Das Goethe-Theater in Bad Lauchstädt ist der genau passende Ort für das „Festspiel der Deutschen Sprache“. Für die Festspiel-Erfinderin und künstlerische Leiterin Edda Moser ist Bad Lauchstädt eine Insel des guten Geschmacks. Ministerpräsident Reiner Haseloff geht es um die Sprache als Kulturgut im Lande Luthers und darum, den Versuchen, „uns ein Kunstprodukt aufzudrücken“, etwas entgegenzusetzen. Im Goethe-Theater wusste jeder, was gemeint ist. Man kommt nicht zuletzt deshalb hierher, um das geistige Immunsystem gegen die Doppelpunkt-, Lücken-Unterstrich- und sonstigen Viren zu stärken, die die Sprache Luthers, Goethes oder Thomas Manns attackieren. Es geht hier aber nicht nur darum wie, sondern immer auch um das, was gesprochen wird.
Wenn Sopranlegende Edda Moser, die am 27. Oktober ihren 85 Geburtstag beging, ruft, dann kommen erstklassige Mimen und lesen zentrale Texte der deutschen Literatur. Diesmal eröffnete Georg Büchners (Anti-)Revolutionsstück „Dantons Tod“ das Festspiel. Mit Stars wie Thomas Thieme als Danton und Sven-Eric Bechtolf als Robespierre. Gleich neben Danton war Markus Gertken dessen Freund Camilie. Stefan Hartmann als St.Just war der jugendliche Einpeitscher des Blutmessias Robespierre. Berndt Hahn las Hérault-Séchelles, Andrea Clever Camilles Frau Lucille. Als Chor und in vielen weiteren Rollen komplettierten Barbara Schnitzler, Udo Schenk, Christian Grashof, Hans-Martin Stier, Jacob Walser und Tatja Seibt das hochkarätige Aufgebot. Die als Dantons Gattin Julie beteiligte Julia von Sell hatte kurzfristig die Regie übernommen. Die Bühne kam diesmal (passenderweise!) ohne die historische Bibliotheks-Kulisse aus. Auf der weißen Rückwand waren lediglich die Schlagworte der französischen Revolution Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit zu lesen. Dabei war Brüderlichkeit durchgestrichen und daneben durch das angekippte Wort Guillotine korrigiert. Das ist die denkbar knappste und treffendste Form, um die Richtung zu markieren, in die der Büchnertext wuchert. Man hatte schon vergessen, wie reflektiert und auf Existenzielles zielend er ist. Zumal, wenn keine szenische Aktion dem Text einen Teil der Aufmerksamkeit entzieht. Die zwei Stuhlreihen waren eine Aufstellung wir für ein gesprochenes Wortoratorium, bei dem genaues Zuhören das Gebot war.
Der sinnliche Danton scheint bei Thieme vom revolutionären Dauerblutbad müde, gar weg zu dämmern, schlägt die Mahnungen, sich gegen das drohende Unheil zu stellen, in den Wind, explodiert aber regelrecht bis an die Grenze des Zusammenbruchs, als sie es eben doch wagen, sich an ihm zu vergreifen. Der Satz „Die Revolution frisst ihre Kinder“ bringt das revolutionäre Dilemma auf den persönlichen Punkt. „Der Zweck heiligt die Mittel“ ist die Essenz, die als Steilvorlage auch auf heute laufende Debatten weist.
Es gehört zum Markenkern dieses Festspiels, dass die Texte zunächst im Bündnis mit dem genius loci gleichsam auf eigene Rechnung von Innen zum Leuchten gebracht werden. Hinzu kommt dann aber, dass sie am Vormittag danach im Kursaal beim philosophisch-literarischen Gespräch aufgegriffen und zum Ausgangspunkt für die Diskussion zentraler Fragen der Gegenwart werden. Stammgast dabei ist mit Rainer Haseloff (CDU) der mittlerweile dienstälteste Ministerpräsident der Bundesrepublik. Diesmal saß er mit dem Würzburger Historiker Peter Hoeres und Alexandra Gerlach als Moderatorin auf dem Podium. Für Haseloff ist Bad Lauchstädt allemal ein Heimspiel, das ihm offensichtlich Spaß macht. Wenn er im Bundesrat das Mikrofon zu sich biege und auf den Wortmeldeknopf drücke, würden sie immer alle zusammenzucken – meinte er (mit einem Augenzwinkern). Im Kursaal zuckte niemand, sondern erlebte einen Mann, der seine DDR-Sozialisierung nicht verleugnet und für einen aktiven Politiker erstaunlich reflektiert argumentiert. Unter dem Motto „Freiheit höhlt das Recht und Recht die Freiheit aus“ ging es in den von Alexandra Gerlach klug und souverän moderierten zwei Stunden um nicht weniger als das Spannungsverhältnis von Freiheit und Recht. Auch als es dann um die Einschränkung von Freiheitsrechten in Krisensituationen (siehe Pandemiebekämpfung), den Zusammenhalt der Gesellschaft (wie beim Umgang mit der Migration), die Erosion von Streitkultur (auch in der Wissenschaft) und die Verengung des Meinungskorridors (auch in den Medien) ging, tauchte der jugendliche Furor von Büchners Sprache mit ihrem menschheitssüchtigen, über den historischen Gegenstand hinaus weisenden Impetus, immer wieder auf. Allein die Tiraden Robespierres über den Terror und die Tugend wirken wie ein Menetekel für eine unbelehrbare Menschheit. Und als stete Mahnung, dass auch der noch so gute Zweck eben nicht die Mittel heiligt und unsere Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeit.
Schlagwörter: Bad Lauchstädt, Edda Moser, Joachim Lange, Sprache als Kulturgut