26. Jahrgang | Nummer 25 | 4. Dezember 2023

Wie Mao in deutsche Köpfe kam (X)

von Wolfram Adolphi

Am 7. Juli 1937 nahm die japanische Militärführung das später als „Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke“ („Lugouqiao-Zwischenfall“) in die Geschichte eingegangene Feuergefecht zwischen chinesischen und japanischen Soldaten zum Anlass, ihr bisher schrittweises Vordringen auf chinesisches Territorium – die Lugouqiao liegt im Südwesten von Beijing, also schon weit im chinesischen Inneren! – in eine umfassende, auf breiter Front vorgetragene Aggression umzuwandeln.

Der propagandistische Boden für die Unterstützung Japans durch das verbündete Deutschland war mit dem antikominternpakt-gemäßen Zweifel an der antikommunistischen Stabilität der von Jiang Jieshi geführten chinesischen Regierung bestens bereitet. „Der Kampf um China und gegen den Bolschewismus im Fernen Osten“ – so ließ es das 1936 im Nibelungen-Verlag Berlin-Leipzig erschienene großformatige Machwerk Der Weltbolschewismus, „Herausgegeben von der Anti-Komintern“, wissen – sei „ein Kampf von weltpolitischen Ausmaßen und einer wahrhaft geschichtlichen Bedeutung“. „Der Bolschewismus“ müsse als „Todfeind der chinesischen Welt- und Lebensauffassung […] mit Stumpf und Stiel ausgerottet“, „der Marxismus“, der „die Materie über Geist und Seele stellt“ und „den Klassenkampf predigt, […] auf Leben und Tod bekämpft“ werden. Jedoch ganz „unklar“ sei, ob die chinesische Staatsführung „wirklich stark genug“ wäre für all dies und den Sieg erringen könnte über die Kommunisten, als deren Führer im Buch „Mau-She-Tung [Mao Zedong], der“ – die zielbewusste Lüge ist fest etabliert! – „in der Sowjetunion und Deutschland studiert hat“, sowie der „Oberbefehlshaber der Roten Armee Chu-Te [Zhu De]“ namhaft gemacht wurden.

In der Presse lancierte der schon im Teil VIII dieser Serie zitierte Baron Ernst v. Ungern-Sternberg am 7. April 1937 im Führer. Hauptorgan der NSDAP Gau Baden in einem Text über „Chinesisch-Ostturkestan“ – „unter dem Namen Sinkiang [Xinjiang] als das älteste Kolonialland Chinas bekannt“  – eine scharfe Attacke auf die „Sowjetrussen“, für die in eben dieser Region „das offene Tor zum Herzen Innerasiens“ liege – mithin der Ort, von dem aus „die Verbindung zur chinesischen Sowjetregierung und zum bolschewistischen Räubernest Jui-Kin [Ruijin] hergestellt“ werde, wo „General Mao, ein etwa 36jähriger Zögling der Moskauer Propagandaschule“ und „besonderer Schützling Stalins“, ganz „im Sinne Moskaus“ die Herrschaft inne habe. – Die Lüge als Prinzip. Ruijin ein „Räubernest“? Mitnichten. Ruijin 1937? 1934 hatten die Kommunisten ihr Sowjetgebiet in der Provinz Jiangxi mit Ruijin als Hauptstadt geräumt und den Langen Marsch angetreten.  Mao ein „Zögling der Moskauer Propagandaschule“ und „besonderer Schützling Stalins“? Nie und nimmer. Aber der Lügner v. Ungern-Sternberg dem Führer zufolge ein Mann, der seine Beiträge „aus einer genauen Kenntnis des Landes“ und „eigener Anschauung“ verfasse.

