Jeder von uns hat drei Leben,
ein öffentliches, ein privates
und ein geheimes.
Paolo Genovese
Wir sind im stimmungsvoll mit bunten Luftballons geschmückten Eingangsbereich des Theaters am Potsdamer Platz und freuen uns auf die Premiere: „Das perfekte Geheimnis“. Das kann nur spannend werden!
Doch zunächst zeitlich zurück: Der italienische Film „Perfetti Sconosciuti“ (Perfekte Unbekannte) erlangte 2016 überraschend große Aufmerksamkeit. Paolo Genovese schrieb das Drehbuch und führte gleichzeitig die Regie. Innerhalb weniger Jahre – nicht einmal eine Dekade dauerte es – wurde der Film über zwanzig Mal als Remake verfilmt. Spanien, Frankreich, Südkorea, China, Russland, Deutschland, Japan, Israel, Ägypten, zuletzt Indien sind einige der Staaten in der chronologischen Reihenfolge der Fassungen.
Die deutsche Verfilmung des Stoffes kam 2019 unter dem Titel „Das perfekte Geheimnis“ in die Kinos, wurde ein großer Publikumserfolg und erhielt 2020 den Deutschen Filmpreis als „besucherstärkster Film“ – fünf Millionen Zuschauer. In dem urkomischen und unterhaltsamen Film agierten glänzend Elyas M’Barek, Florian David Fitz, Karoline Herfurth, Emely Kusche, Frederick Lau, Wotan Wilke Möhring und Jessica Schwarz.
Das Drehbuch von Paolo Genovese war die Vorlage für seine Theateradaption, die Sabine Heymann ins Deutsche übertrug. Die deutschsprachige Erstaufführung wurde am Wiener Theater in der Josefstadt 2021 inszeniert. Weitere Theater folgten: Hamburg, München, Aachen, Karlsruhe, Bern, Speyer, Frankfurt a.M., Salzburg.
Jetzt also ist die erfolgreiche Theaterfassung in Berlin angekommen. Ein Thema, das offenbar viele Menschen weltweit sehenswert finden. Vor wenigen Tagen am 29. Oktober hatte die Berliner Version in der Komödie am Kurfürstendamm ihre ausverkaufte Premiere. Wegen der noch immer unfertigen eigenen Spielstätte gastiert die Komödie aktuell im Theater am Potsdamer Platz. Komödienchef Martin Woelffer selbst führt die Regie des Stückes in dem Traditionshaus.
Zu Beginn des Premierenabends die Stimme aus dem Off mit der üblichen Bitte, die Mobiltelefone auszuschalten, und mit dem Nachsatz: „Wenn der Theaterabend vorbei ist, wissen Sie warum.“ Die ersten wohlwissenden Lacher. Die werden über den Abend immer häufiger, anhaltender, kräftiger und mit begeistertem Szenenapplaus ergänzt. Man amüsiert sich köstlich.
Wir sehen ein Kammerspiel: drei attraktive junge Frauen, vier ebensolche Männer, eine pubertär nervende Tochter, eine Wohnung als Szenenbild.
Auf der Bühne stehen eine Couch, zwei Drehsessel ein kleiner Couchtisch und dahinter eine erhöhte Kochinsel mit Hochstühlen davor. Links und rechts der Bühne hängt jeweils eine große Stoffbahn, die auch als Projektionsfläche dient. Hinter einer scheint das Bad als dritter „Raum“ hindurch. Am Bühnenrand zum Publikum liegt die virtuelle Terrasse mit dem Teleskop zur gemeinsamen Beobachtung der Mondfinsternis. Die Bühne wird durch eine große türkisfarbene Stoffbahn hinten geschlossen. Ein gelungenes Bühnenbild von Tom Presting. Es setzt auf unifarbene Gestaltungselemente und kräftige Farbtöne.
Die Kostümbildnerin Nicole von Graevenitz entwarf für die handelnden Figuren deren Rolle charakterisierende Outfits, wobei die weiblichen durch Extravaganz hervorstechen, die männlichen eher unaufdringlich sportlich und schlicht auftreten.
Der deutsche Film stellte das Zitat „aber wer die Wahrheit sagt, wird gehenkt“ von Georg Büchner als Motto voran. Es stammt aus dem Vorwort zu der „Hessische Landbote“ (1834). So schlimm aber kommt es nicht, es ist ja schließlich eine Komödie. Nur fragen müssen sich die Protagonisten, ob derjenige die Wahrheit auch ertragen kann, der sie hören will.
Ein geselliger Abend unter Freunden läuft aus dem Ruder, als die Idee eines Spiels aufkommt: Jeder hat ein Handy. Hat jeder sein Geheimnis darin? Die Telefone offen auf den Tisch, alle Anrufe, SMS, Nachrichteneingänge über soziale Netzwerke sollen für die Freunde sicht- und hörbar geteilt werden. Es kommt, wie es kommen muss … Die scheinbar glücklichen Paare und Freunde fallen – für den Zuschauer höchst kurzweilig – übereinander her.
Die Blackbox Mobiltelefon wird transparent. Was als harmloses Spiel zu beginnen schien, entwickelt sich schnell zum Vergnügen des Publikums zu einem Eklat nach dem anderen. Die mittels der Mobiltelefone zutage kommenden Geheimnisse sind bestgehütet, dunkel, klein, groß, intim, süß, unglaublich. Das Thema trifft einen Zeitgeist.
Das Theaterspiel besticht durch Schnelligkeit. Die Dialoge kommen ping-pong-gleich geflogen, das Timing stimmt in jeder Sekunde. Durch Lichteffekte unterstützt, werden die verschiedenen Räume aufeinanderfolgend virtuos bespielt, mitunter sogar gleichzeitig. Selbst in Momenten, in denen plötzlich betroffene Stille auf der Bühne und im Publikum den ganzen Saal erfüllt, wird gestisch präsent gespielt. Verhandelt werden auf amüsante Weise mit viel Wortwitz, aber auch mit ernsten Tönen, was Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit in Beziehungen bedeuten.
Das Stück bietet eine erstklassige Ensembleleistung. Alle acht Schauspieler sind hervorzuheben und seien gleichwertig in der Reihenfolge ihres Auftritts benannt: Tommaso Cacciapuoti, Tessa Mittelstaedt, Nica Heru, Tobias Licht, Henriette Richter-Röhl, Karim Chérif, Jenny Löffler und Oliver Dupont. Wobei Dupont als Ben den größten Szenenapplaus für seine Trainingseinlagen erhält, was das Publikum zum Schluss mit einem eine Nuance intensiveren Jubel nochmals bestätigt.
Wer die deutsche Verfilmung gesehen hat, sei darauf hingewiesen, dass die Aufdeckung der Geheimnisse und die Lösung der daraus resultierenden Beziehungsprobleme im Theater am Ende eine überraschend andere ist als die im Film. Ein Deus ex Machina lässt grüßen.
Zum Schluss großer anhaltender und begeisterter Applaus für alle Mitwirkenden, den Regisseur, den Bühnenbildner und die Kostümbildnerin. Meine Smartwatch warnt mich gleichzeitig: „Laute Umgebung. Der Lautstärkepegel hat 90 Dezibel erreicht. […] Erwäge einen Hörschutz zu tragen.“ Was will man mehr, ein äußerst unterhaltsamer Abend.
Komödie am Kurfürstendamm im Theater am Potsdamer Platz, 10785 Berlin-Mitte; bis zum 30. Dezember 2023.
Schlagwörter: Das perfekte Geheimnis, Jürgen Hauschke, Komödie am Kurfürstendamm, Martin Woelffer, Paolo Genovese