26. Jahrgang | Nummer 20 | 25. September 2023

Ein Besuch in Krumau an der Moldau

von Jürgen Hauschke

Der Name der südböhmischen Kleinstadt wirft sogleich eine Frage auf. Wie nennen wir sie am besten? Heute heißt sie offiziell Český Krumlov. Geläufig sind auch die Namen Krumau oder Böhmisch Krumau. Das „u“ des Namens wird im Tschechischen wie auch im Deutschen kurz gesprochen, also wäre die regelgerechte Schreibung im Deutschen Krummau und im Tschechischen Krumlov. Die Ortsbezeichnung leitet sich von einer landschaftlich malerischen Doppelschleife der Moldau (Vltava) ab: Krumme Au.

Die Blütezeit der malerischen Stadt im 14. Jahrhundert ist mit der Regierung der Herren von Rosenberg verbunden, die sie zur Residenzstadt machten. Krumau lag an der Stelle, wo es zu Kontakten zwischen dem böhmischen Inland, dem österreichischen und bayerischen Donauraum und Norditalien kam. Das Antlitz der Stadt wurde von der italienischen Renaissance beeinflusst.

Seit 1963 existiert ein städtisches Denkmalschutzgebiet und seit 1992 gehört die pittoreske Altstadt zum Weltkulturerbe der Unesco. Krumau war bis 1945 eine überwiegend deutsch geprägte Stadt, zwei Drittel der Einwohner sprachen Deutsch als Muttersprache. Über mehrere Jahrhunderte regierten erst die Rosenbergs, ein Zweig des böhmischen Adelsgeschlechts der Witigonen, dann die Eggenberger, von denen nur ein lokales Bier blieb Nach deren Aussterben übernahmen die Fürsten Schwarzenberg das Zepter. Diese waren bis 1947 die größten Grundbesitzer in der Tschechoslowakei. Der letzte Herrscher war Adolph Fürst zu Schwarzenberg. Als Gegner des Nationalsozialismus und tschechischer Staatsbürger unterlag er nicht den Beneš-Dekreten. Die Besitztümer wurden deshalb durch ein 1947 eigens erlassenes Gesetz, die Lex Schwarzenberg, enteignet.

Heute ist Krumau ein beliebter Anziehungspunkt für Touristen, vornehmlich in den Sommermonaten. Bei unserem Besuch besonders ins Auge fallend, waren die unzähligen asiatischen Gäste, bewaffnet mit Selfiesticks zur möglichst komfortablen Ablichtung des eigenen Konterfeis mit den historischen Sehenswürdigkeiten als grandiosen Hintergrund.

Wir erwarben auf Empfehlung unseres überaus aufmerksamen und sympathischen Gastgebers im Informationszentrum der Stadt die „Český Krumlov Card“. Eine Eintrittskarte für fünf ausgewählte Besuchsorte zum jeweils einmaligen Eintritt und sogar mit zwölfmonatiger Gültigkeit zum unschlagbar günstigen Preis von 400 Tschechischen Kronen (zirka acht Euro), ermäßigt sogar für die Hälfte: Burgmuseum und Schlossturm, Regionalmuseum, Museum Fotoatelier Seidel, Egon Schiele Art Centrum und Klöster Krummaus. Ich nehme es vorweg. Vier der fünf Orte haben wir besucht, und alle waren einen Besuch wert. Für das versäumte Regionalmuseum im Barockgebäude des ehemaligen Jesuitengymnasiums bleibt ja noch Zeit, um etwa das detailliert ausgearbeitete Keramikmodell der Stadt – das weltweit größte Modell seiner Art – zu sehen.

Dann starten wir unseren Rundgang. Wir kommen vom Norden durch das Budweiser Tor. Es ist das einzige der neun Stadttore, das bis heute erhalten blieb, und es ist das jüngste. In den Jahren 1598 – 1602 wurde es vom Architekten Domenico Benedetto Cometta von Eckthurn gebaut.Während des 19. Jahrhunderts, als es zur Entfaltung des Verkehrs und der Industrie kam, wurde der Großteil der Stadtbefestigung einschließlich der Tore abgerissen. Die Altstadt mit ihren barocken Bauten, mit Renaissancegebäuden und mit einfachen, aber bunt gestalteten Häusern blieb von da an bis heute in ihrer historischen Gestalt weitestgehend unverändert erhalten.

Über die Latrán-Gasse geht es zu Burg und Schloss Krumlov, die die Stadt dominieren. Das Symbol der Stadt ist einer der größten Burgkomplexe Europas, von außen imposant, von innen fabelhaft. Das ehemalige Anwesen derer von Schwarzenberg ist nach dem Prager Hradschin der zweitgrößte historische Bau des Landes und heute im Besitz der Tschechischen Republik. Von der Aussichtsplattform des Schlossturms haben wir einen herrlichen Panoramablick auf die Stadt, die Schleifen der Moldau und die Umgebung.

Das Schlossmuseum bietet vielfältige historische Artefakte und Zeugnisse der ehemaligen Besitzer, aber auch höchst interessante Alltagsgegenstände aus der Verwaltung der Ländereien. Durch das Schlossareal, das vierzig Gebäude und Palaisbauten mit fünf Schlosshöfen umfasst, gelangen wir in den sieben Hektar großen Schlossgarten. Dazu überqueren wir die Mantelbrücke, die 1767 als ein dreigeschossiger Verbindungsgang über den Burggraben zwischen Residenz, Garten und Theater geschaffen wurde. Das Barocktheater, das angeblich besterhaltene der Welt, in einem Gebäude auf dem V. Burghof gelegen, ist leider geschlossen. Aber nicht der weitläufige, barocke Schlossgarten, dessen imposante Baumsolitäre angenehmen Schatten spenden. Auf dem Rückweg, wieder am der Stadt zugewandten Eingang der Anlage schauen quirlige Besucher in den Schlossgraben, im hiesigen Bärenzwinger werden seit dem Jahre 1707 Bären gehalten, derzeit leben hier vier Braunbären leider kaum artgerecht.

