Während sein Jugendfreund Theodor Fontane die Mark durchwanderte und deren Landschaft und Geschichte in den Schicksalen von Junkern, Pfarrern, Adel, Volk und Bürgern porträtierte, verlegte Wilhelm Gentz die Ruppiner Landschaft in den Orient, steckte die braven Neuruppiner Bürger in fremde Gewänder und ließ sie staunend Karawanenzüge und Beduinenlager in der Wüste oder Sklavenmärkte und Märchenerzähler in Kairo miterleben. Die dunklen Schattierungen, die Grautöne unter nördlichem Himmel verlegte er in die helleren unter südlicher Sonne. Er ist alles in einem, „er ist Kairo, Jerusalem, Konstantinopel, er ist Sklavenkarawane, Harem, Juden-Kirchhof“, schrieb Fontane über ihn.
Die hochangesehene Neuruppiner Familie Gentz bewohnte im 19. Jahrhundert das (um die Jahrhundertwende abgerissene) Haus rechts neben der Löwen-Apotheke, dem Geburtshaus Fontanes, in der Friedrich-Wilhelm-Straße. Wilhelm Gentz wollte nicht in die Fußtapfen seines Vaters treten, der seinen Reichtum auf den Abbau von Torf gegründet hatte. Von früh an faszinierte ihn die Welt des Orients. In Paris studierte er bei den Historien- und Genremalern Charles Gleyre und Thomas Couture. Er „berauschte“ sich förmlich am Kolorit des Romantikers Eugène Delacroix, fertigte von dessen berühmtem Gemälde „Les femmes d’Alger“ sogar eine Kopie an. 1847 hatte Gentz seine Studienreisen nach Spanien, Marokko, Ägypten, Nubien und Kleinasien begonnen. Zunächst komponierte er biblische Motive in treuer Wiedergabe orientalischen Wesens, so in dem 1854 noch in Paris geschaffenen Gemälde „Christi Fußwaschung“, auch bekannt unter „Das Gastmahl im Hause des Pharisäers Simon“, das in der streng klassizistischen Pfarrkirche seiner Heimatstadt Aufstellung fand. Bereits 1830 hatte Gentz die Decke des von Knobelsdorff 1735 im Auftrag des Kronprinzen Friedrich errichteten Apollo-Tempels im Neuruppiner Tempelgarten mit einem Gemälde „Die Geburt der Aphrodite“ versehen.
Dann bestimmten Darstellungen aus dem orientalischen Volksleben, folkloristische Schilderungen der Sitten, Gebräuche und Religionen sein Schaffen. Auf seinen Reisen, die er innerhalb von 30 Jahren unternahm, entstanden unzählige Studien und Skizzen; in Briefen und ethnografischen Aufzeichnungen hielt er seine Eindrücke fest, um sie zu Hause – seit 1857 hatte er seinen Wohnsitz in Berlin genommen, kehrte aber immer wieder zu Besuchen in sein Neuruppiner Vaterhaus zurück – als Vorlagen für seine großen Arbeiten zu verwenden. Für das vielfigurige Monumentalgemälde „Einzug des Kronprinzen von Preußen in Jerusalem“, das er nach fünfjähriger Arbeit 1879 beendete, ließ sich Gentz an Ort und Stelle die Szenerie nachstellen, trieb sorgfältige Kostüm- und Architekturstudien und setzte seinen Ehrgeiz hinein, möglichst viele Gestalten porträtgetreu wiederzugeben. Sich selbst, auf einem Esel sitzend, fügte er in die Szenerie mit ein.
