26. Jahrgang | Nummer 23 | 6. November 2023

Film ab

von Clemens Fischer

Wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, eine Aufgabe zu erledigen, und eine davon in einer Katastrophe endet oder sonstwie unerwünschte Konsequenzen nach sich zieht, dann wird es irgendjemand genau so machen.“ So lautet die Urfassung von Murphy’s Law, die es natürlich nie in den Kanon wissenschaftsaffiner Allgemeinbildung geschafft hätte. Dazu bedurfte es der Kurzfassung, die bekanntermaßen lautet: „Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.“

Edward Aloysius Murphy Jr. war ein US-amerikanischer Ingenieur, der sein Gesetz formulierte, als er Ende der 1940er Jahre an der Entwicklung des Antriebs von Schleudersitzen für Kampfpiloten beteiligt war. Wäre er in der Filmindustrie beschäftig gewesen, hätte er zu seiner Erkenntnis schon Jahrzehnte früher kommen können – wenn man nur an die Slapstickklamotten von Laurel & Hardy oder Buster Keaton denkt.

Zahllose Filmkomödien haben seither – mal schlechter, mal besser – nach diesem Rezept funktioniert und tun es weiter. Derzeit gerade „Ein Fest fürs Leben“, das späte Kinodebüt des Fernsehregisseurs Richard Huber (unter anderem „Tatort“, Dortmund). Das ist zwar bloß ein Remake des französischen Streifens „Das Leben ist ein Fest“ (von Éric Toledano und Olivier Nakache , die vor zwölf Jahren mit „Ziemlich beste Freunde“ einen Welthit landeten), der 2018 auch durch die deutschen Kinos ging, doch dank Hauptdarsteller Christoph Maria Herbst („Stromberg“, „Merz gegen Merz“) und einer auch sonst bis in die Nebenrollen höchst stimmigen Besetzung sowie nicht zuletzt dank einiger gut gehandhabter running gags ein durchaus amüsantes.

Und wenn Gelegenheit ist, dann sollte man sich den Film im Kino Center Husum (Nordfriesland) ansehen. Dort gehört zu jedem der sehr bequemen Kinosessel ein schmales Abstellbord. Betätigt man den dort gut sichtbar platzierten Taster, nähert sich vorm Filmstart eine freundliche Servierkraft und erfüllt Getränkewünsche. (Eis und Chips gibt’s im Foyer.) Das funktioniert selbst in einer Nachmittagsvorstellung um 16:00 Uhr mit lediglich fünf Besuchern …

„Ein Fest fürs Leben“ – Regie und Drehbuch: Richard Huber; derzeit in den Kinos.

*

Es soll ja immer noch gläubige US-Enthusiasten geben, die die Vereinigten Staaten für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten halten und dabei insbesondere den Mythos „vom Tellerwäscher zum Millionär“ vor Augen haben. Dabei dürften Beispiele von unbegrenzten Möglichkeiten viel leichter in monströs-kriminellen Kontexten zu finden sein – von Bernard Madoff, der zum Symbol des US-Börsenwahns wurde, weil er 65 Milliarden Dollar veruntreut hatte, über den Serienmörder Jeffrey Dahmer, dem 16 von 17 gestandenen Morden nachgewiesen werden konnten und der Teile seiner Opfer verspeist hatte, bis zum Amokläufer Stephen Paddock, der in Las Vegas im Oktober 2017 aus dem 32. Stock eines Hotels das Feuer auf gut 20.000 Gäste eines gegenüberliegenden Festivals eröffnete und 58 Menschen tötete.

