26. Jahrgang | Nummer 22 | 23. Oktober 2023

Film ab

von Clemens Fischer

Richard III. war der letzte englische Throninhaber aus dem Hause Plantagenet, dem seit dem zwölften Jahrhundert so legendäre Könige wie Richard Löwenherz – allen Fans von Ivanhoe und Robin Hood bestens vertraut – und sein Bruder Johann Ohneland entsprossen waren. Deren Mutter, Eleonore von Aquitanien, gilt als historische Lichtgestalt.

Richard III. trug die Königskrone zwar nur zwei Jahre lang, von 1483 bis 1485, doch galt er in der britischen Geschichtsschreibung seither, also seit über fünf Jahrhunderten, als der meuchelmörderische Unhold unter den einheimischen Herrschern schlechthin, als Thronräuber, der seine dynastisch über ihm rangierenden Neffen im Tower hatte umbringen lassen. Diesen üblen Ruf hatte er ganz wesentlich William Shakespeare zu verdanken, der einhundert Jahre später mit seinem Drama Richard III. dessen Schauerbild literarisch zu weltweiter Verbreitung verhalf.

Den Tudors, die den Plantagenets auf dem englischen Thron folgten, passte Shakespeare übrigens bestens in ihre eigene Historiographie, denn einer der ihren hatte Richard in der Schlacht von Bosworth besiegt, in der der König auch den Tod fand, und hatte danach den Thron bestiegen. Hätten die Tudors einen rechtmäßigen König gestürzt, wären sie als die Thronräuber in die Geschichte eingegangen.

Die Tudors herrschten zwar nur bis 1603, doch da war aus Fake News längst etablierte Geschichte geworden.

Als legitimer Herrscher in der offiziellen Abfolge englischer und britischer Könige wird Richard III. erst seit dem Jahre 2018 geführt.

Die Geschichte dieser Rehabilitation erzählt Stephen Frears in seinem neuesten Film „The Lost King“. Das ist zugleich – vielfache vergebliche Versuche waren vorangegangen – die Geschichte der erfolgreichen Suche der Schriftstellerin und Hobbyarchäologin Philippa Langley nach den sterblichen Überresten des Königs. Mancher wird sich noch erinnern, dass im Jahre 2012 eine Meldung durch die Weltpresse ging, wonach unter der Asphaltdecke eines Parkplatzes in der englischen Stadt Leicester ein Skelett gefunden worden war. Nach einem entsprechenden DNA-Abgleich verkündete die Universität der Stadt ein halbes Jahr später, dass es sich bei dem Toten um Richard III. handele …

„The Lost King“ – Regie: Stephen Frears; derzeit in den Kinos.

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Wem demnächst – aus welchen Gründen auch immer – ein längerer Finnland-Aufenthalt droht oder wer von sich aus eh schon zu Depressionen neigt, der sollte um „Fallende Blätter“, den jüngsten Film von Aki Kaurismäki, tunlichst einen Bogen schlagen. Wurde in den Werken dieses Regisseurs bei früheren Gelegenheiten die gnadenlose Tristesse der Lebensumstände, in die er seine Protagonisten des Öfteren zu stellen pflegt, zumindest für den Zuschauer noch durch einen Oberton schrägen, teils skurrilen Humors gemildert– erinnert sei an Kaurismäkis zwischen 1996 und 2006 gedrehte Trilogie der Verlierer –, so kommt dieses Placebo in „Fallende Blätter“ nicht mehr zum Einsatz. Allenfalls die Dialoge erinnern manchmal noch daran; sie sind einmal mehr von gewohnt kaurismäkischer Lakonie. Zum Beispiel – die Freundin der Protagonistin repetiert den hinlänglich verbreiteten Allgemeinplatz: „Alle Männer sind Schweine.“ „Sind sie nicht: Schweine sind intelligent und empathisch“, korrigiert die Angesprochene das Verdikt.

Ansonsten ist „Fallende Blätter“ der schier endlose, immer wieder vor dem Scheitern stehende Versuch des Anfangs einer Zweierbeziehung, von dem man ihr und ihm am Ende wünscht, er möge gelingen. Sogenannte belastbare Indizien dafür allerdings, dass dies tatsächlich so sein könnte, gibt es bei Kaurismäki – keine.

Handwerklich ist der Streifen ganz old school und – nicht allein deswegen – großes Kino!

„Fallende Blätter“ – Regie: Aki Kaurismäki; derzeit in den Kinos.

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Ein völlig anderes Paar geben die großartige Senta Berger und der nicht minder in Form befindliche Günther Maria Halmer in „Weißt du noch“ – nämlich eines, das – nach mehr als 50 Ehejahren – die Auslaufkurve seines gemeinsamen Lebens erreicht hat. Die mag noch andauern oder auch nicht. Doch wenn die Zweisamkeit in täglicher Langeweile erstarrt ist und sich in einer Kommunikationsunkultur erschöpft, deren Hauptmerkmal ein enervierendes, sich permanent ob altersadäquater, unvermeidlicher zerebraler Unzulänglichkeiten gegenseitiges Piesacken ist – wegen Vergesslichkeit über Wortfindungsstörungen bis hin zu Rechthaberei –, dann hat dieser Zustand nichts Aufbauendes. Vor allem nicht für Kinobesucher, die demnächst die entsprechende Altersstufe passieren werden. Die waren in der vom Besprecher besuchten Vorstellung deutlich in der Mehrheit; die Atmosphäre im Raum wäre mit betretenem Schweigen nicht unzutreffend beschrieben …

Daher wäre, wie in diesem Film von Rainer Kaufmann, eine blaue Pille vielleicht recht hilfreich. Die stammt aus Amerika, ist hierzulande noch nicht zugelassen, aber illegal schon beschaffbar. Sie hat zwar nicht die Wirkung eines anderen, längst im Markt verbreiteten blauen Präparats, doch legt sie verschüttete, vergessene Erinnerungen an ein früheres, in geistiger wie körperlicher Hinsicht merklich vitaleres Zusammenleben wieder frei.

Aus diesem Plot hätte man eine formidable Klamotte schneidern können, in der ein Lacher den nächsten jagt. Die Macher von „Weißt du noch“ haben sich allerdings für eine ernsthaftere Variante entschieden. Wenn ein anderer Rezensent trotzdem meint, es handele sich um eine „Beziehungskomödie, die weh tut […] ehrlich und schonungslos […], aber nicht hoffnungslos“, muss ihm gleichwohl nicht komplett widersprochen werden.

„Weißt du noch“, Regie: Rainer Kaufmann; derzeit in den Kinos.