26. Jahrgang | Nummer 8 | 10. April

Wir träumen, also sind wir …

Am Berliner Ensemble hat Andrea Breth ein Traumtheater inszeniert: „Ich hab die Nacht geträumet“

 

von Joachim Lange

Den gelegentlichen Ratschlag, ein Regisseur solle sich doch gefälligst selbst ein Stück schreiben, anstatt ein Vorliegendes, womöglich noch einen Klassiker, zu überschreiben bzw. zu verhunzen, konnte Andrea Breth immer höchstens amüsiert zur Kenntnis nehmen. Die Richtung ihrer szenischen Umsetzung eines Schauspiels oder einer Oper war allemal die Vertiefung ins Überlieferte, die Aufdeckung der Relevanz für das Publikum heute und die Präzision des Handwerks. Ohne das Blendwerk einer vordergründig eskalierender Ausstattungsopulenz. Große Mimenkunst vor grauem Hintergrund leuchten lassen, so geht und fasziniert Breth-Theater.

Am Berliner Ensemble ist sie jetzt zwar nicht dem gar nicht für sie gedachten Ratschlag gefolgt, hat aber doch ein „Schauspiel mit Musik“ nicht nur inszeniert, sondern auch erdacht. Wobei ‚erdacht‘ das Resultat nicht ganz trifft. Sie hat keinen eigenen Text gemacht, sondern sie hat sich in über achtzig auf mehr als drei Bruttostunden verteilte Miniaturen etwas zusammengeträumt. „Ich hab die Nacht geträumet“ steht über diesem Stück Theater.

Es ist keine konstruierte Postdramatik oder nacherzählte Literatur, die ja in ihrer Als-Ob-Haltung per se mit dem Theatralischen hadern. Es ist ein surrealer, aus Erinnerungsschnipseln zusammengeträumter Ritt durch – tja was eigentlich? Durch die erlebte und in Kunst geronnene Geschichte? Durch Erinnerungen an kollektiv erlebte Markierungen des Zeitgeistes? Man muss manchmal an Christoph Marthalers Kauzigkeit denken. Breth folgt aber doch ihrem eigenen Stern. Als Versuch, der eigenen Rat- und Sprachlosigkeit zu entkommen, die sie im Programmheft offen bekennt? „Meine ganze Ratlosigkeit macht sich breit in einer Art von leiser Zerfetzung.“ Dieses Breth-Zitat hätte auch auf der Bühne seinen Platz gefunden.

Dort kommt dann Dieter Hildebrandts Helmut-Kohl-Version von „Der Mond ist aufgegangen“, neben dem Vilja-Lied aus der „Lustigen Witwe“ ebenso zu Ehren, wie Textsplitter von Adorno, Eichendorff, Heiner Müller oder Thomas Brasch. Und Musik von Schostakowitsch und Schubert genauso wie Rossinis Tell-Ouvertüre zu ein paar Schillerworten. Oder alte Schlager. Hier kommt alles zusammen, was im Wachzustand nicht zusammengehört, im Traum aber eben doch.

 Von der letzten Nummer her gedacht, ist das vielleicht sogar ein Abschied vom Theater, wie es mal war? In dieser Schlussnummer „Gib mir den letzten Abschiedskuss“ schieben sich das fabelhafte halbe Dutzend Protagonisten und der zehnköpfige Chor langsam vereint auf die Rampe zu und lassen dabei ihren Gesang anschwellen. Pianist Andam Benzwi, Peter Luppa und Martin Rentzsch haben bis dahin vor allem die beiden grandiosen Breth-Schauspiel-Diven Corinna Kirchhoff und Johanna Wokalek zum Leuchten gebracht. Der Chor hat den grauen (was sonst) Korridorbühnenraum,  den Raimund Orfeo Voigt kafkaesk verjüngt und mit einem halben Dutzend Türen ins Sonstwohin versehen hat, immer wieder als Kollektiv durchtrippelt. Die Tristesse der überbraven Angestelltenmode (Kostüme sind von Jens Kilian) aus Aktentaschen-, Brotbüchsen- und Wählscheibentelefonzeiten, wirkt schrullig, kommt aber Kirchhoffs und Wokaleks Divenchick zugute. Wenn die mit ihren Gesangsnummern punkten. Die Kirchhoff singt dabei einmal ein Duett mit einem altmodischen Reisekoffer, der brüllt, wenn sie ihn öffnet und auf dem sie davor, wie auf einem Schlitten liegend und rezitierend, durchs Bild geglitten war. Einfach so. Während Wokalek sich die französische Version von „Fever“ anverwandelt und dabei den Kampf mit dem überlangen Träger ihrer Handtasche mit Slapstick-Virtuosität verliert.

Sehr viel ist an diesem Abend für sich genommen witzig, auf eine untergründige Art lebensalltagsheiter.  Vieles aber auch bitter ernst.  Wenn eine musikalische Miniatur oder ein Textsplitter gerade den Raum für Assoziationen öffnet, ist sie auch schon wieder vorbei – und es folgt die nächste. Allenfalls dieses Zeitschrittmaß entspricht dabei der Kommunikations(un)kultur mit der heute die allgegenwärtigen Handys gefüttert werden, auch die der Zuschauer im BE. Ansonsten setzt der Abend darauf, dass Träume meist auch Erinnerung sind, an das, was vergangen ist. Aber immer noch da. So wie das Theater von Andrea Breth.

 

Nächste Vorstellungen: 25. 04. und 26. 04. 2023