Der Wahlrat Venezuelas veröffentlichte noch vor Ablauf von 24 Stunden die Wahlergebnisse der Präsidentenwahl vom 28. Juli 2024. Danach erhielt Präsident Maduro für das Bündnis „Gran Polo Patriótico Simón Bolivar“ 51,2 Prozent (5.150.092) Stimmen, der Kandidat der Opposition der „Plataforma Unitária“ González Uruttia 44 Prozent (4.445.978). Zu diesem Zeitpunkt hatte der Wahlrat 80 Prozent der Wahlzettel vorliegen und erklärte, dass 20 Prozent durch einen Hackerangriff nicht ausgewertet werden konnten. Bis dato (6. August) legte der Wahlrat der Öffentlichkeit nicht – wie gefordert – die Gesamtheit der Wahlzettel vor. Aber schon am Tag nach der Wahl war Maduro zum Präsidenten ausgerufen worden.
Maria Corina Machado, die Führerin der Opposition, behauptete, dass ihr Kandidat González Urrutia 67 Prozent (7.156.462) und Maduro nur 30 Prozent (3.241.461) Stimmen erhalten habe. Sie berief sich auf die über 81,7 Prozent der abgegebenen Stimmzettel, über die sie verfüge. Machado erklärte, dass González der neue Präsident Venezuelas ist und die vom Wahlrat vorgelegten Ergebnisse eine Wahlfälschung seien.
Die Opposition war zur Wahl geschlossen aufgetreten. Die treibende Kraft ist Maria Corina Machado, die durch Dekret der Justizorgane von einer Kandidatur ausgeschlossen worden war. Sie positionierte sich schon immer gegen den Chavismus, vertritt die rechteste Opposition und kommt aus Kreisen der alten Eliten Venezuelas. Die Opposition vereint im Übrigen unterschiedliche rechte, auch moderate Kräfte und ehemalige Chavisten. Machado ist aktiv an der Organisierung von Protesten beteiligt.
Zum Kandidaten der Opposition, dem „moderaten“ Edmundo González Urrutia, wurde aus veröffentlichten Geheimdokumenten der CIA bekannt, dass er als Diplomat an der Operation „Centauro“ in El Salvador 1989 beteiligt war. González finanzierte und koordinierte die Operation, die zum Ziel hatte, Personen zu liquidieren, die als Vertreter der Theologie der Befreiung für eine friedliche Lösung des Krieges in El Salvador eintraten.
In Barbados wurden im Oktober 2023 zwischen der Opposition und der Maduro-Regierung Vereinbarungen ausgehandelt, die vorsahen, die Wahl offen und sicher durchzuführen. Nach Regierungsangaben waren 600 Wahlbeobachter, einschließlich des Carter-Zentrums und der UNO, zur Wahlbeobachtung anwesend.
Im Vorfeld der Wahl versuchte die Maduro-Regierung, die Opposition durch Verhaftungen von Personen aus dem Umfeld Machados zu schwächen. Gegen sie wurde ihre Forderung nach einer ausländischen Intervention in Venezuela genutzt. Versucht wurde auch, die Stimmabgabe von Emigranten (etwa sieben Millionen) im Ausland zu behindern.
Nach zehn Jahren Regierung erklärte Maduro die Krise des Landes für überwunden. Es wurde ein Bild der Zufriedenheit vermittelt, in dem die krassen sozialen Ungleichheiten in Venezuela nicht vorkamen. Präsident Maduro betonte, dass „wir eine militärische Kraft sind. Die Militärs stehen an meiner Seite.“ Es ist schwer vorstellbar, dass diese Kräfte ihre Macht freiwillig abgeben werden.
Im Wahlkampf waren klare politische Positionen, die die Programme der Kontrahenten deutlich charakterisiert hätten, nicht zu erkennen. Die Maduro-Regierung wiederholte die Losung der Wahrung des Erbes von Hugo Chávez, ohne jedoch konkrete Ziele zu benennen. Deutlich wurde, dass es vielmehr um eine Auseinandersetzung um die Macht, um die Rivalität zwischen den neuen Eliten und den traditionell rechten Kräften geht.
Es ist ein Konflikt im Kampf um die Sicherung der Souveränität Venezuelas und gegen die Einmischung der USA, ein Konflikt im Kampf um den Zugriff auf Erdöl und Bodenschätze.
Die venezolanische Gesellschaft ist politisch tief gespalten. Die Wahl vom 28. Juli vertiefte diesen Zustand weiter. Die Opposition mobilisierte nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses zu großen, auch gewalttätigen Protesten, die von der Maduro-Regierung ebenso mit Gewalt beantwortet wurden.
Auf der Suche nach den Ursachen für diese Situation wurden in der lateinamerikanischen Linken und darüber hinaus Überlegungen zu Veränderungen im sozialen Gefüge der venezolanischen Gesellschaft angestellt.
