27. Jahrgang | Nummer 6 | 11. März 2024

Berlinale, Israel, Palästinenser

von Katharina Klages

Berlinale, Israel, Palästinenser, Gaza, Juden, Muslime, Film, Kunst, Festivals, Emotionen, Leid, Wut, Feuer, Friedenssehnsucht, Gerechtigkeitsforderungen, Vergeltungszorn, Solidarität, Anständigkeit – und wir so…

Mein Eimer Senf dazu nach Mitternacht: Entweder, es wird miteinander geredet, oder es wird miteinander geredet! Auch dann, wenn es anstrengend, emotional, schwer aushaltbar ist und eine Verständigung nicht in Sicht ist – aber alle, die miteinander reden könn(t)en, sich einig sind, dass sie Frieden wollen und das Leben lieben!

Es bringt keinem was, all jenen, die gestern „No other land“ applaudierten, per se „Antisemitismus“ zu unterstellen.

Das würde heißen: „Entweder Du findest es völlig in Ordnung, dass seit vielen Jahren palästinensische Kinder nur in Elend und Gewalt und Demütigung groß werden oder oft auch draufgehen – oder Du bist ein widerlicher, ekelhafter Antisemit, denn ohne Kritik an der israelischen Politik kann man das Leid der Palästinenser nicht deutlich machen…!“ –

Kritik an Israel ist noch lange kein Antisemitismus – und Solidarität mit Israel bedeutet nicht, dass kein Palästinenser mehr einen Film drehen und zeigen darf. –

Was ich den Verantwortlichen der Berlinale vorwerfe ist, nicht dafür gesorgt zu haben, dass auch israelische Beiträge eingeladen und fokussiert werden.

Nur, wenn man einander zuzuhören bereit ist, wenn man einander ernst nimmt, kann ein friedliches Miteinander entstehen. Aber niemals, indem man eine Seite als „Opfer“ und die andere als „Täter“ pauschalisiert.

Wenn es schon Künstlern unmöglich sein soll, miteinander in den Diskurs zu gehen, sich auszutauschen – wem soll es denn dann gelingen? Den aufgeheizten Demonstranten auf beiden Seiten, die der Gegenseite nur bitterste Vergeltung wünschen und von allen Anderen klare Unterstützung fordern –also, dazugehörend dann auch die komplette Verdammung der Gegenseite?

Ich war mal in einem Kibbuz in Israel, in dem Juden, Muslime, Christen undundund aus mehreren Nationen ein Zusammenleben wagten. Der kleinste gemeinsame Nenner war der Wunsch nach einem friedlichen, respektvollen, offenen Miteinander. In diesem Kibbuz lebten nur Menschen, die zutiefst bereit dazu waren – und dennoch war jeder Tag eine Herausforderung. Das begann schon mit der Frage, in welcher Sprache kommuniziert werden solle – hebräisch, man war ja in Israel? Aber Araber wohnen doch auch da – wieso also nicht arabisch…? Dann kracht es wieder irgendwo im Nahen Osten, und natürlich gibt es ganz unterschiedliche und emotionale Sichtweisen darauf – wie diskutiert man darüber in so einem Miteinander-Kibbuz?

Und wenn es da schon so schwierig ist, bei doch eigentlich Gutwilligen… – hat es denn dann „draußen“ irgendeinen Sinn, wo jeder die alleinige Deutungshoheit für sich beansprucht, wo jede andere Meinung als Abgrund der Hölle empfunden wird?

Die Berlinale muss bleiben – und zwar natürlich auch politisch! Was denn sonst? Mainstream aus Hollywood können wir uns ständig im UCI und CUBRIX angucken und dabei Popcorn schnurpsen!

Auf der Berlinale muss es knallen und stinken dürfen – aber dies muss klug angeleitet, moderiert, aufgefangen werden! Es muss klare Regeln und Strukturen geben! Dann kann auch ein Ben Russel im Pali-Tuch emotionale Sachen rufen, ohne dass ein Rückfall ins Jahr 1936 befürchtet werden muß. Es wurde nur ein Filmmensch emotional – nicht mehr und nicht weniger. Dann kann man es akzeptieren, dass Palästinenser ihre Situation im Gaza auch vor dem 7. Oktober als Genozid erlebten – aber genauso darüber reden, dass die Israelis sich seit Gründung Israels nun auch nicht so wirklich sicher ihres Lebens dort fühlten.

Es gibt auf der einen Seite eine Terrororganisation, bei der das Kind bereits im Brunnen liegt – mit Terroristen kann man nicht mehr reden, da ist alles zu spät… Und auf der anderen Seite gab und gibt es ebenso unheilvolle Entscheidungen und Aktionen, die viel Leid erzeugten und erzeugen. Keiner ist unverletzt, schmerzfrei, ohne Grauen und schreckliche Erlebnissen. Wie soll man so auf einen Nenner kommen und friedlich miteinander…

Es müssen Künstler beginnen, die Festivalgäste: Brücken schlagen, Gehör finden, zuhören, ein Miteinander wagen! Es ist sauschwer bis unmöglich… Aber die einzige Möglichkeit, die mir einfällt – damit die Terroristen nicht alles zerstören können! – Salem, Shalom, Frieden –

„Hass ist nicht willkommen!“ kann doch nicht nur bedeuten, fünf AfD-Politikern, die sich bestimmt friedlich benommen hätten, auch wenn man sie doof findet, die Einladung zu entziehen!

„Miteinander reden, Hass abbauen“ geht auch nicht über Wohlfühldiskussionen. Aber wer, wenn nicht wir…

Katharina Klages ist Pädagogin und Theatermacherin. Sie lebt in Berlin.