Sein leuchtendes Rot verkündet den Sommer. Er holt sich das Kornblumenblau und das Margeritenweiß dazu und bildet in der Natur mit ihnen die Dreieinigkeit der schönen Jahreszeit. Wer wandert, begegnet der anmutigen Mohnblume, mit Namen Papaver rhoeas, zur Zierde am Rande der Getreidefelder, und belebt die Buntheit der Wiesen durch ihre farbkräftigen scharlach-, purpur- und orangeroten Töne. Sie scheut nicht Schutthalden, Straßenböschungen und wagt sich sogar in karge Spalten und Fugen mitten in der Stadt. Sie reckt sich 20 Zentimeter und mehr in die Höhe, wurzelt bis zu einem Meter in die Tiefe und entfaltet dann vier seidenfeine, etwas knittrige Blütenblätter, die in der Mitte einen schwarzen Fleck tragen. Die Blüte ist dem Wind ausgeliefert und kurzlebig. Nur zwei oder drei Tage verbleiben ihr. Dann welkt die Schöne. – Kein Nektar, kein Duft. Doch das Rot überstrahlt alles.
Woher kam die Mohnblume und wohin ging sie? Die Herkunft ist ungewiss. Man vermutet ihr Ursprungsgebiet in Nordafrika. Wind und Ackerbau (verunreinigtes Saatgut) halfen bei der Verbreitung. Das Übrige besorgten mehrere hundert winzig kleine Samenkörner, die jede Blüte in einer originellen Fruchtkapsel bereithält. – Dieses botanische Wunder eroberte sich die Welt und gedeiht in Zonen mit Dauerfrost ebenso wie bei subtropischen Temperaturen.
Trotz der Zartheit besitzt der Klatschmohn – oder Feldrose, wie man ihn auch nennt – ein gewisses Giftpotential, bedingt durch das Vorhandensein verschiedener Alkaloide. Hauptanteil bildet das schwach giftige Rhoeadin, welches in allen Teilen der Pflanze enthalten ist. Dennoch können die jungen Blätter vor der Blühzeit als Salat angerichtet werden, dem allerdings geschmacklich mit einem Quäntchen Rahm aufzuhelfen ist. Der Geschmack sei einer Gurke mit Haselnussaroma vergleichbar (ich bevorzuge Gurke für sich und Haselnüsse für sich).
Der Anblick des roten Blühwunders mit dem schwarzen Mittelfleck tut den Augen wohl und regt zu Deutungen an. Sie sind vielfältig und zugleich gegensätzlich. Die außergewöhnliche Farbe der Blüte signalisiert Lebensfreude und Liebeslust, doch auch Liebesleid und Trauer, Fruchtbarkeit und Tod. Letztendlich Werden und Vergehen. – Nach Theokrit sollen die Blumen aus Aphrodites Tränen entstanden sein, die sie über Adonis‘ Tod vergoss. Ein wehmütig-schönes Bild. – Tod und Schlaf liegen in der Ausdeutung dicht beieinander. So fand man neben der Mumie einer ägyptischen Prinzessin aus der 21. Dynastie (1070 bis 664 vor unserer Zeit, unterschiedliche Angaben) unverwelkte Mohnblüten als zärtlichen Abschiedsgruß.
Die Ausstrahlung der Blume mit dem verlockenden Rot beflügelte Dichter und Maler seit je her. Allen voran Claude Monet. Dessen Passion nicht nur den Seerosen galt, sondern auch dem roten Blütenflor. In seinen Mohnfeldern bei Giverny und Vétheuil möchte man spazieren gehen. Ein warmer Wind weht und die Lerchen singen. Monets „Mohnblumen“ bei Argenteuil sind wohl die schönste Huldigung an die feuerrote Pracht. – Ein Tag mit allen Vorzügen des Frühsommers. Den sanften Hang überzieht der Mohn wie eine Woge, bedrängt das Grün der ungemähten Wiesen und scheint sich in der lauen Luft behutsam zu wiegen. Der Himmel blaut und weiße Wolken schwimmen darüber. Mutter und Kind – vermutlich Camille Doncieux, Monets erste Frau, und Jean, sein Sohn – wandern durch den sonnigen Nachmittag. Jean mit dem gelben Strohhut ist entzückt vom Purpurrot der Blumen. Er hat bereits einen Strauß von ihnen gepflückt. Über Nacht werden sie welken. Camille trägt einen Parasol gegen die Sonne, zum Schutz ihres Teints. Als Monets Modell muss sie darauf achten. – Die „Mohnblumen“ sind das Abbild eines hellen Sommertages, der den Sinnen schmeichelt und frohe Gefühle erweckt.
Ähnlich wird es dem renommierten Porzellanmaler Holger Schill der berühmten „Manufaktur Meissen“ ergangen sein, der das Dekor „Wilder Mohn“ entwickelte. Es zeugt von Fantasie, hohem Können und exakter Beobachtungsgabe. – Nun blüht der Mohn auf dem edlen Weiß des Materials als Knospe, in voller Blüte, und von einem feinbehaarten, Blattwerk tragenden, zierlichen Stiel umwunden auf Tellern, Tassen, Milchkännchen, Zuckerdosen, Eierbechern, Schüsseln, Platten und Leuchtern und Vasen. – Bevor man den Kaffee in die Mohnblumentasse gießt, hält man für einen Augenblick inne, vor Staunen über Kunst und Natur.
Auch den Dichtern, wie sollte es anders sein, hat es die Anmut der Blume seit langem angetan. Sie nahmen das Leuchten der Farbe und die Sinngebung in ihre eigene Gedankenwelt auf und gaben sie nach Empfinden wieder. Mal melancholisch, mal lebensfroh. – Ludwig Uhland gehörte zu ihnen und Max Dauthendey und Iwan Turgenjew, Otto Julius Bierbaum, Paul Celan und Johannes Bobrowski – Als ich im Rinnstein an unserer Straße eine Mohnblume mutig blühen sah, entschied ich mich für Richard Dehmel:
Begegnung
Ich sah dich schon. / Im Sonnenschein / beim Roggenfeld am Wiesenrain / stand wilder Mohn; / die Kelche blühten blutrot breit, / den Schoß voll blauer Dunkelheit, / und jäh aus einer Knospe quoll / ihr glühendes Seelchen, unruhvoll […]
Ich sah dich schon, / du flüchtendes Kind: / heiß durch den Roggen strich der Wind / und bebend neigte sich der Mohn. / Ich hab eine rote Blüte verwehn, / zwischen den Halmen zerflattern sehn, / und habe den Blättern nachgeträumt; / und immer ist mir noch, ich schaue / in ihren Kelch, der glutumsäumt / sich jäh vertieft ins Dunkle, Blaue …
Schlagwörter: Mohn, Renate Hoffmann, Richard Dehmel, Sommer