Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Der Spruch stammt zwar vom Ende des 19. Jahrhunderts, aber bei Frans Hals (geboren 1582 oder 1584 in Antwerpen, gestorben 1666 in Haarlem) war das Lachen, Grinsen, Feixen, Schmunzeln sozusagen sein Mal-Elixier. Auch wenn ihm die meist eigene knappe ökonomische Lage ziemlich zu schaffen machte. Es sieht so aus, als hätte sein mit Passion gemaltes Bildpersonal alle Sorgen und Traurigkeit weggelacht.
In der Berliner Gemäldegalerie, in deren feierlich abgedunkeltem Mittelteil, mit noblem Grau, Blau und Karmesinrot gestrichenen Wänden hinter den thematisch und in gewisser Weise auch chronologisch angeordneten Bildern begegnen wir einer Schlüsselfigur der niederländischen Kunstgeschichte des 17. Jahrhunderts. Einem, der zwischen zwei Genies als ein ebensolches platziert gehört: zwischen Rembrandt und Vermeer; zwischen dem tiefsinnigen Grübler aus der Amsterdamer Jodenbreestraat und dem Delfter Maler des intimen Innehaltens. Ausgewählte Spitzenwerke aus dem Œuvre des Künstlers sind Leihgaben aus großen europäischen Museen, so dem Pariser Louvre, aus London oder Madrid. Das Schaffen von Frans Hals umfasst in seiner Gesamtheit etwa 200 bekannte (und als echt zertifizierte) Werke.
Frans Hals aus Haarlem malte die Lebenslust in vollen Zügen, die der Eliten seiner Zeit und auch die der Leute aus den untersten Schichten, die nach dem Spruch aus dem Matthäus-Evangelium leben mussten: „Darum sollt ihr euch nicht sorgen um den morgigen Tag; denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Jedem Tag genügt seine eigene Plage.“ Dabei wirkt Hals’ Pinselstrich leicht, als hätte er vor-impressionistische Momentaufnahmen auf die Leinwände und Lichteffekte über alles Traurige und Belastende gesetzt. Man bedenke: Die Bilder entstanden mitten in der Epoche des Barock, der mythischen Allegorien, der schwermütigen Vanitas von Leben und Tod und der üppigen, sinnlichen und hochdramatischen Körperlichkeit, für die zum Beispiel Hals’ flämischer Malerkollege Rubens berühmt wurde.
Der „Meister des Augenblicks“ aus Haarlem stellte sein Bildpersonal überzeugend als lebhafte, temperamentvolle Zeitgenossen dar: die Reichen, Mächtigen, Schönen der Gesellschaft, wie das lässig-arrogante „Bildnis des Isaac Abrahamsz Massa“, wie der leichtlebige „Lachende Kavalier“ oder der fröhliche, der Unterhaltung der Oberklasse dienstbare „Lautenspieler“. Und ebenso das Volk: die Kinder, Mägde, Marktweiber, Komödianten, Huren, Bettler und Säuferinnen, die beim Lachen ohne Scham ihre karieszerfressenen Zähne offenbaren. Er entwickelte mutig einen einzigartigen Stil, völlig neu in der Malerei des „Goldenen Zeitalters“ der Niederlande: Hals kultivierte eine schnelle Pinselführung, gab seinen Porträts eine noch nie dagewesene Dynamik. Und er machte, wie auch seinerzeit der Spanier Velázquez, in seiner malerischen Hingabe und empathischen Beobachtung keinen Unterschied zwischen Oberklasse und Unterschicht, zwischen Hofschranzen und Hofnarren.
Hals begegnet uns als einer der wenigen Altmeister in der Geschichte der abendländischen Kunst, denen es gelang, Frohsinn, ja, schiere Lebenslust zu malen, statt machtvolle, gar autoritäre Repräsentation oder Miesepetrigkeit. Gemäldegalerie-Kuratorin Katja Kleinert hat dafür eine plausible Erklärung: Weil es so schwer sei, genau das zu malen: diesen zutiefst individuellen Ausdruck dafür, sein Leben zu mögen, egal, ob in Brokat oder Haderlumpen, ob mit vollen oder leeren Taschen.
Dreimal porträtierte Frans Hals die dauerlustige Trinkerin „Malle Babbe“ mit Eule auf der Schulter in den Straßen Haarlems (eins davon gehört der Gemäldegalerie Berlin). Für die lachende Alte war ihr blecherner Bierkrug offensichtlich (gefühlt) immer halbvoll, nie halbleer. Und auch „Peeckelhaering“ („Der lustige Zecher“), wahrscheinlich ein prekärer Schauspieler, der mit einer britischen Theatertruppe tourte, ließ sich seine Fröhlichkeit nicht verdrießen.
Der eigensinnige Stil, die ausgefeilte Technik, Gesichter, Mimik und die lebhafte Gestik Hals’ brachten ihm den Ruf eines Virtuosen ein. So wurde er ein gefragter Porträtist bei den wohlhabenden Bürgern von Haarlem und in der Region. Allerdings hatte er keine Lust, etwa nach Amsterdam zu den Sitzungen zu fahren. Er verlangte stolz, dass seine Modelle und „Auftraggeber“ gefälligst zu ihm ins Haarlemer Atelier kommen sollten. Was Selbige dann meist brav machten, um zu einem Porträt von diesem damaligen Malerstar zu kommen.
Die Mitglieder der Schützengilden hatten für ihr Abbild zu zahlen. Je nachdem: für die ganz-figurige Abbildung in Pose im Vordergrund sehr viel mehr, als wenn von einem Schützen in hinterer Reihe – zu geizig oder aber weniger bemittelt – nur das Konterfei sichtbar war. Franz Hals genoss augenscheinlich dieses subtile Spiel mit der Eitelkeit. In der Berliner Ausstellung kann man das vor einem panoramabreiten Gilde-Bild von einer bequemen Bank aus genüsslich assoziieren. Das Frans-Hals-Museum Haarlem lieh die Miliz- und Regentenbilder aus, einige davon zum ersten Mal.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts war Frans Hals jedoch allmählich in Vergessenheit geraten, andere Stile wurden Mode. Erst im 19. Jahrhundert entdeckte der französische Kunstkritiker Théophile Thoré-Bürger das außergewöhnliche Werk des Haarlemers wieder – ebenso wie das von Vermeer. Und jetzt wird Hals’ lebensnahes Menschenbild einmal in seiner ganzen kunsthistorischen Bedeutung gebührend gewürdigt.
Mit Recht kann der Haarlemer Maler als Vorläufer des Impressionismus bezeichnet werden, denn sein Stil beeinflusste nicht nur seine Werkstatt-Schüler (wie Beispiele es in der Schau belegen), sondern im 19. Jahrhundert auch Maler wie Gustave Courbet, Édouard Manet, James McNeill Whistler, Claude Monet, Van Gogh und die Berliner Max Liebermann oder Lovis Corinth. Mit Referenzbildern der Letztgenannten endet die Schau. Und dann wirkt die Ansteckung. Die Besucher lachen oder lächeln. Das haben wir gebraucht! Danke Meister Hals!
„Frans Hals. Meister des Augenblicks“, Gemäldegalerie Berlin, Kulturforum, Dienstag bis Sonntag 10:00 bis 18:00 Uhr. Die Sonderausstellung ist eine Kooperation mit der National Gallery London, dem Rijks-Museum Amsterdam und dem Frans-Hals-Museum Haarlem; bis 03.11.2024.
Berliner Zeitung, 16.07.2024. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des Verlages.
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