Er wurde einer der ersten Ethnografen mit dem Pinsel, strebte nach unbedingter historischer Treue bis ins Kostüm und kulturgeschichtliche Detail und brachte zugleich das Psychologische und Stimmungsmäßige mit ins Bild. Von toniger Verhaltenheit bis zu einer schon impressionistischen Bejahung von Farbe, Licht und Atmosphäre reifte seine Kunst. Ob es sich um die Nillandschaft, die Pharaonen-Monumente, die Wüste oder Genreszenen aus Stadt und Land handelte, man erwarb gern diese Bilder eines oftmals selbst geträumten Traumes von der Ferne. Fontane, dem Gentz im Alter autobiographische Skizzen übergab, die dieser für seine „Wanderungen durch die Mark“ bearbeitete, liebte vor allem die stimmungsvoll-elegischen Landschaften seines Jugendfreundes.
Ende der 1860er Jahre hatte Gentz im Berliner Tiergarten eine Villa in der Hildebrandstraße bezogen, die er sich ganz ägyptisch einrichtete und in der er Künstlerfreunde und Afrikareisende empfing. Für das Pringsheimsche Palais in Berlin schuf er das anekdotische Wandbild „Der Harem auf Reisen“. 1890, im Jahr seines Todes, veranstaltete die Königliche Nationalgalerie eine Gedächtnisausstellung mit mehr als 1000 Arbeiten für den hochangesehenen Maler, der es bis zum Senator der Akademie gebracht hatte. Heute ist das Werk des wohl bedeutendsten deutschen Orientmalers des 19. Jahrhunderts in alle Winde verstreut. Das meiste kam in Privatbesitz, wichtige Arbeiten von ihm befinden sich in der Nationalgalerie Berlin, im Museum für bildende Künste Leipzig, in der Gemäldegalerie Neue Meister in Dresden, in Paris und New York. Aber auch im Museum Neuruppin ist eine sehenswerte Sammlung zusammengetragen worden.
Zu seinem 200. Geburtstag widmet nun das Museum Neuruppin dem großen Sohn der Stadt, der sich als Orient- und Landschaftsmaler, aber auch als Porträtist und Ethnograph und schließlich als Historienmaler einen Namen gemacht hat, eine Sonderausstellung. Und gerade diese in seinem Werk vereinte Zusammenschau von Landschafts-, Porträt- und Genremalerei wird an exemplarischen Beispielen vorgeführt. Die Ausstellungskonzeption vermerkt, dass das gemalte Orientbild bei Gentz weitaus harmonischer als das beschriebene sei. Tatsächlich gibt er in seinen Schriften, so schon in den „Briefen aus Ägypten und Nubien“ (1853), die Irina Rockel 2004 neu herausgegeben hat, kritischere, aber auch einfühlsamere Schilderungen des ägyptischen Volkslebens als in seinen Skizzen und Gemälden, in denen er sich um ein mehr auf Distanz bedachtes, realistisches Bild vom bisher weitgehend mystifizierten Orient bemüht. Dabei inszeniert seine Virtuosität mitunter durchaus auch ein geschöntes Orient-Bild.
Er war sich dessen bewusst, dass es gerade seine orientalischen Themen waren, die ihn zum Dauergast in den offiziellen Berliner Ausstellungen werden ließen, aber zum Erfüllungsgehilfen der kolonialen Bestrebungen des jungen Kaiserreiches – seit 1884 ging es um deutsche „Schutzgebiete“ in Afrika – hat er sich nie gemacht. Er blieb der faszinierende Schilderer des Volkslebens, religiöser Szenen und der Landschaft Ägyptens, Palästinas und Nordafrikas. Könnte man deshalb nicht vermuten, dass es nicht allein die Konkurrenz jüngerer Orient-Maler gewesen war, die ihn am Ende zum Rückzug veranlasste, sondern auch die Erkenntnis, dass seine Orient-Thematik nur durch die Darstellung der Aktualität des Kolonialreiches zum weiteren Erfolg kommen würde? Darüber wäre vielleicht nachzudenken.
Wilhelm Gentz. Eine Schau zum 200. Geburtstag, Museum Neuruppin, 16816 Neuruppin, August-Bebel-Str. 14/15; bis 25. September.
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