Über die Holzbohlen der Baderbrücke (Lazebnický most) kommen wir zum ursprünglichen Stadtkern. In der Mitte der Brücke steht eine Statue des Heiligen Johannes von Nepomuk, dessen bekanntes Pendant auf der Prager Karlsbrücke ist deutlich größer.

Das Egon Schiele Art Centrum befindet sich in der ehemaligen Stadtbrauerei. Auf 3000 Quadratmetern Ausstellungsfläche werden in wechselnden Ausstellungen weltberühmte Klassiker präsentiert: Mark Chagall, Salvador Dali, Otto Dix, Alberto Giacometti, Keith Haring, Gustav Klimt, Oskar Kokoschka, Käthe Kollwitz, … bis Andy Warhol, natürlich auch tschechische Künstler wie z.B. Josef Čapek. Wir aber sind wegen der permanenten Ausstellung zum Leben und Werk von Egon Schiele hier. Kaum ein anderer Ort inspirierte Schiele so wie Krumau. Er war zeitlebens begeistert von der Geburts- und Heimatstadt seiner Mutter.

Egon Schiele lebte nur von 1890 bis 1918. Der Expressionist gilt als einer der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Während seiner Zeit in Krumau ab 1910 und auch danach schuf Schiele eine Reihe von Gemälden und Zeichnungen, die die Stadt, ihre Gassen, ihre Menschen und die umgebende Landschaft darstellten. Seine Werke sind oft von intensiver Emotionalität und Intimität geprägt, wobei er menschliche Figuren vornehmlich als expressive Porträts, insbesondere Akte, in ungewöhnlichen und provokanten Posen darstellte.

Im Mai 1911 übersiedelte Schiele mit seiner Lebensgefährtin Wally Neuzil – früheres Modell von Gustav Klimt – nach Krumau; begeistert bezogen sie das Gartenhaus des kunstsinnigen Kaufmanns Max Tschunko, wo Schiele endlich auch im Freien arbeiten konnte. Das idyllische Treiben in der Künstlerklause fand jedoch ein rasches Ende. Das in wilder Ehe lebende Paar sowie die Tatsache, dass Schiele sehr junge Mädchen Modell sitzen ließ, empörte die Kleinstädter derart, dass er sich gezwungen sah, Krumau im August 1911 wieder zu verlassen: „Ich will nicht an Krumau denken, so lieb habe ich die Stadt, aber die Leute wissen nicht, was sie tun.“ Das liebevoll restaurierte Gartenhaus, idyllisch an der Moldau gelegen, lohnt einen Besuch, den man mit dem Genuss eines köstlichen Kuchenstückes im Gartencafé abrunden kann.

Die größte angenehme Überraschung bot uns das Museum Fotoatelier Seidel unweit des Gartenhauses. Das Museum in dem Jugendstilhaus der Fotografenfamilie Seidel bietet eine einzigartige Darstellung der Geschichte der professionellen Fotografie vom 19. Jahrhundert bis in die frühen 1950er Jahre. Die Seidels waren die Fotografen der Stadt und der Umgebung. Zu sehen sind das imposante Fotoatelier, alle möglichen Utensilien aus diesem Zeitabschnitt und Tausende von erhaltenen Fotos. Die Ausstellung im Haus von Josef und Franz Seidel überrascht vor allem durch ihre Authentizität, durch die außerordentlich zahlreichen zeitgenössischen Aufnahmen, Ansichtskarten, Glasnegative, Fotoapparate und nicht zuletzt durch die Einrichtung der Dunkelkammer. Die Attraktivität der einzigartigen Sammlung wird durch Josef Seidels Tagebücher sowie durch die Originaleinrichtung der Wohnung gesteigert. In einer einzigartigen Datenbank sind zig Tausende der erhaltenen Fotos des treuesten Bildchronisten des Böhmerwaldes online dokumentiert.

Die Klosteranlage gehört zu den bedeutendsten mittelalterlichen Gebäudekomplexen in Mitteleuropa. Von den Rosenbergs als Minoriten- und Klarissenkloster gegründet, zu dem bald auch die Laienschwestern „Beginen“ hinzukamen. So entstand ein einzigartig erhaltenes Ensemble von drei Klöstern aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, das fast ein Fünftel des historischen Stadtkerns einnimmt. Das Klostermuseum in ehemaligen Minoritenkloster erschließt die Geschichte dieses außergewöhnlichen Ortes.

Die gotischen Gewölbe des Kreuzganges bieten Platz für einen selten erhaltenen Zyklus von Lünetten, die Geburt, Leben und Tod des Heiligen Franziskus darstellen. Der Paradiesgarten des Klosters wird von der Kapelle Maria Einsiedeln beherrscht, die den Klöstern 1680 von Jan Kristian von Eggenberg und seiner Frau geschenkt wurde. Obwohl die Kapelle viel jünger ist als das Kloster selbst, ist sie in gotischem Stil gehalten.

Die St. Wolfgangs-Kapelle ist ebenfalls ein Juwel, wo unter Schimmel, Pilzen und viel Putz auf wundersame Weise gotische Fresken entdeckt wurden, die sich vom unteren Teil über barocke Vorhänge bis hin zur im Jugendstil bemalten Decke erstrecken und das Leben des Heiligen Wolfgang darstellen.

Wir müssen uns verabschieden, wohl wissend, noch viel Sehenswertes in Krumau und Umgebung versäumt zu haben, aber auf jeden Fall zurückzukommen.