Er ist nicht – dies sei vorausgeschickt – aller Laster Anfang. Allenfalls das Ende aller Lasten! Anzustreben nach getaner Arbeit, durchwachten Nächten, anstrengenden Tagen oder erstiegenem Gipfel. Hernach ist es eine Wohltat, in den Zustand der Ruhe, des Nichtstuns hinüberzugleiten, den Kurt Tucholsky treffend das „Seelebaumeln“ nennt. Dann stellt sich die Lust, an neue Ufer vorzudringen, geläutert, ermutigt wieder ein. Demzufolge fördert der zwischenzeitliche Einsatz des Müßiggangs die Produktivkräfte. – Befragt man den Schriftsteller und Dramatiker Anton Pawlowitsch Tschechow in seiner Funktion als Arzt, so betont er: „Ich bin der Meinung, ein wirkliches Glück ohne Müßiggang ist unmöglich.“ Und ein glückloses Leben schadet der Gesundheit.
Deshalb greife man, um jegliche Einwände zu entkräften, nach dem kleinen, aber feinen Band (14 mal 10 Zentimeter groß, und 18 Seiten mit klugen Gedichten und Gedanken gefüllt), den Kristina Schaefer unter dem Titel „Wie ein Tag am Meer“ zusammenstellte. Man überlegt, wie verliefe er denn, ein solcher Tag in Muße? Nichts sehen als das Meer, nichts hören als das Meer, und nur mit den Fischen reden?
Richard Dehmel genügt ein Hauch, um den Luxus des Innehaltens zu spüren: „Der Himmel leuchtet aus dem Meer; / ich geh und leuchte still wie er. […] Ein Lüftchen haucht den Strand entlang: / o wundervoller Müßiggang.“ („Klarer Tag“) – Nach Jane Austen lässt sich das erholsame Verharren auch auf andere Weise erreichen: „An einem schönen Tag im Schatten zu sitzen / und ins Grüne zu schauen, / ist die wunderbarste Erfrischung.“ Wer möchte dem nicht zustimmen? – Hans Bötticher alias Joachim Ringelnatz sieht den Müßiggang von der heiteren Seite: „Zupf dir ein Wölkchen aus dem Wolkenweiß, / das durch den sonnigen Himmel schreitet. / Und schmücke den Hut, der dich begleitet, / mit einem grünen Reis. // Verstecke dich faul in die Fülle der Gräser. / Weil’s wohltut, weil’s frommt. / Und bist du ein Mundharmonikabläser / und hast eine bei dir, dann spiel, was dir kommt. // Und lass deine Melodien lenken / von dem freigegebenen Wolkengezupf. / Vergiss dich. Es soll dein Denken / nicht weiter reichen als ein Grashüpferhupf.“ („Sommerfrische“)
Zwar nicht gereimt, jedoch mit Ringelnatz sinnverwandt, äußert sich die preußische Königin Luise: „Ich muß den Saiten meines Gemütes jeden Tag einige Stunden gönnen, um sie gleichsam von Neuem aufzuziehen, damit sie den rechten Ton und Ausklang behalten.“ Besser kann man den Wert des Nichtstuns nicht glaubhaft machen. – Laotse, der weitsichtige Philosoph, vereint seine Erkenntnis in einem Satz: „Gönne dir einen Augenblick der Ruhe und du begreifst, wie närrisch du herumgehastet bist.“
Ähnlich gesinnte Gedanken hegen in dem gescheiten Bändchen, neben anderen: Max Beckmann, der Maler; der Dichter Friedrich Schiller; Marcus Tullius Cicero, römischer Politiker und Rhetoriker; der Religionsgründer Buddha Siddhartha Gautama; Emanuel Geibel, der Lyriker.
An Vorschlägen, den Müßiggang anzuwenden, mangelt es nicht: In Stille das Meer betrachten, oder an einem schönen schattigen Tag ins Grüne schauen oder im Grase liegen, oder sich auch einmal ohne Vorbehalt dem Nichtstun hingeben, oder nicht weiter denken als einen Grashüpferhupf, oder sich einen Augenblick der Ruhe gönnen.
Man wähle nach Herzenslust und bedenke: Zum Müßiggehen wird geraten, / denn es stiftet keinen Schaden. / Ganz im Gegenteile / verhilft es eine Weile / zur Rekonvaleszenz, / wer’s ausprobiert hat, kennt’s. / Drum stimmet ein in den Gesang / auf den gelobten Müßiggang.
Schaefer, Kristina: „Wie ein Tag am Meer,“ Der Rote Faden No. 184, Coppenrath Verlag, Münster, 2023, 18 Seiten, 2,95 Euro.
Schlagwörter: Kristina Schaefer, Müßiggang, Renate Hoffmann