Auf einem vergilben, beschädigten, aber noch lesbaren Zeitungsblatt aus dem Jahr 1934 las ich folgende Notiz: Geheimrat Johann Wolfgang Goethe habe in der Zeit zwischen 25. April und 3. Mai 1798 „sieben Dejeuners“ gegeben. Anlass bot ein Gastspiel des „berühmten Iffland“ in Weimar. Goethe als Leiter des Weimarer Hoftheaters bezeigte großes Interesse an August Wilhelm Ifflands neuer Aufwertung der Schauspielkunst und an seiner psychologisch-realistischen Darstellungsweise.
Iffland begann seine Laufbahn als Schauspieler am Gothaischen Hoftheater, dem Ekhoftheater, einer Spielstätte von bestem Ruf. Er wechselte nach Mannheim, dem Ort des ersten Nationaltheaters und entwickelte sich dort zum Charakterdarsteller par excellence. In der Uraufführung von Schillers „Die Räuber“ war er der umjubelte Franz Moor. – Sein steigender Ruhm brachte ihm Gastspielangebote von vielen deutschsprachigen Bühnen, so auch von Weimar. Goethe, der Iffland schätzte und manche Anregung von ihm aufnahm, lud ihn 1796 erstmals in die Residenzstadt ein. Beeindruckt und überzeugt von dessen Spiel, schrieb der Geheimrat in Ifflands Stammbuch: „Viel von Künsten und Künstlern wird immer in Deutschland gesprochen; / Angeschaut haben wir nun Künstler und Künste zugleich.“
Es blieb nicht bei diesem ersten Weimarer Gastspiel. Im Jahr 1798 kam es erneut zu einem gefeierten Auftritt Ifflands am Hoftheater. Goethe empfing, als Theaterleiter seiner Repräsentationspflicht nachkommend, seine Gäste großzügig, lukrativ, als brillanter Gesprächspartner und Charmeur. – Der penible Hausherr verzeichnete gewissenhaft die Vorgaben für die „Dejeuners“. Am ersten Tag der Tischgesellschaften wurden bereitgestellt: „1 schwarzes Brötchen, 3 weiße Brötchen, 6 Milchbrötchen, 12 Semmeln, 8 Pfund Schinken, 2 Stück Rindszungen, 1 Zervelatwurst zu 1¾ Pfund, ½ Pfund Schweizerkäse, 2 Pfund Schokolade, 4 Pfund Kaffeezucker, 2 Pfund gebrannter Kaffee, 5 Teller verschiedenes Backwerk, 5 Nösel süßer Wein.“ (1 Nösel = rund 500 Milliliter, regional unterschiedliche Auslegung).
30 Gäste – 14 Damen und 16 Herren – erschienen an jenem 25. April zur Tafelrunde. Bei Tisch saßen unter ihnen: Iffland mit Frau, Hofrat Hufeland mit Frau und August Wilhelm Schlegel, der von Jena herübergekommen war.
Das Haus am Frauenplan galt als weltoffen und gastfreundlich. Weilte Goethe am Ort, so erwartete man fast täglich Besuche von Amtskollegen, Freunden und Durchreisenden (angekündigte oder nach freiem Gusto Eingetroffene). Das brachten mit sich: Die Multifunktion bei Hofe und die vielschichtigen Aktivitäten des Dichters, Schriftstellers, Naturwissenschaftlers, Kunstsammlers – und wohin ihn die Interessen an allem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, noch trieben.
Einladungen wurden überwiegend zur Mittagstafel ausgesprochen. Sie sollten, Anstand und Sitte befolgend, drei Stunden möglichst nicht überschreiten. Beim Besuch der Schriftstellerin Wilhelmine Bardua muss es eine Ausnahme gegeben haben: „So saßen wir lange bei Tisch – ein glücklicher Mittag, […] die aus Goethes Hause mitgebrachte frohe Stimmung goß einen hellen Schimmer über den ganzen Abend …“
Der Dramatiker Carl von Holtei erinnert sich: „Zierlich geschriebene, von ihm eigenhändig unterzeichnete Einladungen riefen im Durchschnitt wöchentlich einmal […] zu Goethes Mittagstisch, wo acht bis zehn Personen versammelt wurden, […] um bei einem wohl-bereiteten, schlichten Mahle und sehr gutem Weine ein paar Stunden frei und heiter zu verleben. Er war ein sehr angenehmer, aufmerksamer Wirt …“ (das „schlichte Mahl“ bestand zumeist aus: „Suppe, kleiner Fleischspeise, Gemüse, Braten von Geflügel oder Wild; Dessert und Kaffee oder ein Glas Süßwein“)
Maria Szymanowska, die polnische Pianistin, bereiste auf ihrer Tournee durch die europäischen Städte auch Weimar. Sie speiste jeden Tag im Haus am Frauenplan. Goethe bewunderte die „bezaubernde Göttin der Musik. Und sie spielte für ihn.
Im Jahr 1809 besuchte Wilhelm Grimm (der „Märchen-Grimm“) den Dichter: „Tags darauf wurde ich zum Mittagessen bei ihm eingeladen, Es war ungemein splendid: Gänseleberpasteten, Hasen und dergleichen Gerichte. Er […] sprach recht viel und invitierte mich immer wieder zum Trinken, indem er an die Bouteille zeigte […] es war sehr guter Rotwein …“ Standen Feste oder größere Gesellschaften ins Haus, bediente man sich, was Delikatessen betraf, der herzoglichen Küche.
In der Adventszeit des Jahres 1796 empfing der Weimarer Poet Caroline Schlegel, die außergewöhnliche Frau aus dem Kreise der Jenaer Frühromantiker: „Goethe gab ein allerliebtes Diner, sehr nett, ohne Überladung, legte alles selbst vor, und so gewandt, daß er immer dazwischen noch Zeit fand, uns irgend ein schönes Blatt mit Worten hinzustellen …“
In der schönen Jahreszeit führte Johann Wolfgang Goethe die Gäste gern in Garten und Gartenhaus am Stern. Inmitten des Blumenflors war die „Kaffeetafel“ gerichtet, oder man veranstaltete lustvoll ein „Scheibenschießen“. – In Abwesenheit des Gartenbesitzers (Italienaufenthalt) feierten die Freunde hier draußen im Grünen seinen 38. Geburtstag. Schiller beschreibt das Vergnügen: „Wir fraßen herzhaft, und Goethens Gesundheit wurde von mir in Rheinwein getrunken. […] Nach dem Souper fanden wir den Garten illuminiert, und ein ziemlich erträgliches Feuerwerk machte den Beschluß.“
„Tages Arbeit, abends Gäste!
Saure Wochen, frohe Feste! …“
(J. W. G.)
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