27. Jahrgang | Nummer 5 | 26. Februar 2024

In memoriam Paulin J. Hountondji

von Gerd-Rüdiger Hoffmann

Wer Philosophie als das intellektuelle Bemühen betreibt, die Welt als Ganzes zu begreifen, sie zwar vom politischen Geschäft zu unterscheiden und dennoch darauf besteht, dass die Welt mittels vernünftigen Handelns im Sinne einer allgemein gefassten Menschlichkeit zu bessern sei, kommt an einem der bedeutendsten Philosophen der Gegenwart nicht vorbei: Paulin Jidenu Hountondji aus Benin, am 11. April 1942 geboren, am 2. Februar 2024 gestorben.

Die „eingreifendem Denken“ verpflichtete akademische und politische Öffentlichkeit, nicht nur in Afrika, verliert einen der kreativsten Intellektuellen. Er war in akademischen Kreisen Afrikas ein kontrovers diskutierter Autor und von Verfechtern des Alleinvertretungsanspruchs der westlichen Philosophie regelrecht angefeindeter Philosoph. Für Anhänger der sogenannten Ethnophilosophie war er ein Verräter an der Besonderheit afrikanischer Philosophie. Diese sollte darin bestehen, dass afrikanische Philosophie eben keine auf Vernunft und wissenschaftlichen Methoden beruhende Philosophie sei. Sie sei, einmal entstanden, eine weitgehend unveränderliche kollektive Weltanschauung, gekennzeichnet durch Mythen und Volksweisheiten.

Für Hountondji ist afrikanische Philosophie, die für ihn ohnehin nur im Plural zu denken ist, dagegen eine nie abgeschlossene Suche nach logisch begründbarer Gewissheit. Um Reflexion, das Nachdenken über das Denken, das schließlich auf Erkenntnis nicht nur mit Bezug auf das Resultat, sondern auch auf die Methode zielt, ginge es. Afrikanische Philosophie ist deshalb nach Hountondji ein offener Prozess. Seine These, dass selbst Philosophen, die sich als Afrikaner mit Aristoteles, Platon oder wie Hountondji mit Husserl, Althusser und Marx professionell beschäftigen, zur afrikanischen Philosophie zu zählen sind, sorgte für einen Aufschrei in der neokolonial verorteten Theologie und Ideologieproduktion.

Eine notwendige, wenn auch nicht ausreichende Bedingung für die Entfaltung des kritischen und erkenntnistheoretischen Potentials der afrikanischen wie jeder Philosophie und Wissenschaft im strengeren Sinne sei „die breite, demokratische Verwendung der Schrift“, so betonte Hountondji bereits 1973 in einem Vortrag, nachzulesen in dem leider im erst 1993 auf Deutsch im Berliner Dietz Verlag erschienenen Buch „Afrikanische Philosophie – Mythos und Realität“. Das war eine Kampfansage an eurozentristisches Denken, das afrikanische Intellektuelle immer wieder ermahnte, doch schön „authentisch“ zu bleiben und sich nicht mit kritischem Philosophieren ins wissenschaftliche und politische Agieren des Westens einzumischen.

Mehrere Autoren meinten, dass Hountondji diese harte Haltung gegenüber der Ethnophilosophie später relativiert hätte. Das scheint mir ein Missverständnis zu sein. Durch Gespräche mit ihm seit Ende 1989 weiß ich, dass er nie den Wert unterschiedlicher Versuche, sogenannte orale Literatur und Weisheitsphilosophie zu rekonstruieren, generell geleugnet hat. Er war gegen jede Verwendung dieser traditionellen Denkweisen im Interesse neokolonialer Interessen. In seinen Thesen über echten und falschen Pluralismus begründete er, dass auch Philosophieren in Afrika, genau wie in Europa, durch Kontroversen gekennzeichnet sei. Die „abendländische“ oder die „afrikanische“ Philosophie könne es so gar nicht geben.

Immer wieder war die Frage nach individuellen und allgemeinen Menschenrechten Schwerpunkt bei Hountondji. Selbstverständlich ginge es auch um den Stand der Menschenrechte in Afrika. Doch wieso sollten die Werte, die die Europäer als „ihre Werte“ bezeichnen, weltweit Allgemeingültigkeit besitzen? Schließlich, so schrieb Hountondji bereits in einem Aufsatz 1986, wird dieser Westen mit seiner „politischen Tradition“ von keinem anderen Teil der Welt „an Barbarei und Verachtung für die elementarsten Menschenrechte übertroffen“.

Paulin J. Hountondji war nicht nur Professor an verschiedenen Universitäten und Mitbegründer sowie Generalsekretär des Interafrikanischen Rates für Philosophie. Nach 1990 ging er unter dem Eindruck des demokratischen Aufbruchs in einigen Ländern Afrikas in die Politik. Er war zuerst Bildungsminister und dann bis 1994 Kulturminister in Benin. Die Diskussion mit ihm, ob das eine gute Entscheidung für den Philosophen gewesen sei, führte schließlich zu dem Ergebnis, dass sich dieses Experiment gelohnt habe. Gemeinsam kamen wir zu dem Schluss, dass Demokratie unter Beachtung afrikanischer Traditionen auch als argumentbasierte Demokratie und nicht bloß als Geschäftsordnung nach westlichem Muster funktionieren könnte, die schließlich auf die Macht der größeren Zahl hinausliefe. Genau beobachtend, grübelnd und präzise formulierend blieb Paulin Jidenu Hountondji auch als Politiker Philosoph.

Er wird fehlen.