Es mag Ende 1999 gewesen sein, als das Telefon klingelte. Ich meldete mich, und am anderen Ende sagte jemand außerordentlich charmant: „Grüß Gott aus Bayern! Hier ist der ‚Begonienmörder‘.“
Mir war sofort klar, dass sich am anderen Ende der Leitung der Zahnarzt im Ruhestand Erich Schromm aus 82166 Gräfelfing in Bayern befand. Der international sehr bekannte Detektiv aus Berlin Andreas Heim hatte mich kurz zuvor in diesem Fall um Unterstützung gebeten. An ihn hatte sich besagter Erich Schromm gewandt – wegen des Versagens der Gerichte und des politisch-juristischen Geschachers in seinem Fall. Und er bat um eine detektivische Lösung.
Ich hatte die vorliegenden Dokumente schon grob gesichtet, und wir plauderten sehr entspannt über die rechtliche Beurteilung der Straftat, die ihm zur Last gelegt worden war. Es war ein sehr sympathisches Gespräch, an das ich mich auch heute noch gern erinnere.
Erich Schromm war in München wegen Anstiftung zum Mord an seiner Ehefrau zu lebenslanger Haft verurteilt worden, obwohl er nach seinen Bekundungen erstens gar nicht angestiftet hatte, und zweitens war die Anstiftung durch das Landgericht München nicht bewiesen worden. Alle Wiederaufnahmeverfahren waren gescheitert, und letztlich urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) in Strafsachen wie die Münchener Richter aufgrund nicht vorhandener Beweise.
Nach dem Studium des umfangreichen Materials war offenkundig, dass hier – vornehm ausgedrückt – ein Justizirrtum vorlag. Aber wir konnten nichts für den Zahnarzt im Ruhestand tun. Die Sache war verfahren und vertrackt, man müsste sich monatelang mit den Originalakten herumplagen, und es war auch gar nicht klar, ob die bayerische Justiz diese überhaupt herausrücken würde. Und wenn, dann hätte das auch nichts genützt, denn es war wohl ein abgekartetes Spiel zwischen Politik und Justiz auf allen Ebenen.
Was passiert war, ist schnell erzählt. Am 8. Juli 1976 wurde der damals 51-jährige Zahnarzt vom Schwurgericht München I mit dem Vorsitzenden Hubert Grader wegen Anstiftung zum Mord an seiner Frau zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Für seine um 23 Jahre jüngere Geliebte endete der Prozess mit dreizehn Jahren Freiheitsstrafe, sie wurde nach acht Jahren entlassen; Schromm dagegen saß 17 Jahre im bayerischen Gefängnis.
Albertine Seim, seine Geliebte, hatte die ruchlose Tat gleich nach ihrer Verhaftung gestanden. Sie kam am 5. Juli 1974 mit einem freundlichen Geschenk – einem Blumenstock Begonien – und brachte dann Frau Schromm um. Das äthergetränkte Wattebäuschchen betäubte Frau Schromm nicht, dann versuchte sie, dem Opfer eine „Luftembolie“ zuzufügen, die bei einer Obduktion als Herztod hätte gedeutet werden können. Auch dies misslang, woraufhin Albertine Seim ihr Opfer mit einem Bademantelgürtel strangulierte.
Wenige Tage nach ihrer Festnahme hatte sie angegeben, dass Schromm sie zu der Tat angestiftet habe, was er immer bestritt. Er hatte auch nie zugegeben, dass er mit seiner Frau im Streit lag.
Später, im Gefängnis, erzählte Albertine Seim einem mitgefangenen Kaufmann, dass sie von Schromm nicht angestiftet wurde. Sie habe jenes nur behauptet, weil sie nicht ertragen konnte, dass sie im Gefängnis sitzen wird und er frei und glücklich herumläuft. Auch diese Aussage nützte nichts; mit formal-juristischen Konstruktionen und abenteuerlichen Argumentationen wurde Schromm immer wieder abgewimmelt.
