Das Buch „Die Sklaverei und die Deutschen“ ist ein Arrangement unterschiedlicher Artikel zur Geschichte des Sklavereisystems bis hin zu den Nachwirkungen in die Gegenwart. Sechzehn Autoren und Historiker schrieben sehr unterschiedliche Beiträge. Den 24 Texten ist durchgängig anzumerken, dass sie erstmals als Artikel für ein Heft der Reihe Spiegel Geschichte, 2022, erschienen sind.
Nun wurden sie bearbeitet und in einem Buch zusammengefasst, mit einer Chronik versehen und Literaturverweisen ergänzt. Wirklich neu gegenüber der Heft-Ausgabe ist das Personenregister.
Wer die Reihe Spiegel Geschichte kennt und wie der Rezensent durchaus schätzt, weiß, dass dort großer Wert auf die visuelle Illustration der Texte gelegt wird. Das gelingt in dem Buch mit seiner Druckqualität bei den Abbildungen nicht gleichermaßen.
Die „Wissensvermittlung“ in bekömmlichen Häppchen mag für ein populärwissenschaftliches Journal angemessen sein, für ein Buch mit einem wirklich relevanten Thema und politisch bedeutsamem Gegenstand wirken solche ständigen Einsprengsel unter den Überschriften „Schnelles Wissen“ eher deplatziert. Der vorliegende zweite Aufguss erscheint so unangebracht. Was ärgerlich fehlt, ist ein aggregierender, verbindender Beitrag, der die durchaus wichtigen und interessanten Detailergebnisse der einzelnen Texte zu einer umfassenden Wertung zusammenführt.
Das Vorwort stellt die rhetorische Frage: „Braucht es ein Buch, in dem es nicht nur um Sklaverei geht, sondern auch um die Verstrickung deutscher Staaten, Fürsten, Händler, Banker und Bürger in dieses System des Menschenhandels […]?“ Gewiss braucht es ein solches Buch. Und ein lesbarer Anfang zumindest ist gemacht.
Für manche vielleicht überraschend ist in mehreren Texten der Nachweis, dass bis weit ins 19. Jahrhundert auch Menschen in Deutschland „in einer Form kaschierter, nicht explizit benannter Sklaverei lebten“. Erst die Reichsgründung von 1871 sorgte für ein Verbot der Sklaverei in ganz Deutschland (zuvor 1857 in Preußen), das war immerhin sechs Jahre später als in den USA, dem schlimmen Sklavenhalterstaat, galt aber de facto nicht in den Kolonien Deutschlands.
Auch Deutsche gehörten im System der Sklaverei zu den Tätern, beginnend mit den Franken unter Karl dem Großen, die Slawen östlich der Elbe versklavten, über die Fugger als Sklavenhändler oder die Profite der schlesischen Leinwandkaufmannschaft im Riesengebirge bis zu der im Nürnberger Militärgerichtshof angeklagten „slave labour“ (Sklavenarbeit) im faschistischen Deutschland. Der angelsächsische Begriff bleibt umstritten, denn die Zwangsarbeit von jüdischen KZ-Häftlingen diente letztlich deren Vernichtung. Diese Menschen zählten weniger als Sklaven.
Bekanntlich wurden einige der in der ganzen Welt verstreuten Siedlungen der protestantischen „Herrnhuter Brüdergemeine“ kürzlich in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen. Die in Ostsachsen beheimatete „Gemeine“ war aus der böhmischen Reformationsbewegung unter dem Einfluss von Jan Hus hervorgegangen. Der Missionsgedanke spielte von Anfang an eine große Rolle. Der Begründer Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf und seine Gemeinde missionierten anfangs Sklaven auf der karibischen Insel Jamaika. Um die Missionsarbeit zu finanzieren, erwarben die Herrnhuter Plantagen, kauften Sklaven und wurde so Teil der Kolonialgesellschaft. Eine ausführliche Bildbeschreibung eines riesigen Gemäldes („Erstlingsbild“ von Johann Valentin Haidt) gibt detaillierte Auskünfte über viele der Versklavten, die zum Christentum bekehrt wurden. Was im Buch nicht steht, ist, dass die Herrnhuter sich früher als andere christliche Kirchen mit ihrer kolonialen Vergangenheit kritisch auseinandergesetzt haben. Die meisten der weltweit über eine Millionen Mitglieder zählenden Gemeinde leben übrigens heute in Tansania. In dem aus der Kolonie Deutsch-Ostafrika hervorgegangenen Staat sind es allein über 700.000 Mitglieder.
Aber auch die deutschen Abolitionisten, eine internationale Bewegung für die Abschaffung der Sklaverei, zu der auch Alexander von Humboldt gehörte, werden im Buch gewürdigt.
Jasmin Lörchner / Frank Patalong (Hrsg.): Die Sklaverei und die Deutschen. Eine Geschichte von Ausbeutung, Profit und Verdrängung, Deutsche Verlags-Anstalt / SPIEGEL-Verlag, München 2024, 236 Seiten, 24,00 Euro.
Schlagwörter: Deuschland, Frank Patalong, Herrnhuter Brüdergemeine, Jasmin Lörchner, Jürgen Hauschke, Menschenhandel, Sklaverei