Sie war das enfant terrible der DDR-Kunst. Schon während ihres Studiums der Grafik und Malerei in Dresden 1975 bis 1980 stieß sie an die Grenzen der Kunstdoktrin und an das, was damals möglich war. 1981 erhielt sie Ausstellungsverbot und – so reagierte sie damals – „also nehme ich jetzt meinen Körper, fange damit etwas an. Das ist jetzt meine Tür nach außen. Ich wickle mich in Draht oder Bänder ein oder male auf der Haut.“ Wieder nach Ost-Berlin zurückgekehrt und der Künstler-Boheme am Prenzlauer Berg zugehörend, entdeckte sie die Aktionskunst für sich, führte Selbstinszenierungen, Körpermalaktionen und Performances durch, war Mitbegründerin einer Punkband und beschäftigte sich mit experimentellen Super-8-Filmen. Nach fünf Ausreiseanträgen konnte sie 1984 die DDR verlassen, musste aber den größten Teil ihres bisher geschaffenen Werkes zurücklassen. Und durch einen Einbruch in ihre verlassene Ostberliner Wohnung ging ihr Frühwerk verloren. Nach der Wiedervereinigung setzte sie sich mit ihrer Vergangenheit auseinander, kommentierte und persiflierte sie ihre Bespitzelungsakten des Ministeriums für Staatssicherheit in fotografischen Inszenierungen.
Unter dem Motto „Ich lass mich nicht spannen – ich lass mich nicht flechten“ widmet jetzt die Städtische Galerie Dresden dieser interdisziplinären Künstlerin, die in diesem Jahr ihren 70. Geburtstag begeht, eine Personalausstellung. Es werden ihre Porträts aus den letzten 20 bis 30 Jahren gezeigt, vor allem Mädchen und Frauen, groß in Szene gesetzt, in fortwährenden Verwandlungen, Verkleidungen, Inszenierungen, im Konflikt zwischen Freiheit und Gebundensein. Als Selbstporträt, den Kinderwagen hinter sich herziehend – dieses Motiv verfolgt sie seit den 1980er Jahren, sie wird es in größeren Abständen immer wieder aufgreifen und neu gestalten.
Für Cornelia Schleime ist die menschliche Figur unzähliger Manipulationen fähig, ohne dass diese dabei ihre Identität verliert. Sie verkleidet und kostümiert sie, setzt ihnen Tierköpfe auf, gesellt ihnen Symbole hinzu, weist sie in andere Funktionszusammenhänge ein. Man möchte sich an Märchen zurückerinnern, wo menschliche Wesen durch einen Zauber versteinert, verwandelt, in Luft aufgelöst werden („Rotkäppchen“, 2020). Hintergründigkeit und Boshaftigkeit halten sich auch bei ihr die Waage.
Hat das wie zufällig und traumhaft entstehende Figürliche hier seinen Platz, so kommt auch dem Literarischen, Symbolischen im Sinne bewusster Vorstellungen, dem Transzendieren über alte Inhalte seine Bedeutung zu. Das Bild der Frau erscheint der Malerin als ein objet trouvé, als das wiedergefundene Menschenbild und sie bindet es der Fläche ein, zusammen mit scheinbar banalen, jetzt aber plötzlich vielsagenden Accessoires, in denen sie die alte Bildsymbolik des Verschlossenen, sich dem Eindringling Öffnenden, des hortus conclusus, eines verschlossenen Gartens, eines geistigen Raumes, zu einer Poesie führt. Doch dann haben die gegenständlichen Bezüge bei ihr auch wieder aktuellen Mitteilungswert und fluktuieren neben- und ineinander wie die verschiedenen Reportagen in einer rasch durchblätterten Illustrierten. Im künstlerischen Ausdruck allerdings, nicht in der Direktive einer Botschaft, werden hier Fragen gestellt, Entscheidungen gefällt, zu denen sich der Betrachter aufgerufen fühlen kann und soll.
Cornelia Schleime will in ihren suggestiven Bildern keine Geschichten erzählen; „wenn ich etwas erlebe, muss ich zum Schreiben greifen“, sagt sie. Die jeweilige Momentsituation ist entscheidend. Dabei spielt das Haar bei ihren (Selbst-)Inszenierungen eine besondere Rolle. Haare assoziieren Schutz, Attraktivität, Sinnlichkeit, sie werden zerzaust, vom Wind verweht, machen sich selbständig, sie müssen diszipliniert, geflochten, verhüllt werden. Zöpfe, die jungen Mädchen auf dem Stuhl geflochten werden, sind ein Moment der Domestizierung, der Zurichtung, der Gebundenheit, zu vergleichen mit dem Mund-Halten, sagt sie. In ihrer Serie „Rituale“ lässt sie die straff geflochtenen Zöpfe weit in den Raum ausgreifen, dann wiederum schlingen sie sich um Hals und Kopf, versperren den Augen die Sicht. „Die Spinne“ (1997): das sphinxhafte Frauengesicht, das die geflochtenen Haare spinnenbeinengleich wie Fangarme ausgebreitet hat, bezeugt spöttische Ironie und grimmigen Humor.
