27. Jahrgang | Nummer 16 | 29. Juli 2024

Unterwegs in Usbekistan – lückenhafte Depeschen*

von Alfons Markuske, notiert in Samarkand

Usbekistan ist flächenmäßig in etwa so groß wie Deutschland. Längere Distanzen wie von Chiwa nach Buchara und von dort weiter nach Samarkand legt man sehr komfortabel mit den Schnellzügen von Usbekistan Railways zurück. Die Beinfreiheit in der Economy Class liegt bei gut dem Anderthalbfachen dessen, was die Deutsche Bahn in der ersten Klasse zu bieten hat. Die Züge sind sauber, die Air-Condition funktioniert, ohne, wie so häufig bei der DB, die Waggons in Kühlschränke zu verwandeln. Durchgängig ist freundliches Servicepersonal unterwegs und offeriert Snacks, kalte und warme Getränke, Eis. Die Reisegeschwindigkeit liegt bei bis zu 240 Stundenkilometern.

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Samarkand zählt zu den am längsten städtisch besiedelten Gebieten weltweit. Zwar fällt die abschließende Bewertung usbekischer, russischer und französischer Archäologen unterschiedlich aus, doch ein Minimum von knapp 2800 Jahren Stadtgeschichte ist unstrittig. Als Alexander der Große 329 vor Christus die damalige sogdische Hauptstadt Marakanda (das heutige Samarkand) eroberte, fand er nach antiken Maßstäben bereits eine Metropole vor. Von ihm ist die Aussage überliefert, die Stadt sei noch schöner gewesen, als sie ihm vorab geschildert worden war. Was ihn nicht hinderte, sie dem Boden gleichzumachen. Das widerfuhr der Stadt 1550 Jahre später erneut. Da hieß der Barbar Dschingis Khan.

Dieses zerstörte Samarkand wurde nie wieder aufgebaut. Es erstreckt sich heute als großes, vom Zahn der Zeit weitgehend renaturiertes Grabungsfeld neben dem Afrasiab Museum im Norden der jetzigen Stadt. Im Museum sind elf archäologische Grabungsschichten dokumentiert. Aktuell gräbt auf dem Areal allerdings niemand – außer einer Kolonie kecker Erdmännchen, die in Habachtstellung nahe der Eingangslöcher ihrer Tunnelsysteme das Treiben der Touristen verfolgen.

Etwa 50 Busminuten von Samarkand in Richtung der über 2200 Meter hohen Ausläufer des Pamirgebirges, die vom benachbarten Tadschikistan herüberreichen, liegt die Stadt Urgut mit einem der größten Basare des Landes. Dort herrschen quirliges Treiben und drangvolle Enge. Am Haupteingang Dutzende junger Männer mit ziegelsteindicken Packen Landeswährung. „Dollar?“, wird man gefragt. Wer etwas kaufen will aus der unüberschaubaren und farbenprächtigen Angebotspalette an Snacks, folkloristischen und modernen Textilien, Schuhen, Obst, Gemüse, Gewürzen, Brot, Frischfleisch (kein Fisch!), Haushaltsartikeln, Kunstgewerbe und hunderterlei weiteren Waren, der wechselt Geld. 50 US-Dollar werden zu 600.000 Som. Da machen die Geldwechsler auch noch ihren vertretbaren Schnitt. Illegal scheint das Ganze nicht zu sein, denn das Wechseln findet ohne jeden Anflug von Klandestinität statt. Für die Som-Summe bekommt man, wenn gewünscht, eine ganze Schubkarre voll an köstlich frischem Fladenbrot. Und dann reicht es auch noch für ein, zwei Fläschchen mit pechschwarzem Sesamöl. Abendlich ein Teelöffel davon eingenommen helfe merklich gegen Durchschlafstörungen, versichert Akmal, unser einheimischer Reiseführer. Wir werden es ausprobieren …

