26. Jahrgang | Nummer 17 | 14. August 2023

Von morgens bis Mitternacht: Das Kunstfest Weimar. Im Gespräch mit – Rolf C. Hemke

von Reinhard Wengierek 

Seit 33 Jahren existiert das Kunstfest Weimar; es war die erste deutsch-deutsche Kulturinitiative nach der Wiedervereinigung . Und obendrein das Vehikel für die Ernennung Weimars zur europäischen Kulturhauptstadt 1999. „Erinnern schafft Zukunft“ ist die diesjährige Allerwelts-Losung des Spätsommer-Festivals in arkadischen Gefilden. Es gilt mit seinen 150 Veranstaltungen als das größte Festival der zeitgenössischen Künste in Ostdeutschland; übrigens auch im Vergleich mit entsprechenden Berliner Festivals, so die Ansage. Da kommen (neben großen Nummern) sympathische Kleinteiligkeit und erstaunliche Vielfalt zusammen; getreu dem Goethe-Motto „Wer vieles bringt …“

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Weimar mit seiner großen Kulturlandschaft ist voll von Kunst (doch für die Sanierung des Goethe-Hauses fehlt das Geld). Warum nun noch ein Kunstfest?

Weil wir seit Jahren rund 27.000 Besucher haben. Weil die Vielfalt des Zeitgenössischen in den Künsten hier doch eher zu kurz kommt, und weil wir – geschickt wirtschaftend ‑ seit 2014 mit einem auf 900.000 Euro eingefrorenem Grundbudget arbeiten. Dafür realisieren andere Festivals gerade mal eine Einzelposition. Die Stadt- und Landespolitik steht uns zwar stets hilfreich zur Seite, aber für zusätzliche Projektmittel müssen wir wie alle anderen Anträge stellen. Doch Dank umfangreicher Kooperationen werben wir Drittmittel ein. Sie decken die Kosten für immerhin knapp die Hälfte unserer Vorhaben.

 

Wäre es nicht passend für den weltberühmten Ort, ein Festival mit den lokalen Genies zu machen? Also ein Weimar-Klassik-Festival?

Auch Goethe und Schiller waren ja einst Zeitgenossen; und so versuchen auch wir das aktuelle Kulturschaffen unserer Zeit zu spiegeln. Fürs Klassische ist ohnehin das Deutsche Nationaltheater und – jenseits der Bühne – die Klassik Stiftung Weimar zuständig. Zudem versteht sich das Kunstfest nicht als Theaterfestival. Wir veranstalten ein Programm, das sich in zehn Sparten auffächert mit 45 Projekten: Ausstellungen, Konzerte von Klassik bis Pop, Musiktheater, Tanz, Performance, bildende Kunst, ein Filmfestival im Festival, ein Programm zu aktueller Literatur, eine prominent besetzte Diskursreihe. In dieser Ausrichtung und Größe ist das Kunstfest in Ostdeutschland einzigartig.

In der Substanz leben wir, ganz wichtig, von der Zusammenarbeit mit unseren lokalen und regionalen Partnern. Das Kulturleben und die Szene Thüringens sind sehr reich. Etwa die Hälfte aller Projekte sind Kooperationen mit hiesigen Institutionen, freien Gruppen oder Einzelkünstlern aus dem Umfeld. Würde das Kunstfest abgeschafft, nähme man der Weimarer und Thüringer Szene ihre vielleicht wichtigste Plattform überregionaler Präsentation. Ihr Schaufenster vor Ort in die Welt. Und versperrte womöglich diverse Wege zum Ruhm; das nebenbei.

Neben unbekannten Namen tauchen die Protagonisten aus unserer Region in der Zusammenschau mit internationalen Stars auf. Beispielsweise die Staatskapelle Weimar neben Chilly Gonzales, Theresia Walser neben Daniela Danz, die Oper Weimar neben dem Thalia Theater Hamburg, Ballett aus Johannesburg neben dem MDR-Sinfonieorchester. Oder ein Audioprojekt, das bei einer Bootsfahrt auf dem Hohenwarte-Stausee zu entdecken ist, neben dem Weltstar Robert Wilson.

 

Einer Ihrer Vorgänger war gegen die Thüringer Bratwurst und machte aus Angst vor einem plebejischen Bier- und Bratwurst-Festival ein teils extrem avanciertes Programm mit eher bescheidenem Zuspruch; ähnlich seine Nachfolgerin …

Tatsächlich hat sich die Ausrichtung des Kunstfestes seit dem Kulturhauptstadt-Jahr gewandelt. Unter Nike Wagner war es deutlich stärker als Musikfest positioniert mit eher Ergänzungen aus Tanz, Literatur, bildender Kunst. Unter meinem Vorgänger Christian Holtzhauer, jetzt Schauspielchef in Mannheim, war der Fokus auf Schauspiel, Performance, Tanz. Die klassische Musik blieb weitgehend außen vor.

Seit ich die Leitung übernommen habe, bietet das Kunstfest ein Programm, wie es, zugegeben, wir sind stolz darauf, im deutschen Sprachraum ziemlich singulär ist, da es sich – sozusagen pars pro toto – mit der ganzen Bandbreite kulturellen Schaffens auseinandersetzt. Wir möchten unsere Besucher ermuntern, von Angebot zu Angebot zu wandeln. An den Wochenenden kann man sich ab morgens um neun Uhr bis in die Nacht hinein künstlerische Genüsse unterschiedlichster Art gönnen. Von experimentell bis klassisch, populär bis elitär und übrigens dezentral auch thüringenweit. Sozusagen über Land. Da muss man einfach fündig werden. Auch mit Bratwürsten.

Das Gespräch mit dem künstlerischen Leiter, Kurator und Dramaturgen Rolf C. Hemke wurde im Juli 2023 geführt.

Kunstfest Weimar – vom 23. August bis zum 10. September 2023, Programm und Ticket-Verkauf im Internet.