Oder „Sophie“ (2002): Ein sinnliches Frauenantlitz mit leicht geöffnetem Mund, in strenger schwarzer Ordenstracht – wie in einen „Panzer“ – eingeschlossen, schaut den Betrachter an. Kommentar der Malerin: „Man sagte mir, so würden keine Nonnen aussehen. Aber ich sehe sie so: Sie leben für den Augenblick der versprochenen göttlichen Vereinigung, ist dies nicht auch eine Form von Erotik? Unser Bild von ihnen ist von weltlicher Distanz geprägt. Dieses Bild wollte ich verrücken.“ Asphaltlack erzeugt mit dem tief schillernden Schwarz, das ihre Figuren einhüllt, auch eine raue Oberfläche, die mit der zarten und verletzlichen Physiognomie der Mädchen und Frauen kontrastiert.
Verwandlungen dienen so als Selbstschutz, als Abstand-Halten („Für den, der von mir was will, was ihm nicht zusteht“, 2022, auf den Betrachter wird eine Pistole gerichtet), als ironische Hinterfragung („Selbstporträt als Schaf“, 2010), als illusionäre Wunschvorstellung, rigorose Selbstbestätigung und vieles andere mehr. Die Spannung von Anziehung und Abstoßung, von Eigenem und Fremdem, Bekanntem und Ungewöhnlichem, Realem und Irrealem ist diesen Bildern eingeschrieben. Hinter dem visuell Sichtbaren und Dargestellten eröffnet sich immer auch eine weitere Deutungs-Ebene, märchenhaft, surreal, symbolisch, zeitkritisch, an kunstgeschichtliche Topoi anknüpfend.
„Meine Figuren, das bin ich“, sagt Cornelia Schleime. „Blind Date“ (2007), ein junges Mädchen im Ballkleid mit einem Hasenkopf vor dem finsteren Wald. Mit welchen Erwartungen, Hoffnungen und Illusionen wird es den Weg in die Welt antreten? Eine Märchenwelt wird es bestimmt nicht – das kann Cornelia Schleime glaubhaft versichern.
Parallel zur Ausstellung in der Städtischen Galerie werden in einer Kabinettausstellung im Albertinum Cornelia Schleimes zwischen 1982 und 1984 produzierten experimentellen Super-8-Filme und ihre fotografisch festgehaltenen Selbstinszenierungen wie „Ich halte doch nicht die Luft an“ oder „Bondage“ (1982 in Hüpstedt produziert) gezeigt. Das Entblößen und Einwickeln (Gesicht und Körper mit Stricken gefesselt, mit Tüchern bandagiert, den Kopf in einer Zellophanhülle eingeschlossen, so dass die Luft zum Atmen fehlt) spiegeln das Lebensgefühl der Künstlerin in der DDR und deren klaustrophobisch empfundenen Enge. In der 14-teiligen Fotoinszenierung „Bis auf weitere gute Zusammenarbeit“ (1993) sucht sie die ihr von der Stasi zugefügten Demütigungen zu überwinden und ihr „gestohlenes Leben“ zurückzugewinnen. Sie konterkariert ihre Bespitzelungsakten und stellt sich in ausgewählten Rollen und in der für sie typischen ironischen Überhöhung dar. Es ist ein Akt der Befreiung, um selbst wieder über das eigene Leben bestimmen zu können.
Ergänzt wird die Präsentation mit einigen wenigen frühen Gemälden aus dem Bestand des Albertinums, so das Mehrtafelbild „Der Verräter“ (1991). Es zeigt eigentlich einen Rockabilly-Sänger, in dessen Ohr ein langes schwarzes Rohr führt, während ein anderes Rohr aus seinem Mund ragt. Ein enger Freund, der eine zentrale Figur der alternativen Kulturszene in der DDR war, hatte Cornelia Schleime und andere aus der Szene bespitzelt.
Das Credo (2004) dieser so außergewöhnlichen Künstlerin: „Ich will Opulenz, das große Gefühl. Ich will Tragik, Liebe und Leidenschaft. Ich finde es notwendig, eine Lanze im Herzen und nicht im Kopf zu brechen. Der Künstler soll irre bleiben, egomanisch überhöht, bisweilen an Selbstüberschätzung und Versagen leiden und die eigene Dualität aushalten können.“
Cornelia Schleime – „Ich lass mich nicht spannen – lass mich nicht flechten“, Städtische Galerie Dresden, Wilsdruffer Str. 2, bis 23. August 2023. Außerdem präsentiert das Albertinum Dresden die Sonderausstellung „Ich halte doch nicht die Luft an“ – Cornelia Schleime – frühe Werke, bis 13. August.
Schlagwörter: Albertinum, alternative Kulturszene, Cornelia Schleime, Klaus Hammer, Performances, Städtische Galerie Dresden