27. Jahrgang | Nummer 4 | 12. Februar 2024

Die Wende in Polen – und in Ungarn?

von Árpád W. Tóta, Budapest

Ja, so sieht die Demontage eines autoritären Regimes in Polen aus. Kriminelle werden verhaftet, Hofdichter entlassen, Privilegien abgeschafft und dadurch erworbene Vermögenswerte beschlagnahmt.

In Warschau „grassiert der Terror“ – informiert die regierungsnahe Presse seine Leser in Ungarn. Nun ja, das passiert eben, wenn die Linke gewinnt! (die in Polen eigentlich die Rechte ist, aber sei’s drum.) Na, sowas! Die Propagandisten der PiS-Regierung, die tagein, tagaus gelogen hatten, wurden jetzt aus den öffentlichen Medien verbannt.

Niemand kann sich vorstellen, wie so etwas in Ungarn ablaufen würde. Danach könnte man ja zum Beispiel nie wieder solche Schlagzeilen lesen wie: „Der Journalist provozierte uns mit Fragen“ oder „George Soros tötete seine Mutter.“ Auf Kosten des Steuerzahlers würde über niemanden mehr verbreitet, er „sei ein homosexueller Muslim.“ Oh, nein! Soweit darf es nicht kommen!

Vor einiger Zeit wurden zwei Mitglieder der Kaczyński-Regierung wegen Amtsmissbrauch und Dokumentenfälschung rechtskräftig verurteilt. Die Beweise für das begangene Verbrechen waren eindeutig. Die Täter wurden vom amtierenden polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda – selbst Mitglied der Regierungspartei PiS – dennoch begnadigt. Nach dem Regierungswechsel wurden die Begnadigten wieder inhaftiert. Und dann wieder begnadigt.

Das Seltsame daran ist, dass es hier in Ungarn viel einfacher ist, das Recht zu brechen und es mit Füßen zu treten, als dort, wo es jetzt tatsächlich geschehen ist. Bei uns liest man in der Regierungspresse nur, dass die beiden Betrüger Mariusz Kamiński und Maciej Wąsik schuldig seien, weil sie „Exzesse im Kampf gegen die Korruption begangen“ hätten. Als hätten diese polnischen Batmans deren Untaten zu hart verfolgt. Was gebührt so einem dafür, wenn nicht Gefängnis?

Man sah in Polen wie die von den PiS-Wählern jetzt beweinten öffentlichen Medien arbeiteten: Mit skrupellos manipulierten Nachrichten, Schmutzkampagnen, die Vergötterung der Regierung und das Fehlen jeglicher Regeln. Ihre Rechtfertigung war: Wir sind an der Macht, wir bestellen die Musik.

Ob die Begnadigung durch den Präsidenten rechtens war, das ist nur Juristerei. Ansonsten ist die Begnadigung schon ein Indiz dafür, dass die beiden Verurteilten in der Tat Kriminelle sind.

Die Abwicklung des acht Jahre dauernden nationalen Systems der Kaczyński-Partei schreitet voran.

Im Gegensatz zur Fidesz in Ungarn ergatterte Kaczyński mit der PiS in Polen weder Unternehmen noch Paläste von Gutsherren. Dennoch war seine Partei nicht frei von Korruption, siehe zum Beispiel die für Nicht-EU-Bürger gegen Geld ausgestellten EU-Visa oder die Manipulationen mit öffentlichen Beschaffungen. Die Ermittlungen in der katholischen Kirche Polens wegen schweren Fällen der Pädophilie hatten bereits während der PiS-Regierung begonnen, Urteile? Fehlanzeige!

All das wird den Protest der gescheiterten Regierungspartei noch erbitterter werden lassen. Sie demonstrieren, sie toben und versuchen, ihre Anhänger zusammenzuhalten. Diese erwarten Hysterie – und die Tusk-Wähler hören sich die Schimpftiraden gelassen an. Insbesondere Frauen und Jugendliche haben jahrelang unter diesen muffigen und zynischen Manipulatoren der PiS gelitten. Sie warfen ihr Glück, ihre Freiheit und ihre Liebe als Beute vor die Füße von Kaczyński und Co. Und für diese Leute sollten sie jetzt ein Herz haben?

Bei den verurteilten und von Präsident Duda begnadigten Straftätern ging es nicht um einen Schauprozess, sondern um tatsächlich begangenes Verbrechen.

Das Abwickeln der, mit öffentlichen Geldern finanzierten Propagandakanäle ist ein Grundelement des Regimewechsels.

Polnische Populisten hatten nie so viel Macht wie die Fidesz-Partei in Ungarn. Und genau dies machte ihre Abwahl möglich. Offensichtlich waren die Möglichkeiten, sich in Polen Landschlösser, Universitäten und öffentliche Gelder unter den Nagel zu reißen, nicht so zahlreich wie in Ungarn. Somit sind auch die angehäuften Sünden geringer. Weniger Kriminelle, kürzere Haftstrafen.

In Ungarn sind die Verbrechen des illiberalen Regimes seit 2010 schwerwiegender und spektakulärer. Die nachgewiesenen milliardenschweren Korruptionsfälle betreffen nicht nur Staatssekretäre, sondern auch die Familie Orbán direkt.

In Polen kann man verfolgen, wie erfolgreich die Verteidigung eines kriminellen Regimes über die Bühne geht. Loyalität, Zusammengehörigkeit und das gemeinsame Erleben einer Niederlage treiben die PiS-Anhänger noch auf die Straße. Eine Revolution kann für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit viel eher stattfinden als für Schläger, die mit einer Begnadigung des Präsidenten auf freien Fuß kommen.

Nur so kann man in Polen das PiS System entsorgen, nämlich mit der Müllabfuhr. Sonst wäre freilich all die Mühe umsonst.

Also wird in Ungarn eine Wende nicht so ablaufen – es wird schmerzhafter. Das ist aber noch ein weiter Weg. Bis dahin kann jede Unterschlagung, jeder Wirtschaftsskandal und jede weitere Korruption den Tag der Abrechnung näherbringen – kein angenehmer Gedanke.

Übersetzt aus dem Ungarischen von Gábor Szász.