Diesmal: „Phädra, in Flammen“ – Berliner Ensemble Neues Haus / „Das Fest“ – Hans-Otto-Theater Potsdam
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BE: Raus aus dem Zwangskorsett der Männlichkeit
„Bin ich 20 Jahre lang nicht gut darin gewesen, meine Sehnsüchte zu amputieren; nicht gut genug zu tun als ob, zu lächeln als mir speiübel ist, mich zu ergeben, als in mir der Krieg tobt; 20 Jahre lang nicht gut genug im Erdulden und Wegsehen […]?“
Eine starke Frau in lodernder Wut! Sie hockt am Bühnenrand und kotzt den Frust aus. Als beiseitegeschobene Ehefrau des machtbesessenen Kraftlackels Theseus, König von Athen. Als Mutter zweier Söhne, Demophon, der seiner Thronfolge entgegenharrt, und Acamas, der Kleine mit dem weichen Herzen, der, so der Mutter Rat, hart werden muss, um nicht für immer ein armer Gefangener zu bleiben. So wie sie, Königin des brutal regierten Athener Reichs, die nichts wie raus will aus dem Zwangskorsett der Konventionen, der politischen Repression, Regression und religiösen Diktatur des Hohepriesters Panopeus.
Damit ist von Anfang an klar: „Phädra, in Flammen“, das neue Stück von Nino Haratischwili, erzählt vom Versuch einer feministischen, zugleich politischen Emanzipation.
Die vierzigjährige deutsch-georgische Autorin wurde berühmt für ihre grandiosen Romane „Das achte Leben (für Brilka)“, „Die Katze und der General“ oder zuletzt „Das mangelnde Licht“. Das mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete epische Werk machten ihr genug Mut, jetzt einen Klassiker der Weltdramatik zu überschreiben: „Phädra“ von Jean Racine, die philosophisch weit ausgebreitete, seelisch tief lotende Tragödie einer mythischen Königin, die sich, kurz gesagt, unglücklich in ihren Stiefsohn verliebt und daran zugrunde geht. Selbstmord.
Das Update 350 Jahre später besteht nun darin, dass Phädra zwar wiederum in Liebe entbrennt, doch diesmal zu ihrer künftigen Schwiegertochter, nämlich die zur Heirat mit Demophon auserkorene blutjunge Persea, die wiederum heftig zurückliebt. Reife Frau in den Wechseljahren (in Georgien nennt man diesen Zustand „Frau in Flammen“) in kurz aufflammender Glückseligkeit mit kesser Jungfrau. Die eine schaut auf und bewundert die andere und die wiederum sieht in Persea all das, was in ihr zertreten und verbraucht wurde.
Eine aufregende, schöne lesbische Sache, doch im stockreaktionären Athen ein Sakrileg, ein Skandal moralisch und politisch. Das strengstens verbotene Verhältnis wird entdeckt, die Katastrophe nimmt ihren Lauf unter Führung des fundamentalistischen Priesters. Persea, zur Hexe stigmatisiert, wird als Menschenopfer und Sündenbock vorm blutrünstig aufgepeitschten Volk den Hunden zum Fraß vorgeworfen, das königliche Ehebett – kein Selbstmord! – wieder hergestellt und somit die gute schlimme Ordnung im Götterhimmel wie in der Gesellschaft.
Aufregende Sache, diese Geschichte vom so schmerzlichen Scheitern eines Glücksanspruchs. Wenn auch das Feuer der Klimakteriums-Krise zuweilen allzu heftig lodert. Befremdlich allerdings: Die unerwartet plakative Zeichnung der Figuren. Und seltsam für die ansonsten enorm sprachsensible Autorin, dass da einerseits eine poetische Sprache herrscht (Phädra: „Ich will zurück in den Uterus meines Lebens.“); anderseits ein vulgärer Zeitgeist-Ton („Schwanz“, „Titten“, „Arschloch“).
Schade, dass die uninspirierte Regie der niederländischen Filmregisseurin Nanouk Leopold den Schwächen im Script theatralisch kaum aufhilft. Vielmehr arrangiert sie in zwar böser, aber vorhersehbarer Ordnung eine Familienaufstellung mit gelegentlichen Ausfällen ins Komisch-Groteske. Im Vergleich zu Racine: unterkomplex. Aber mit aktuell politischem Ausrufezeichen: Rechtspopulismus, Demagogie, Homophobie, Patriarchalismus, Feminismus, Fundamentalismus, Gewaltherrschaft. Kompendium komplett. Das wache Publikum reagiert korrekt angefasst.
