Im Herbst 1937 drangen die japanischen Truppen rasch ins Innere Chinas vor. Auf energischen Widerstand stießen sie nur in der von August bis November andauernden Schlacht um Shanghai, bei der auf chinesischer Seite Eliteeinheiten der Guomindang standen, die noch von deutschen Militärberatern ausgebildet worden waren. Die Guomindangregierung unter Jiang Jieshi floh am 30. November 1937 aus der Hauptstadt Nanjing den Yangzi-Fluss stromauf ins 500 km entfernte Hankou und nach dessen Fall im Oktober 1938 weitere 900 Kilometer stromauf nach Chongqing. In Nanjing verübten die japanischen Truppen nach Einnahme der Stadt am 12. Dezember 1937 ein sechs Wochen andauerndes Massaker, in dessen Verlauf sie mehr als 250.000 Zivilisten und bereits gefangengenommene Soldaten hinschlachteten und zehntausende Frauen vergewaltigten.
Die faschistische deutsche Regierung unternahm in diesen Wochen einen Vermittlungsversuch. Strategisch um Japans Kampfkraft fürchtend, die sie auf einen Krieg gegen die Sowjetunion zu richten hoffte, versuchte sie, die Guomindangregierung zur Annahme japanischer Friedensbedingungen zu bewegen, die ganz im Sinne des Antikominternpaktes auf einen gemeinsamen Kampf gegen die chinesischen Kommunisten hinausliefen. Der Versuch scheiterte. Die Gongchandang war aus dem Gesamtgefüge der chinesischen Gesellschaft und Politik nicht mehr auszuschließen.
Das hatte sie auch auf dem Schlachtfeld unter Beweis gestellt: Am 23. September 1937 errang sie mit der zu ihrer 8. Marscharmee gehörenden 115. Division unter dem Befehl von General Lin Biao am Pingxing-Pass in der Provinz Shanxi (knapp 300 Kilometer westlich von Beijing) einen zwar militärisch nicht nachhaltigen, psychologisch aber bedeutsamen Sieg über den japanischen Gegner. Die Dresdner Neuesten Nachrichten wie auch die Neue Mannheimer Zeitung vermittelten von diesen Vorgängen eine gewisse Grundahnung. Man halte in China – so berichteten sie am 13. bzw. 14. September 1937 in einer wortgleichen Meldung – „neue Kämpfe im nördlichen Schansi [Shanxi] für unmittelbar bevorstehend“. Die „Chinesische Rote Armee unter den Generalen Mao-Tse-tung [Mao Zedong] und Tschu-peit-teh [Zhu De]“ sei „nach den letzten Meldungen“ bis „Potau“ [?] vorgerückt, und sobald die Japaner mit der Stadt „Tatung [Datong]“ ihr „nächstes Offensivziel in diesem Frontabschnitt“ erreicht hätten, sehe man „dem ersten Zusammentreffen der chinesischen Kommunisten mit der regulären japanischen Armee […] mit großer Spannung entgegen“. Das war es wohl, worum es sich dann beim Kampf um den Pingxing-Pass, 100 Kilometert südlich von Datong gelegen, tatsächlich handelte.
Mit genauer Information hatte das nichts zu tun. Nicht nur waren die Ortsangaben vage; auch die Teilnahme von Mao Zedong und Zhu De an den Kämpfen entsprang wohl journalistischer Fantasie. Aber so war es nun „eingebürgert“: Diese beiden Namen standen fürs kommunistische Ganze. Und immerhin wurde deutlich, dass dieses Ganze sich den Japanern entschlossen entgegenstellte.
Gründliche Analyse statt oberflächlicher Nachrichten bot einmal mehr die antifaschistische deutsche Exilpresse. Am 4. Februar 1938 gab ein Autor (eine Autorin?) mit dem schönen Pseudonym Wai Guo-jen ([Waiguoren] ist das chinesische Wort für Ausländer/Ausländerin) in der Sozialistischen Warte des Internationalen sozialistischen Kampfbundes (ISK) einen Überblick über „Chinas Widerstand“. Darin hieß es zunächst, dass es „einen eklatanteren Zusammenbruch“ als den Chinas scheinbar „gar nicht geben“ könne und folglich „die bedingungslose Annahme der japanischen Forderungen (eine de facto Verwandlung Chinas in ein japanisches Protektorat) […] unvermeidlich“ scheine. Darum auch hätten Großbritannien und Deutschland Vermittlungsversuche unternommen. Jedoch wäre jede „Vermittlerrolle […] unmöglich, wenn das Kuomintang-[Guomindang-]China, mit dem solche Geschäfte zu machen sind, unterginge und an seiner Stelle ein revolutionäres China entstünde.“ Genau dies aber sei es, „wovor die Defaitisten Chinas und ihre imperialistischen Rückenstärker am meisten Angst haben.“
Die „Rolle der kommunistischen Führer Mao Tse-tung [Mao Zedong], Chou En-lai [Zhou Enlai], Chu Teh [Zhu De] u.a.“ betreffend gebe es – so Wai Guo-jen weiter – allerdings einander widersprechende Meldungen. Die einen sprächen von größerer Nähe zu Jiang Jieshi, die anderen eher von „Entfremdung“. „Festzustehen“ scheine jedoch, „dass die kommunistischen Armeeführer mit der Verteidigung des nordwestlichen Frontsektors betraut sind“, und das habe „wohl auch kaum anders möglich“ sein können, „denn die kommunistischen Truppen (die jetzige 8. Armee)“ seien „die einzigen“ gewesen, „die dem japanischen Einfall in Shansi [Shanxi] Widerstand geleistet“ hätten. Was die Strategie und Taktik der „kommunistischen Führer“ anging, so sei „bekannt“, dass sie „den endgültigen Erfolg des Krieges in der Anwendung einer konsequenten und auf lange Sicht hin berechneten Guerillataktik sehen“ – und „in der Tat“ sei dies wohl „die einzige Methode, mit der das technisch überlegene japanische Heer zur Erschöpfung gebracht werden könnte.“
Ein „Erfordernis dieser Taktik“ bestünde freilich in der „Bewaffnung der Bauernbevölkerung“ und der „Durchführung einer Massenpropaganda mit dem Ziel der Beteiligung Aller an einem revolutionären Freiheitskrieg“. Dies aber rufe bei Jiang Jieshi und den Seinen „begreiflichen Argwohn“ hervor, und so werde wohl „das unter direktem kommunistischem Kommando stehende Operationsgebiet […] seine eigenen Wege gehen.“ „Gerüchten“ zufolge schließe sich „der Nordwesten (die Provinzen Shensi [Shaanxi] und Kansu [Gansu]) bereits gegen das übrige China ab“, und man könne „annehmen, dass die direkte russische Hilfe dort etwas regere Formen annimmt, als es in anderen Gegenden von China der Fall ist.“
Und dann – so schließt die Passage zu den Kommunisten – gebe es noch eine „Nachricht aus Wuchang, die, wenn sie sich bewahrheiten sollte, Bände spricht“: Es solle dort eine „patriotische Studentendemonstration für Fortführung des Widerstandes“ gegeben haben, die „von der Polizei mit Schüssen auseinandergetrieben worden sei.“
Nachsatz: Zur Schreibweise der chinesischen Eigennamen. In den Zitaten wird die originale Schreibweise verwendet und in eckigen Klammern die heutige Pinyin-Schreibweise angefügt. Nicht hinzugefügt wird die Pinyin-Fassung dann, wenn bereits im Original mit Pinyin gearbeitet ist. Ebenfalls mit Pinyin gearbeitet wird im Fließtext.
Wird fortgesetzt
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