Weshalb er am 11. August 1937 – da tobte die japanische Aggression bereits seit über einem Monat – im gleichen Führer unter der Überschrift „Der Bolschewismus in Chinanachlegen durfte (interessanterweise jetzt ohne den „Baron“ und das kleine „v.“). „Von den ersten Wochen an“, schrieb Ungern-Sternberg diesmal, „nachdem die Bolschewiken die rote Fahne auf den Zinnen des Kreml gehißt hatten“, habe „Lenin den Plan gefaßt, das kommunistische Evangelium nach Asien zu tragen“. „Mit eiserner Energie“ sei der „Sieg des Bolschewismus im Land des silbernen Drachens“ vorbereitet und, da sich „unter der Parole des Fremdenhasses, namentlich des Japanhasses, die Massen am leichtesten aufhetzen ließen“, dieser „künstlich geschürt“ worden. „Tschiangkaischek [Jiang Jieshi]“ sei es zwar „in schweren Kämpfen gelungen, die roten Armeen zu schlagen“, die aber hätten im „Räubernest Jui-Kim [Ruijin] im Innern Chinas“ – da ist es wieder, das „Räubernest“, und wieder mit falscher Verortung! – „eine kommunistische Republik gegründet“ mit „Mao-tse-Tung [Mao Zedong]“ als „Chef dieses Staates“. Am 26. September 1936 nun habe gar „der Steuermann der Weltrevolution, Dimitroff“, einen „Ukas an die kommunistischen Formationen in China“ gerichtet, eine „Volksfrontregierung ins Leben zu rufen, deren erste Pflicht die ‚Befreiung von der japanischen Militärclique‘ sein müßte.“

Am 25. August 1937 schlossen die Sowjetunion und China einen Nichtangriffspakt. Die Sächsische Volkszeitung nahm dies am 31. August 1937 zum Anlass für einen Rückblick dergestalt, dass die Jahre seit 1927 – dem Jahr, in dem Jiang Jieshi die Revolution blutig beendet und seine sowjetischen Berater ausgewiesen hatte – „ausgefüllt“ gewesen seien „mit blutigen Kämpfen der Nankinger [Nanjinger] Regierungstruppen gegen die roten Generäle und Provinzgouverneure, die in Yünnan [Yunnan], Schansi [Shanxi], Schensi [Shaanxi] und vielen anderen Gegenden sogenannte Arbeiterrepubliken errichtet“ hätten. Von „Blut und Tränen“ sei der „Weg der roten Horden“ gekennzeichnet, und „Namen wie Mao-Tse-tung [Mao Zedong] und Li Tsu-tan [?]“ seien „in ganz China berüchtigt geworden“. Dass es nun dennoch zu einer Zusammenarbeit zwischen der Guomindang und den Kommunisten komme, zeige, dass viele „vaterlandstreue Chinesen“ es für „ausgeschlossen“ hielten, dass „der Kommunismus jemals das Land des Konfuzius erobern könne“, und daher meinten, „man könne sich getrost der kommunistischen Bundesgenossen für den antijapanischen Kampf bedienen“. Es sei „im Vertrauen auf die innere Gesundheit und Immunität seines Volkes“, dass „Tschiangkaischek [Jiang Jieshi] […] alles auf eine Karte“ setze.

Womit dieser jedoch – meinte am 18. September 1937 wiederum der Führer. Hauptorgan der NSDAP Gau Baden – der „Bolschewisierung Chinas […] „den Weg freigegeben“ hätte. „Tschu De [Zhu De] und mit ihm ein anderer kommunistischer General, Mao-Tse-Tung [Mao Zedong]“, hätten ihm schon am 8. Juni „ein Telegramm gesandt, in dem sie sich bereit erklärten, gemeinsam mit den Regierungstruppen gegen Japan zu kämpfen“; Zhu De befinde sich „mit einem Bandenheer von 52.000 Mann“ bereits „auf dem Marsche zur nordchinesischen Front“.

 

Nachsatz: Zur Schreibweise der chinesischen Eigennamen. In den Zitaten wird die originale Schreibweise verwendet und in eckigen Klammern die heutige Pinyin-Schreibweise angefügt. Nicht hinzugefügt wird die Pinyin-Fassung dann, wenn bereits im Original mit Pinyin gearbeitet ist. Ebenfalls mit Pinyin gearbeitet wird im Fließtext.

Wird fortgesetzt.