26. Jahrgang | Nummer 25 | 4. Dezember 2023

Erinnerungen eines Verlegers

von Mathias Iven

Wer ihn einmal erlebt hat, wird sich noch lange daran erinnern. Nicht nur an seine druckreife Sprache und den Tiefgang und zugleich hintergründigen Humor seiner Texte. Vor allem seine Bescheidenheit beeindruckt. Als Michael Krüger 2013 seine Tätigkeit beim Hanser Verlag beendete, dachten viele seiner Kollegen: Jetzt wird er seine Memoiren schreiben. Weit gefehlt. „Ich war natürlich geschmeichelt, aber auch, offen gesagt, verblüfft darüber, was sie sich erwarteten. Skandale? Enthüllungen? Beleidigungen? Ratschläge, wie man mit Autoren tunlichst nicht umgehen sollte?“ Hatte er doch seiner Meinung nach über mehr als vier Jahrzehnte hinweg „nichts anderes getan, als mit [s]einen klugen, umsichtigen, belesenen Kolleginnen und Kollegen den Verlag zu leiten“.

Und heute? Pünktlich zu seinem 80. Geburtstag am 9. Dezember liegen sie nun doch vor uns, die Erinnerungen eines Verlegers, der neben Siegfried Unseld oder Klaus Wagenbach zu den prägenden Gestalten der bundesrepublikanischen Literaturszene gehört. Einiges von dem, was man jetzt nachlesen kann, hat Krüger in den letzten Jahren bereits an anderer Stelle veröffentlicht, so in der Neuen Zürcher Zeitung, in Sinn und Form oder in der Zeitschrift für Ideengeschichte. Das war und ist vor allem seiner Art sich zu erinnern geschuldet. Denn, so Krüger: „Bei mir ist alles unsicher, vieles verschwimmt, und wenn ich etwas ganz klar vor Augen habe, dann fehlen mir die Worte, es auch so präzise hinzuschreiben. Es ist mir, mit anderen Worten, vollkommen unmöglich, mein Leben als einen erzählbaren Ablauf zu sehen und darzustellen.“

Doch kommen wir zurück auf das, woran er sich erinnert – oder auch, woran er sich zwar erinnert, worüber er aber, wie er in seinem Vorwort erklärt, nicht schreibt. Als da sind seine Sicht auf die Geschichte des Hanser Verlages, seine Zeit als Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, seine Faszination für den sogenannten Jungen Deutschen Film oder auch das Münchner Leben und das „Schwabinger Gefühl“. – Ohne an dieser Stelle zu viel zu verraten: Krügers Buch bietet genügend anderen Stoff …

Da sind die Geschichten seiner Nachkriegskindheit zwischen Nikolassee, Schlachtensee und Wannsee; er erzählt von seiner Lehrzeit beim F. A. Herbig Verlag am Berliner Hohenzollerndamm, und er denkt zurück an die im Londoner Kaufhaus „Harrods“ verbrachten Monate sowie seine Beteiligung am Aufbau eines International Book Departments. Natürlich schreibt er auch über den Hanser Verlag, über den Gründer Carl Hanser, den Krüger „nur in Anzug und Krawatte gesehen“ hat, „also immer etwas zugeknöpft, zurückhaltend, vorsichtig“, oder auch über den langjährigen Cheflektor Fritz Arnold. Krüger selbst hat die Arbeit im Verlag, den er von Anfang an als seine „Akademie“ betrachtete, „bis zum Ende als nachgeholtes Studium verstanden“. Sein Credo lautet dementsprechend: „Ich war der lebenslange Student, der sich die besten Lehrer suchen durfte und dafür sogar noch ein Gehalt bezog.“

Eigene Kapitel hat Krüger dem Schriftsteller Reinhard Lettau, dem Verlegerfreund Klaus Wagenbach und dem Germanisten Walter Höllerer gewidmet. Hinzu kommen seine Erinnerungen an schwedische, israelische, amerikanische, holländische und polnische Dichter-Freunde. Besonders sind ihm seine römischen Winter im Gedächtnis geblieben, die Begegnungen mit Schriftstellern wie Alberto Moravia, Elsa Morante, Natalia Ginzburg, Italo Calvino, Claudio Magris oder Umberto Eco und die Gespräche mit Verlegern wie Inge Feltrinelli oder Roberto Calasso. Mit Blick auf das in Italien Erlebte bekennt Krüger unumwunden: „Und sollte ich noch einmal zur Welt kommen, was ja nicht ausgeschlossen ist, werde ich in Rom leben und italienisch sprechen, das sei hiermit versprochen.“

Diese Erinnerungen sind ein Lesevergnügen ohnegleichen! Herzlichen Glückwunsch Michael Krüger!

 

Michael Krüger: Verabredung mit Dichtern. Erinnerungen und Begegnungen, Suhrkamp Verlag, Berlin 2023, 447 Seiten, 30,00 Euro.