leben ist rot,
Das Leben ist mein.
Mein und dein.
Mein.
Warum brüllen die Kanonen?
Warum stirbt das Leben
für glitzernde Kronen?
Dort ist der Mond.
Er ist da.
Nah.
Ganz nah.
Ich muß warten.
Worauf?
Hauff um Hauff
sterben sie.
Steh’n nie auf.
Nie und nie. –
Ich will leben.
Bruder, du auch
Atemhauch
geht von meinem und deinem Mund.
Das Leben ist bunt.
Du willst mich töten.
Weshalb?
Aus tausend Flöten
weint Wald.
Der Mond ist lichtes Silber im Blau.
Die Pappeln sind grau.
Und Wind braust mich an.
Die Straße ist hell.
Dann …
Sie kommen dann
und würgen mich.
Mich und dich
Tot.
Das Leben ist rot,
braust und lacht.
Über Nacht
bin ich
Tot.
Ein Schatten von einem Baum
geistert über den Mond.
Man sieht ihn kaum.
Ein Baum.
Ein
Baum.
Ein Leben
kann Schatten werfen
über den
Mond.
Ein
Leben.
Hauff um Hauff
sterben sie.
Steh’n nie auf.
Nie
und
Nie.
7. VII. 1941
Selma Merbaum (Selma Meerbaum-Eisinger) wurde vor 100 Jahren am 5. Februar 1924 in einer jüdischen deutschsprachigen Familie in Czernowitz (Bukowina) geboren, am 16. Dezember 1942 starb sie im deutschen Zwangsarbeitslager Michailowka (Ukraine) an Flecktyphus. Das Gedicht wurde von Marion Tauschwitz nach dem handschriftlichen Original transkribiert.
Schlagwörter: „Poem“, Gedicht, Selma Merbaum