Von Urgut aus in nochmals 20 Minuten hinauf in die Berge auf etwa 1000 Meter Höhe gelangen wir zum Chor Chinor-Garten. Die Anfahrt ist aufgrund der Straßenverhältnisse für herkömmliche schwere Reisebusse nicht zu bewältigen. Daher Umstieg in sogenannte Kastenbrote – Kleinbusse der Marke Chrysler, die in Usbekistan zu Tausenden als Taxis unterwegs sind und rein äußerlich einem beräderten Kastenbrot nicht unähnlich sind. Damit werden vom Fahrer bis zu sieben Personen befördert. Wir werden nur zu fünft verfrachtet, trotzdem ist die Enge drangvoll. Die Fahrt selbst ist nichts für schwache Nerven. Ständiges sehr sportliches Beschleunigen und Bremsen, Ausweichen und Überholen. Innerstädtisch sind 50 Stundenkilometer was auch immer, aber offenbar kein gebieterisches Limit. Selbst Ampelrot scheint bisweilen eher von symbolischer Bedeutung zu sein. Andererseits fällt auf, dass nirgendwo verbeulte oder gar Unfallfahrzeuge zu sehen sind …

Das Mikroklima des Chor Chinor-Gartens ist besonders an heißen Tagen höchst angenehm, denn das gesamte Gelände wird von gewaltigen, teils über 1000-jährigen Platanen beschattet. Der größte dieser Riesen misst an seiner Basis 25 Meter im Umfang und weist zu ebener Erde einen so großen Hohlraum auf, dass darin einst eine Grundschulklasse mit 20 Schülern unterrichtet werden konnte. Unglaublich? Durchaus. Aber ein großer Teil unserer nicht eben kleinen Reisegruppe findet mühelos Platz in diesem Baum.

Die Platanen überschatten auch eine glasklare Gebirgsquelle, die einen ebensolchen Weiher speist, bevor das Wasser talwärts fließt. Im Weiher tummeln sich forellenartige Fische. Ein Dutzend kräftiger Gummischläuche ragen in das Wasser und versorgen Wohnhäuser um die Peripherie des Gartens auf unkonventionelle Weise mit trinkbarem Nass.

Zurück in Samarkand stehen als nächstes die 1908 von einem russischen Archäologen ausgegrabenen Überreste des Observatoriums von Ulugh Beg, einem Timuriden-Fürsten, auf dem Programm. Einst ein dreistöckiger Rundbau mit 46 Metern Durchmesser und 30 Metern Höhe, der einen überdimensionierten Sextanten mit einem Radius von immerhin 36 Metern beherbergte. Ein Teil des Instrumentes wurde aus dem Fels, auf dem die Sternwarte errichtet war, geschlagen. Dieser Teil überdauerte die Zeitläufte und beeindruckt heute die Besucher.

Ulugh Beg selbst war ein Enkel des mongolischen Eroberers Timur Lenk (Tamerlan), lebte von 1394 bis 1449 und war Herrscher in Samarkand. Einen bleibenden Namen allerdings, der bis ins ferne Europa ausstrahlte, machte er sich als Astronom. Zwischen 1420 und 1437 wurden unter seiner Ägide Tafeln mit den Positionsangaben von 992 Fixsternen erstellt und zusammen mit anderen Koryphäen in seinem Umkreis berechnete Ulugh Beg das sogenannte siderische oder Sternenjahr auf 365 Tagen, sechs Stunden, zehn Minuten und acht Sekunden, wobei die Fehlerabweichung im Vergleich zum heute gültigen Wert bei lediglich 58 Sekunden lag.

Als Herrscher war der Tamerlan-Enkel weit weniger erfolgreich. Er war mit mehreren gewalttätigen Fronden gegen sich konfrontiert. Schließlich ließ einer der eigenen Söhne ihn absetzen. Man schickte ihn auf eine Pilgerreise. Schlussendlich aber wurde er arretiert und hingerichtet. Das Observatorium wurde zerstört, doch gelangte eine Kopie seiner Sternentafeln außer Landes und über Istanbul nach Westeuropa. – Im Jahre 1830 ehrte der deutsche Astronom Johann Heinrich von Mädler das wissenschaftliche Verdienst des asiatischen Kollegen durch die Benennung eines Mondkraters nach seinem Namen. In der Gegenwart kamen ein Asteroid sowie ein Carcharodontosaurier hinzu.

Wird fortgesetzt.

Bisher erschienen: Taschkent, Blättchen 12/2024; Chiwa, Blättchen 13/2024; Buchara I, Blättchen 14/2024; Buchara II, Blättchen 15/2024.