Die Atombombe muss zeigen,
dass der Krieg selbst obsolet ist.
J. Robert Oppenheimer
Foreign Affairs, January 1948
Ich habe große Angst vor einem Atomkrieg.
Hatte ich schon immer.
Christopher Nolan
DER SPIEGEL, 29/2023
Wenn Sie sich dieses Jahr nur einen Film ansehen, dann diesen“, empfiehlt der US-amerikanische Regisseur, Autor und Filmkritiker Paul Schrader und setzt gleich noch einen drauf: „Oppenheimer“ sei der beste Film des Jahrhunderts. Soweit das Ausschlagsmaximum auf der euphorischen Seite des Spektrums an Meinungen über Christopher Nolans neuesten Streifen. Das gegenteilige Maximum allerdings fällt nicht weniger veritabel aus: „Das größte Problem von ‚Oppenheimer‘“, so der deutsche Filmjournalist, Filmkritiker und Regisseur Rüdiger Suchsland, „ist seine Unentschiedenheit. Der Film versucht alles zu erzählen, aber erzählt darum nichts richtig und gewichtet nicht genug […]. Wir erfahren nichts Neues […].“
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Wofür das J in seinem Namen stände, wird Oppenheimer, dessen Vater als jüdischer deutscher Einwanderer in den USA zu einigem Vermögen gekommen war, im Film gefragt, und er antwortet: „Für nichts.“ Womöglich mochte er seinen ersten Vornamen nicht – Julius.
J. Robert Oppenheimer – ein genialer Physiker, der bereits Ende der 1930er Jahre die Existenz Schwarzer Löcher im Universum postuliert hatte, lange bevor diese Phänomene ihre heute geläufige Bezeichnung erhielten – war der wissenschaftliche Leiter des hoch geheimen Manhattan-Projektes, mit dem die US-Regierung im Zweiten Weltkrieg in einer wissenschaftlich-technischen, wirtschaftlichen und finanziellen Kraftanstrengung sondergleichen dem Bau einer Atombombe durch das faschistische Deutschland zuvorzukommen versuchte. Bekanntermaßen mit Erfolg.
Oppenheimer erhielt 1946 die Medal for Merit, damals die höchste zivile Auszeichnung der Vereinigten Staaten, und avancierte zu einem der Helden der Nation. Doch das schützte ihn mitnichten. Denn schon bald nach Kriegsende fiel er in Ungnade beim politischen und militärischen Establishment in Washington, weil er vor einem atomaren Wettrüsten mit der Sowjetunion warnte, sich für eine internationale Kontrolle der Atomenergie unter der Ägide der UNO aussprach und konsequent gegen eine Entwicklung der Wasserstoffbombe votierte. Letzteres begründet er im Film damit, dass er zu der Überzeugung gelangt sei, dass die USA jede Waffe, über die sie verfügten, auch einsetzen würden.
Oppenheimer wurde denunziert, in einer inszenierten Ausschussbefragung unter Ausschluss jeglicher Öffentlichkeit der Beziehung zu Kommunisten geziehen und verdächtigt, selbst ein Sowjetspion zu sein. Seine Sicherheitsfreigabe wurde ihm entzogen, was einem Berufsverbot im Hinblick auf jegliche weitere Beteiligungen an Regierungsprojekten gleichkam und ihn darüber hinaus gesellschaftlich stigmatisierte.
All dies sind historische Fakten und mindestens denen vertraut, die die 2005 erschienene, mit dem Pulitzer-Preis gekrönte Biographie von Kai Bird und Martin J. Sherwin („American Prometheus. The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer“, deutsch: „J. Robert Oppenheimer“) gelesen haben, die Nolan als wesentlichste Vorlage für sein Drehbuch diente.
Die cineastische Umsetzung ist dermaßen gelungen, dass die Dauer des Streifens von etwas über drei Stunden keiner besonderen Kommentierung bedarf. Das letztlich unauflösbare moralische Dilemma des jüdischen Wissenschaftlers Oppenheimer wird vom irischen Hauptdarsteller Cillian Murphy höchst beeindruckend auf die Leinwand gebracht. Einerseits war Oppenheimer entschiedener Gegner des Faschismus und eines diabolischen Diktators, der „meine Leute in Lagern verschwinden lässt“. Andererseits wurde unter seiner, Oppenheimers, Leitung ein diabolisches Massenvernichtungsmittel geschaffen, das unterschiedslos Täter und Unschuldige vernichten würde und von dem seine Schöpfer überdies kurzzeitig annahmen, es könnte sogar die Atmosphäre in Brand setzen und damit das gesamte Leben auf der Erde vernichten,.
Cillian Murphy dürfte einem breiteren Publikum bisher eher unbekannt sein, obwohl er in „The Wind That Shakes the Barley“ von Ken Loach (2006) und vor allem in der grandiosen britischen Gangster-Saga „Peaky Blinders – Gangs of Birmingham“ (2013 bis 2022, sechs Staffeln) bereits eindrucksvolle Hauptrollen gestaltet hat. Mit Matt Damon trefflich besetzt ist in Oppenheimer auch die Rolle von dessen Schutzpatron, Vorgesetzten, Partner und teilweise Widerpart beim Manhattan-Projekt, des Generals Leslie Groves, dem die Gesamtleitung des Projektes oblag. Groves hatte Oppenheimer gegen Widerstände seitens der Administration durchgesetzt. Groves selbst hatte sich für das Projekt durch seine maßgebliche organisatorische Rolle bei der Errichtung des Pentagons – des mit knapp 345.000 Quadratmetern immer noch weltweit größten Verwaltungsgebäudes – in nur 16 Monaten empfohlen.
Oppenheimers berufliche Kaltstellung war im Übrigen eine lebenslange. Zwar erlebte der Physiker so etwas wie eine gesellschaftliche Rehabilitierung: Im Jahre 1963 überreichte ihm US-Präsident Johnson den noch von dessen Vorgänger, John F. Kennedy verliehenen Enrico-Fermi-Preis für besondere Verdienste um die Entwicklung, Nutzung und Kontrolle der Kernenergie. Doch seine Sicherheitsfreigabe erhielt Oppenheimer nicht zurück. Die betreffende Verweigerungsentscheidung revidierte das US-Energieministerium erst im Dezember 2022 – 55 Jahre nach Oppenheimers Tod.
PS: Wer an ergänzenden Informationen über die technischen Schwierigkeiten des Manhattan-Projektes interessiert ist, der sei auf die spannende US-Serie „MANH(A)TTAN“ verwiesen, die zwar nach zwei Staffeln eingestellt wurde, doch die Entwicklung immerhin bis zum Trinity-Test – der ersten Explosion einer Atombombe in der Wüste von Nevada am 16. Juli 1945 – einfängt.
„Oppenheimer“ – Regie und Drehbuch: Christopher Nolan; derzeit in den Kinos.
Schlagwörter: Christopher Nolan, Cillian Murphy, Clemens Fischer, Oppenheimer