27. Jahrgang | Nummer 17 | 12. August 2024

Sommerland & Glück im Kinderland

von Thomas Behlert

Wenn Kinder in den heimischen vier Wänden kaum zu bändigen sind, sie gerne laut schreiend oder mit irgendwelchen Tröten, die man in einer schwachen Minute gekauft hat, quietschend durch die Wohnung toben, möchten Mama oder Papa schon ganz gerne ausrasten. Geht natürlich nicht, denn die Wände sind dünn und der Nachbar hört mit. Also auf Bewährtes zurückgreifen, das für etwas Ruhe sorgt und den Eltern eine halbe Stunde Freiheit verschafft. Ich denke dabei nicht an Knebel, Paketklebeband oder Kellerverlies, sondern an Tonträger mit Kindermusik.

Verlage, die sich mit solchen Tönen beschäftigen, lassen üblicher Weise Sängerinnen und Sänger, die jeden Job annehmen, weil sie mittlerweile wissen, dass es bei ihnen mit den Charts nichts wird, einfache Texte ins Mikrophon singen.

Anfang der 2000er Jahre waren die Helden der Kinder blau und schlumpften gar mächtig im Zauberwald. Mit ordentlichen Stimmen verbreiteten sie in einer Fernsehserie Frohsinn, sangen aber auch manch Album mit quiekenden Stimmen ein. Eine „ca. 1976“ (Wikipedia) geborene Laienschauspielerin mit Namen Simone Seuthe trällerte dabei mit. Im Studio trieb sich auch der Nachwuchsmusiker Karsten Stiers herum, der den Schlümpfen ebenfalls eine Stimme gab und später gemeinsam mit Simone auch beim Fix und Foxi-Soundtrack sein Unwesen trieb. Das Duo hatte sich bereits in Wetter an der Ruhr kennengelernt, wo sie schauspielerten und von einer Menge Schotter auf dem Konto träumten. Musikalisch war man zuvor verschiedene Wege gegangen: Simone Seuthe sang bei Jasmin Wagner alias Blümchen auf deren Tour und schluckte dabei wohl Helium, um nahe an Blümchens Stimmvolumen heran zu kommen. Der Karsten begann in einer Thrash-Metal-Band und durfte mit anderen Musikern als Vorgruppe von Psychotic Waltz agieren.

Weder die Schlümpfe noch die harte Schiene hoben offensichtlich den Kontostand nachhaltig, so dass die beiden schließlich  2010 auf die Idee kamen, mit ihren soliden Singstimmen und kleinem Instrumentarium Kinderlieder einzusingen. Schnell waren die Besten 30 Spiel- und Bewegungslieder gefunden und durch das Label Lamp & Leute unter die Leute gebracht. Übrigens zupfte dabei der Punkmusiker Tobias Albrecht, den die Welt als Rocko Schamoni kennt, die Akustikgitarre.

Da der inzwischen gemeinsame Name Stiers nun wirklich nicht zur Musik passte, nannte man sich Simone Sommerland und Karsten Glück. Ihre singenden Kinder sind die Kita-Frösche. Gleich diese ersten 30 Lieder gingen durch die Hitparadendecke, wurden bis zum Juli 2014 200.000 mal verkauft und erhielten Platin. Damit fing das Unheil an: Man sah das große Geld, wollte Eltern und Kinder bei der Stange halten und veröffentlichte deshalb bis heute über 30 verschiedene Alben zu den unmöglichsten Themen. Nach den Spiel- und Bewegungsliedern vergriffen sich Simone und Karsten etwa an Lernliedern zum Mitsingen und immer wieder an traditionellen Kinderliedern. 2013 übernahm das Label Universal die Reihe und stieg auch gleich noch in den Bücher- und Hörbüchermarkt ein.

Fast alle Kinderliederthemen sind von Tante Sommerland und Onkel Glück mittlerweile beträllert worden: von Kinderliedern auf Weltreise über englisch gesungene Songs, Kindergartenlieder, gar Kirchenlieder und Mutmachliedern bis hin zu Turnliedern und Liedern für alle Jahreszeiten. Während der Corona-Pandemie, als die großen Konzerthallen leer blieben, entstanden allein zehn (sic!) Alben. Wer sich dem Backkatalog hingibt, entdeckt 30 Lieder für Mädchen, die so typisch sind, dass es einem schon weh tut. Da trällert das Duo über Lillifee, Prinzessinnen, Einhörner und Ballettstunden. Weiter geht es mit klassischen Stücken von Brahms, Mozart, Tschaikowsky und Beethoven, die mit eigenen Texten versehen wurden. Aus des letzteren „Ode an die Freude“ wird bei Sommerland & Glück eine „Ode an den Kindergarten“, und Smetanas „Moldau“ mutiert zu „He, he wir sind Piraten“. Höhepunkt aller 30 Lieder-Sampler ist „Die 30 besten Weihnachts- und Winterlieder“, da hier Simone das schlimmste Weihnachtslied aller Zeiten nachsingt: Die „Weihnachtsbäckerei“ von Rolf Z. bohrt sich wie ein gieriger Wurm durch die Gehörgänge bis zum Hirn.

Was wird als Nächstes kommen? Für Sachsens und Thüringens Kinder könnten Simone und Karsten ja schon mal stramme Kinderlieder der 1940er Jahre einstudieren …