27. Jahrgang | Nummer 8 | 8. April 2024

Die Einheitswippe – Return to Sender

von Stephan Giering

Return to sender, address unknown
No such number, no such zone


Elvis Presley (Blackwell/Scott)

 

Als ich neulich am Ufer der Spree entlang promenierte, sah ich ein Schloss an der Stelle stehen, wo früher Erichs Lampenladen stand. Spreewärts davor informierte mich ein Schild, dass genau hier eine Wippe gebaut werden solle, damit ich mal an die Deutsche Einheit denke. Das irritierte mich; denn wenn ich an die Deutsche Einheit denke, denke ich nie ans Wippen. Mit einer Wippe verbinde ich kindheitliche Erinnerungen auf einem Spielplatz und keine Denkmäler vor Schlössern oder Volkspalästen.

Früher, als Kind, saß ich „fest im Sattel“ auf der einen Seite einer langen Eisenstange und ein anderes Kind saß mir gegenüber auf der anderen Seite. Idealerweise waren wir beide gleich schwer, weil ansonsten die Wippe nicht hoch und runter wippte, sondern entweder ich oder das andere Kind einfach nur in der Luft hing, weil ich zu leicht oder zu schwer war. Das machte dann keinen Spaß. Ansonsten machte es mir Spaß zu wippen. Es machte mir Spaß, weil ich als Kind einfach Freude am Spielen hatte. Gottseidank waren die Wippen vorher staatlich inspiziert und geprüft worden, damit kein Kind herunterfallen und sich verletzten würde. Mein Körper blieb heil und wenn ich mich nicht täusche, habe ich als als jüngerer Erwachsener auch mal mit einer Freundin auf einer Wippe viel Freude gehabt. Meist saß die Freundin dann oben, weil sie leichter war als ich. Das machte mir aber auch Spaß, der Freundin ebenso. Trotzdem habe ich dabei nicht an die Deutsche Einheit gedacht. Ob es die Freundin tat, weiß ich nicht. Vom Wippen jedenfalls ist noch keine meiner Beziehungen aus den Fugen geraten.

Trotzdem kam ich ins Grübeln: Warum will der Bauherr dieser Wippe, dass ich beim Wippen an die Deutsche Einheit denke, wenn ich vor einem Schloss stehe? In der Demokratie ist ja das Staatsvolk der Souverän ergo „der König“. Ein König wohnt meistens im Schloss. Wenn der König oder die Königin aus dem Schloss schaut, sieht er oder sie also eine Wippe, auf der keine Kinder spielen. Eine freudlose Leere für die nicht vorhandenen Königskinder? Diese Vorstellung fand ich irgendwie traurig. Wozu braucht es dann vor dem Schloss eine Wippe, was sollte denn beim Herumwippen bei der Deutschen Einheit ins Lot gekommen sein? Ich ärgerte mich; nicht über die Deutsche Einheit, denn auf die hatte ich mich ja gefreut. Ich ärgerte mich vielmehr über diejenigen, die „so einen geschichtsvergessenen Schwachsinn“ beschlossen haben. Dann erschrak ich vor mir selbst und dachte nach: der Deutsche Bundestag, die legitime Vertretung des Deutschen Volkes, hat es so beschlossen. Und das alle Macht vom Volke ausgeht, hatte ich ja auch genauso gewollt. Um mich nun nicht auch noch bei mir selber zu beschweren, ging ich weg und vergaß die mir zum Nachdenken vorgedachte Wippe aus 120 Tonnen Stahl in Form einer riesigen begehbaren Schale.

Vor kurzem las ich in unseren Medien, dass die Einheitswippe wohl auf der Kippe stehe. Na besser ist es, dachte ich mir. Das ausführende Stahlunternehmen aus Nordrhein-Westfalen hat Insolvenz angemeldet, wurde kürzlich bekannt. Zugleich ärgerte ich mich darüber, was für eine Geldverschwendung dieses „Entscheidungshinundher“ eigentlich sei. Um mir selber Trost zu spenden, sagte ich zu mir in einem selbstironischen Ton, „na die Genossen werden sich wohl was dabei gedacht haben“. Auf keinen Fall stieß ich spontan die Worte „mein Gott, Walter“ aus und gebe auch nicht Erich Honecker die Schuld dafür. Das ich mich gelegentlich beim Deutschen Volk über die Einheitswippe beschweren und deshalb einen Brief an den Deutschen Bundestag schreiben werde, schließe ich für mich fest aus. Ansonsten müsste ich wohl damit rechnen, dass dieser Brief mit dem Vermerk „Return to Sender“ zu mir zurückkommt. Wenn das Elvis wüsste; der war ja auch mal ein König. Er war ein König des Rock and Roll. Aber das ist lange her und hat hiermit nichts zu tun. Etwas über Elvis zu Schreiben, wäre eine ganz andere Geschichte, die ich heute in meinem Ghetto aber nicht zu schreiben geneigt bin. Wenn das unser Kaiser wüsste. Ach Mensch, der ist ja schon längst tot und sitzt in Walhalla rechts oben im Eck.

 Ich werde zwar auch nie mehr wippen gehen, doch sobald der Frühsommer da ist, falte ich einen Zettel, auf dem ich vorher ganz geheim angekreuzt habe, wer mich am europäischen Königshof in Brüssel vertreten soll. Ich bleibe derweilen hier, in meinem Revier, schnuppere die Berliner Luft, mit ihrem „janz bsondern Dufft“ und werde dabei eine Ketwurst essen. Denn so etwas Köstliches gibt es nicht einmal in einer Schlossküche.