Clemens Heyder möchte mit der Druckfassung seiner 2021 in Bielefeld vorgelegten Dissertation einen Beitrag zu einer notwendigen gesamtgesellschaftlichen Debatte über die Familie und ihre Entstehungsbedingungen sowie die ethische Dimension reproduktionsmedizinischer Unterstützung leisten. Sein erklärtes Ziel dabei ist, die Eizellspende auch in Deutschland zu legalisieren, denn das bestehende Verbot zeuge „von einem Mangel an Wertschätzung des Kinderwunsches und ist zugleich Ausdruck der Missachtung des Leidens an ungewollter Kinderlosigkeit“.
Unabhängig von dieser Erklärung in seinem Schlusskapitel nimmt er die geforderte Debatte jedoch bereits mit seiner Ausgangsfrage in der Einleitung vorweg: Wieso „kann etwas verboten sein, was eigentlich ganz normal ist?“ Dies ist meines Erachtens das entscheidende Manko seines Buches – auch dann, wenn eine Auseinandersetzung mit Argumenten gegen eine Legalisierung der Eizellspende in Deutschland erfolgt, lässt er immer von vornherein durchblicken, dass er diese für nicht stichhaltig hält bzw. argumentiert teilweise mit merkwürdigen Vergleichen (wie etwa beim Vergleich des Risikoverhaltens einer Eizellspenderin mit dem einer Bergarbeiterin oder Rennfahrerin).
Mit dem Verbot der Eizellspende solle seiner Meinung nach nicht das Wohlergehen des Kindes geschützt werden, sondern die Aufspaltung der Mutterschaft werde als Gefahr für die kulturelle Bedeutung der Familie und damit auch für die soziale Ordnung wahrgenommen. Zu Recht verweist er allerdings darauf, dass der Gesetzgeber zwar vielfach auf „Kindeswohl“ abhebt, dieses aber weder definiert, noch begründet habe, worin dessen Gefährdung bestehen könnte.
Der Wert der Fortpflanzung bestimmt sich für Clemens Heyder über das Ziel der Familiengründung, nicht über den Weg. Damit beinhalte die reproduktive Autonomie grundsätzlich die Wahl der Mittel. Eine merkwürdige Argumentation für einen Ethiker! Alle mir bekannten ethischen Theorien beurteilen stets sowohl Ziel als auch Mittel!
Da die Eizellspende freiwillig sei und die Spenderin sich der gesundheitlichen Risiken bewusst sei – dies setzt er einfach voraus bzw. geht davon aus, dass die Aufklärung überall ausführlich durchgeführt und verstanden wird – würde sie auch nicht durch das medizinethische Prinzip „nicht schaden“ geschützt. Laura Perler verweist in ihrer exzellenten Analyse der Situation in Spanien gerade auf das Gegenteil („Selektioniertes Leben. Eine feministische Perspektive auf die Eizellspende“, 2022). Und selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte: „Individuen vor sich selbst zu schützen, ist kein Standard einer liberalen Ethik“, zitiert er zustimmend den amerikanischen Philosophen Joel Feinberg. „Aus liberaler Sicht umfasst die individuelle Freiheit auch die Freiheit zu selbstschädigenden Handlungen.“
Die Kosten für die reproduktionsmedizinische Maßnahmen (Forschung, Aufbau von Kliniken, Ausbildung des Personals, Anwendung etc.) seien kein Schaden im moralischen Sinn. „Es gibt zwar Gründe, warum das Geld besser in die Kinderchirurgie oder die Onkologie investiert werden sollte, doch das ist keine moralische, sondern eine politische Frage. Wenn sich eine Gesellschaft dazu entscheidet, sich die Reproduktionsmedizin als Teil der medizinischen Daseinsfürsorge leisten zu wollen, dann sind die damit verbundenen Kosten kein Schaden, sondern eher eine Investition in den Erhalt des hohen individuellen und sozialen Werts der Fortpflanzung.“ Daraus resultiere auch eine Pflicht des Staates zur vollständigen Kostenübernahme.
Die von ihm gestellte wichtige Frage nach Entscheidung über gesellschaftliche Prioritäten wird leider nicht weiter ausgeführt. Statt dessen geht er auf Probleme der Kommerzialisierung dieses Geschehens ein und betont einerseits, dass Eizellen keine Ware sein dürften (die Eizellspende sei als Dienstleistung zu betrachten), gleichzeitig argumentiert er lang und breit über die Höhe einer möglichen Kompensation für die Spenderin und kommt dabei zu dem Schluss, dass „das Nutzen des eigenen Verhandlungsvorteils […] ein marktübliches Verhalten ist“, welches die Eizellspenderin durchaus nutzen könne, wenn sie um den dringenden Kinderwunsch bzw. die verzweifelte Situation des Paares weiß. Das er damit doch wieder beim Thema Kommerzialisierung ist, entgeht ihm offensichtlich.
Das Buch kann durchaus zum gesellschaftlichen Dialog beitragen – wenn sich die Leserschaft stets bewusst ist, dass Clemens Heyder ausschließlich vom Standpunkt einer liberalen Sichtweise (mit den höchsten Werten persönliche Freiheit und Selbstbestimmung) argumentiert. Dass dies in einem zunehmend multikulturellen Staat wie Deutschland stillschweigend vorausgesetzt werden kann, scheint mir allerdings nicht der Lebensrealität zu entsprechen. Gleichfalls bezweifelt werden muss die Umsetzbarkeit seiner ebenfalls nur erwähnten Forderung zu einer im globalen Maßstab notwendigen einheitlichen Gesetzgebung (um Ausbeutung von Frauen aus ärmeren Ländern zu vermeiden), die Ungerechtigkeiten ausschließen würde.
Clemens Heyder: Familiengründung mittels Eizellspende. Zur Ethik einer reproduktionsmedizinischen Praxis in der liberalen Gesellschaft, de Gruyter Verlag, Berlin / Boston 2023, 315 Seiten, 144,95 Euro.
Schlagwörter: Clemens Heyder, Eizellspende, Kommerzialisierung, Reproduktionsmedizin, Viola Schubert-Lehnhardt