Charakteristisch für den venezolanischen Kapitalismus ist das Modell des Erdölrenntierstaates, das ein staatskapitalistisches Konzept verfolgt. Es existiert eine Mischung aus Staatskapitalismus und Privatkapital, in dem der Staat als Eigentümer und Unternehmer fungiert und die Kontrolle über den Erdölsektor und die Basissektoren der Wirtschaft ausübt. Entstanden ist eine neue Fraktion der Bourgeoisie, die „Bolibourgeoisie“ (Kombination aus bolivarianisch und Bourgeoisie), die „revolutionäre Reden“ gebraucht und den Diskurs einer linken, antiimperialistischen Kraft aufrechterhält. Das ist eine neue besitzende Klasse, die sich aus Staatsfunktionären, Militärs und aus Unternehmern zusammensetzt, die aber immer noch über eine chavistische Basis verfügt. Über einen Sozialismus des XXI. Jahrhunderts, von dem bei Chavez noch die Rede war, wird nicht mehr gesprochen. Die neue politische Klasse ist vielmehr neoliberal orientiert und macht Entwicklungen rückgängig, die unter Chávez eingeleitet wurden. Enteignete landwirtschaftliche Güter wurden an ihre Besitzer zurückgegeben und verstaatlichte Unternehmen wieder privatisiert. Die Ökonomie wurde dollarisiert und erkennbar liberalisiert. Der Kollaps des Sozialstaates war das Ergebnis dieser Entwicklung. Linke Kräfte wurden isoliert und ausgeschaltet.
Nach Angaben der venezolanischen Zentralbank sank der Erdölexport innerhalb von acht Jahren um 55,17 Prozent. Die Erdölproduktion des staatlichen Unternehmens PDVSA ging von 2,8 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2000 auf nur noch 853.000 Barrel pro Tag (2022) zurück. Venezuela, das immer eigenversorgt war, ist gezwungen, Benzin zu importieren.
Das umstrittene Ergebnis der Präsidentenwahl steht sowohl international wie auch in Lateinamerika im Zentrum der Aufmerksamkeit. Lateinamerikanische Länder wie Kuba, Nikaragua, Honduras, Bolivien haben wie auch China, Russland und der Iran die Wahl anerkannt. Argentinien, Costa Rica, Peru, Uruguay, die Dominikanische Republik, Panama und Guatemala sprechen von Wahlbetrug und lehnen die Anerkennung des Wahlergebnisses ab. Inzwischen haben die USA wie auch Peru und Argentinien González als gewählten Präsidenten anerkannt.
Brasilien, Kolumbien und Mexiko fordern eine erneute Auszählung und Offenlegung aller Wahlstimmzettel. Präsident Lula entsandte seinen Beauftragten, Botschafter Celso Amorim, nach Venezuela, um sich ein Bild von der Wahl zu verschaffen. Erklärt wurde, dass Brasilien nichts tun werde, was als Geste einer Anerkennung des Wahlergebnisses interpretiert werden könnte, da die Darstellung der Opposition ebenfalls angreifbar sei. Präsident Lula forderte: „[…] legt die Wahlzettel vor und lasst das Oberste Gericht entscheiden.“
Eine zusätzliche Zuspitzung erfährt die Lage dadurch, dass Venezuela Länder wie Argentinien, Costa Rica, Peru, Uruguay, Panama und die Dominikanische Republik aufgefordert hat, ihre diplomatischen Vertreter wegen Einmischung in innere Angelegenheiten abzuziehen. Venezuela zieht seine diplomatischen Vertretungen aus diesen Ländern ab.
Die Anerkennung der Wahlergebnisse durch China und Russland zeigt, dass beide Staaten ihre Interessen mit einer Maduro-Regierung besser vertreten sehen als mit einer mit den USA verbundenen Regierung González-Machado.
Der Riss, der nun durch Lateinamerika geht, deutet an, dass scharfe politische Auseinandersetzungen bevorstehen. Gegen rechte Regierungen wie die Mileis in Argentinien, die Noboas in Ecuador und die Boluartes in Peru erfordert die Auseinandersetzung eine klare Positionierung aller demokratischen Kräfte.
Geopolitische Rivalitäten werden sich verstärken. Nach Mitteilung des venezolanischen Außenministeriums hat Russland Venezuela zum bevorstehenden Treffen der BRICS-Staaten im Oktober in Kasan eingeladen. Venezuela hatte sein Interesse an der Aufnahme in die BRICS-Gruppe kundgetan.
Die politische Krise in Venezuela muss auch im Zusammenhang mit den kommenden Wahlen in den USA betrachtet werden. Egal welche US-Administration künftig regieren wird, die USA werden bestrebt sein, den venezolanischen Konflikt in ihrem Interesse zu lösen.
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