Ebenfalls in dieser Liga spielt das Schicksal des indigenen Stammes der Osage. Der war im Zuge der Eroberung des US-amerikanischen Westens nicht gänzlich ausgerottet, sondern lediglich aus seinen angestammten Lebens- und Jagdgründen in eine wirtschaftlich wertlose Gegend in Oklahoma vertrieben worden. Wertlos – bis dort 1897 Erdöl zu sprudeln begann. Das machte die Osage quasi über Nacht reich, sie wurden zum Volk mit dem damals global höchsten Pro-Kopf-Einkommen. Dass dies die Begehrlichkeiten von zwar christlichen, ansonsten jedoch völlig skrupellosen Weißen weckte, die bereit waren, im Wortsinne über Leichen zu gehen, um die wirtschaftlichen Verhältnisse wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen, versteht sich. Die Geschichte ist in Daniel Granns Buch „Killers oft he Flower Moon: The Osage Murders and the Birth of the FBI“ nachzulesen. Daraus hat Martin Scorsese jetzt einen Film gemacht, der den Vergleich mit solchen Meilensteinen seines Œvres wie „Taxi Driver“ (1976), „Wie ein wilder Stier“ (1980“ oder „GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia“ (1990) nicht zu scheuen braucht. Alle drei mit Robert De Niro in der Hauptrolle, der dafür einmal als Bester Hauptdarsteller für den Oscar nominiert wurde („Taxi Driver“) und ihn einmal erhielt („Wie ein wilder Stier“). Die zweite Hauptrolle spielt De Niro – neben Leonardo DiCaprio – auch jetzt wieder. Der Streifen dauert endlose 206 Minuten, und keine davon ist langweilig. Der Film ist im Übrigen durchaus eine Bestätigung des Amerikanischen Exzeptionalismus, also jener Ideologie, die postuliert, dass den USA eine Sonderstellung gegenüber allen anderen Nationen der Welt zu beanspruchen zusteht – nämlich in ihrer einzigartigen Mischung von brutaler Gewalt (Mord inklusive), unmenschlicher Unterdrückung, grenzenloser Habgier sowie kapitalistischer Expansion, deren Erscheinungs- und Wirkungsweisen Scorsese in seinem Film sehr eindrucksvoll Revue passieren lässt. Und ganz zum Schluss setzt der Regisseur noch einen drauf, indem er in einer vom FBI und von Lucky Strike gesponserten Radioshow in eigener Person ans Mikrofon tritt und vorträgt, was aus Ernest Burkhart (DiCaprio), der Hauptfigur des Films, nach den Verbrechen an den Osage wurde. Ein Kritiker der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung nannte diese Szene trefflich „eine ironische Volte […], die demonstriert, das jedes noch so abscheuliche Ereignis der amerikanischen Geschichte irgendwann in Entertainment verwandelt […] wird“. Ein Wesenszug, der der erwähnten für die USA charakteristischen Mischung durchaus ebenfalls zugehörig sein dürfte.

„Killers of the Flower Moon“ – Regie und Drehbuch (Mit-Autor): Martin Scorsese; derzeit in den Kinos.

*

Er spielte in zwei „Harry Potter“-Filmen, den Ehemann von Margret Thatcher (gegeben von Meryl Streep) in „Die Eiserne Lady“, den Vater von „Bridget Jones“ und war außerdem zu sehen in „Moulin Rouge“, „Paddington“, „Gangs of New York“ sowie „Game of Thrones“, und einen Oscar als Bester Nebendarsteller bekam er für „Iris“, als Gatte der in die Demenz abgleitenden anglo-irische Schriftstellerin Iris Murdoch (Judy Dench). Trotzdem und ungeachtet seiner inzwischen fast 75 Lenze tingelt er noch immer mit der bereits von seinen Eltern gegründeten Laientheatertruppe Holton Players, deren Präsident er ist, über Land. 2002 winkte er ab, als die Queen im den Verdienstorden als Officer of the Order of the British Empire verleihen wollte. So ganz alltäglich, wie er von seiner äußeren Erscheinung her wirkt, ist der Brite Jim Broadbent, dessen Zwillingsschwester bereits unter der Geburt starb, also keineswegs.

Nun jedoch dieses Rührstück, in dem – offenbar unter vorsätzlichem Verzicht auf jeden Anflug einer einigermaßen nachvollziehbaren Plausibilität seitens Drehbuch und Regie – ein totsterbenslangweiliger Rentner angelegentlich eines Zufallsplauschs mit einer Aushilfskraft an irgendeinem Verkaufstresen plötzlich zur Erkenntnis der völligen Belanglosigkeit seiner bisherigen Existenz gelangt und sich aus dem Stand sowie mit nachgerade revolutionärem Furor doch noch zu einer existenziellen Lebenssinnerfahrung aufrafft, an deren bleibendem Wert er schlussendlich dann doch wieder zweifelt. Man muss das Kino während der Vorstellung deswegen nicht gleich verlassen, doch wäre man gar nicht erst hineingegangen, man hätte nichts verpasst.

„Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“, Regie: Hettie Macdonald; derzeit in den Kinos.