Und feiert die große Constanze Becker in der Titelrolle, die sich ruppig mit zuweilen einer traurigen Träne im Gewand als Phädra durch ihre sarkastischen Wortgewitter bohrt. Ihr tumb-dreister Gemahl (Oliver Kraushaar) dröhnt halbnackt in Lederhose und Bärenfell, Paul Herwig als faschistoider Polit-Priester pflegt hämisch-lüsterne Aashaftigkeit und Lili Epply als Girlie in Love frühreifes Selbstbewusstsein. Alldem steht die männliche Jugend (Maximilian Diehle, Paul Zichner als Demophon und Acamas) hilflos betroffen gegenüber.
Und alle zusammen gehen zwischen Videowänden mit flimmernden Blumen-, Wüsten- oder antiken Ruinenbildern auf und wieder ab. Oder schaufeln in der Bühnenmitte in einem mit rotem Sand gefüllten Kasten. Vielleicht geronnenes Blut, die Hinterlassenschaft rücksichtslos menschenverachtender Machtpolitik.
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HOT Potsdam: Verbrechen und Vertuschen
Big Party ist angesagt, denn Big Boss hat Geburtstag: Helge, Häuptling der Familie, wird sechzig. Da strömt die Sippe zum altehrwürdigen Familiensitz. Eine Band ist engagiert, Catering, Kellner, und die Gläser klingen. Die drei Kinder Christian, Michael, Helene herzen Mama, Papa, Großeltern und schlucken zusammen fleißig den Prosecco.
Da greift Christian (Jan Hallmann), der Älteste, zum Mikro: Die Laudatio auf Papa (Joachim Berger). Damit zündet eine Bombe. Wenn Papa badete, erzählt Christian, habe er immer ihn, den kleinen Chris, und seine erst kürzlich verstorbene Zwillingsschwester Linda bei sich gehabt. Sie mussten sich ausziehen, und dann hat Papa Liebe gemacht. Christian redet – zum ersten Mal! – Klartext: Jahrelang wurden wir vergewaltigt! Jahrelanger Missbrauch!
Sekunden entsetzter Stille. Dann schlägt die Familie zurück: Krankhaft kindliche Phantasie, alles Lüge, ungeheuerliche Nestbeschmutzung. Musik an und weiter feiern. Folgt Christians Bombe Nummer zwei: Mama Else habe es gewusst, geduldet und eisern beschwiegen. Kurzes Innehalten, gellendes Abstreiten und wieder Schwamm drüber und Weiterfeiern mit Tanz, Trallala, dreckigen Witzen plus Polonaise von der Bühne weg durch den Zuschauersaal. – Folgt Christians dritte Bombe: Die Zwillingsschwester Linda sei nicht einfach verstorben, sie habe sich selbst getötet. Tabletten.
Abruptes Ende der Party: Alles stürzt zusammen und auseinander. Schließlich schleppt Sohn Michael Papa Helge blutüberströmt zurück in die Location. Ob Selbstmord oder Mord (von wem?) bleibt unklar.
Das vielgespielte Familiendrama „Das Fest“ nach dem Drehbuch des gleichnamigen Films von Thomas Vinterberg und Morgens Rukow inszenierte Bettina Jahnke im flotten Wechsel der Kontraste zwischen frenetischer Feierlust und kurzem Aufschrecken mit anschließendem Unter-den-Teppich-Kehren des Grauens mit geradezu brutalem Eifer. Wirklichkeitsverleugnung total im pompös gutbürgerlichen Salon (Bühne: Dorit Lievenbrück) – mit ausladend Platz fürs Feiern unterm Kronleuchter.
Zur Uraufführung in Dresden anno 2000 dauerte die sogartig ins Horrorhafte wachsende Familienaufstellung gut drei Stunden. Jetzt, mit rigorosen Strichen und flotter Oberflächenregie, erledigt sich das fix in neunzig Minuten. Folglich bleiben die Figuren schemenhaft, plakativ. Und werden obendrein ins Komische, ja Alberne getrieben bis hin zur grotesken Lächerlichkeit. Was dem wuchtigen, erschreckend virulenten Stoff peinlich entgegensteht.
Das Psychodrama vom allgewaltigen, zynischen Übervater und ehrenwert aufgeputzten Täter, der eigene Kinder skrupellos zu traumatisierten, von Angst gelähmten Opfern macht, bleibt also bloß angedeutet. Mithin gleicht Vinterbergs komplexe Erzählung vom Terror alltäglicher Gewalt innerhalb einer Familienbande in Jahnkes auf unterhaltsamen Krawall gebürstete Kurzfassung eher einem Report aus der Sensationspresse als – um im Bild zu bleiben – einem feinfühligen Feuilleton, das die familiäre Schreckenskammer akribisch ausleuchtet.
Schlagwörter: Berliner Ensemble, Fest, Hans-Otto-Theater, Phädra, Reinhard Wengierek