Der renommierte Kriminologe Dr. Dr. Armand Mergen hatte in einem Brief vom 28. März 1983 Erich Schromm im Gefängnis mitgeteilt, dass er von seiner Unschuld überzeugt sei. Mergen kritisierte scharf, dass die Sachverständigen der Verteidigung von den Richtern zumeist als parteilich und fachlich unwissend abqualifiziert wurden. In Bezug auf ein anderes Verfahren eines Schwurgerichts in München (Ks 22 Js 58 ab74), in dem der Experte der Verteidigung ebenfalls abgeschmettert worden war, schreibt er: „Die Begründung des Beschlusses zeigte in grotesk erschreckender Art, wohin Richter in ihrer Unwissenheit Kraft der Macht dieses Amtes sich versteigen können.“
Die Argumente der Richter bis zum Bundesgerichtshof, der das Urteil bestätigte und die von Schromm angestrengte Revision verwarf – vage Hypothesen, die sie als Tatsachen handelten – abenteuerlich. Der Gerichtsreporter Gerhard Mauz hatte im SPIEGEL 1977 dieses Abenteuer sehr treffend zusammengefasst:
„Doch das Gericht (das BGH – G.J.) gelangte zu der Überzeugung, ‚dass Schromm wusste, der Seim gegenüber geäußerte Plan, den Tod seiner Frau durch Beibringen einer Luftembolie herbeizuführen, werde nicht gelingen‘. Für das Gericht ergab sich, dass Erich Schromm, die ‚gefühlsmäßige Zurückhaltung Seims‘ berücksichtigend, ‚wusste‘, dass Albertine Seim ‚seine Frau auf jeden Fall mit anderen Mitteln töten würde, nachdem sie festgestellt haben würde, dass die Tötung durch Herbeiführung einer Luftembolie misslungen sein würde‘. Würde – würde – würde. Da quillt die Qual der Konstruktion über. So etwas wäre Agatha Christie auf dem Gipfel ihrer Auflage vom Verlag nicht abgenommen worden. Doch Erich Schromm soll die Albertine Seim mit einer Stecknadel in der Gewissheit losgeschickt haben, ihr werde ein Schwert zuwachsen, sobald sie die Wirkungslosigkeit der Stecknadel festgestellt hatte …“
Doch damit nicht genug. Seine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren wurde Schromm verweigert mit einer ebenso abenteuerlichen Begründung: „Durch seine Versuche, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen, hat er gezeigt, dass er weder sühnebereit noch schuldeinsichtig ist.“ Heißt doch mit anderen Worten, dass die bayerische Justiz nicht einmal gedanklich die Möglichkeit sieht, dass jemand völlig unschuldig verurteilt wird.
Wie mir Erich Schromm mitteilte, ist ihm seine vorgesehene Entlassung 1989 von der bayerischen Justiz mit den Gründen verwehrt worden, dass er gemeingefährlich sei. Dazu das bayerische Innenministerium: „keine Entlassung, Schromm wird wieder töten“. Und zu seiner Entlassung im Februar 1991 legte die Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner (CSU), die zu eben dieser Zeit auch stellvertretende Ministerpräsidentin in Bayern war, nach Schromms Darstellung ein Veto ein: „Bitte KEINE Entlassung von Schromm, ER HAT NUR NOCH 4-5 Wochen Lebenserwartung“ (Hervorhebungen sicherlich von Erich Schromm – G.J.).
1999 lebte der an Krebs Erkrankte jedenfalls noch immer, und ihm ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, wie die Gutachter es auszudrücken pflegen, großes Unrecht angetan worden. Er war wohl kein Anstifter zum Mord, kein Mörder, er kam nur aus den Fängen der Justiz nicht mehr los. Wobei wohl das „Atmosphärische“ schließlich den Ausschlag gab, wie Gisela Friedrichsen 1996 im SPIEGEL vermutete. Schromm war vor Gericht und im Umgang mit den Behörden unbequem, widerspenstig, nicht reumütig, unsympathisch. Er ist als Querulant abgestempelt worden. Niemand fragte sich aber, warum er so geworden ist. Ich hatte jedenfalls mit ihm ausgesprochen freundliche Gespräche geführt.
Das alles würde ich ihm gern noch einmal am Telefon sagen, aber Erich Schromm ist am 12. November 2002 in München, justiziell gesehen, als „Anstifter zum Mord“ gestorben.
Schlagwörter: bayerische Justiz, Begonienmörder, Erich Schromm, Gerhard Jaap, Justizirrtum, Wiederaufnahmeverfahren