An die Bewohner von Muskau. Da Ich von nun an entschlossen bin, für Mein ganzes zukünftiges Leben, Meinen festen Wohnsitz in Muskau zu nehmen, […] so zweifle Ich nicht, daß jeder Einwohner dieser Stadt es mir gern gönnen wird, […] auch eine Lieblingsneigung zu befriedigen. […] Ich meine die Anlegung Meines Parks, zu dem Ich notwendig, wenn etwas Ganzes daraus entstehen soll, den ganzen Distrikt zwischen der Straße nach Sorau und dem Dorfe Koebeln, die Neiße auf der einen und den Braunsdorfer Feldern auf der anderen Seite, eigentümlich besitzen muß. […] Ich bitte daher hiermit sämtliche Bürger der Stadt, welche einzelne Felder, oder Wiesen, oder Holz in dem genannten Bezirke haben, Mir dieselben gegen vernünftige Bedingungen abzulassen […] Schloß Muskau, den 1. Mai 1815 Hermann Graf von Pückler-Muskau.“
189 Jahre danach:
„Der Muskauer Park / Park Muzakowski ist ein außergewöhnliches Beispiel eines europäischen Landschaftsparks sowie einer künstlerischen Ideallandschaft. Der Park steht darüber hinaus für einen neuen Ansatz der Landschaftsgestaltung im städtischen Raum. Gemäß der UNESCO-Welterbe-Konvention wurde der Park am 2. Juli 2004 in die Liste des Welterbes aufgenommen. Die Aufnahme in diese Liste bestätigt den herausragenden universellen Wert eines Kultur-bzw. Naturdenkmals, das im Interesse der gesamten Menschheit Schutz erfordert.“ – So zu lesen (und in vier Sprachen abgefasst) auf einem Gedenkstein des 830 Hektar großen länderübergreifenden Gartenkunstwerks des Kurstädtchens Bad Muskau/Oberlausitz. Man hat den Stein symbolhaft an der Neiße, dem Grenzfluss zur Republik Polen, aufgerichtet. Beide Länder beteiligen sich gleichermaßen an Erhalt und Pflege dieses klassischen Landschaftsgartens. Sie bewahren ihn nach dem Grundsatz seines Schöpfers Hermann Fürst von Pückler: „Der Gärtner nutzt die Natur, um sein Ideal zu erschaffen; ein harmonisches Ganzes, dessen Melodie den Sinnen schmeichelt.“
Nur wenige Schritte auf dem Kiesweg und die ersten Töne klingen an – Weiträumigkeit, Vielgestalt, Artenreichtum; hochbetagte Bäume und deren junge Nachkömmlinge, geschwungene Wege und Gewässer, Sichtachsen öffnen den Blick in die Ferne. Eine Landschaft in der Landschaft. Augenlust und Ruhe weiten die Seele.
Neben dem „Alten Schloss“, dem einstigen Torhaus, begrüßt eine Platane, ausladend, hochhinauf gewachsen. Man muss sich zurückbeugen, um ihren Wipfel zu erspähen. Eine Wachhabende. Sie steht für die Schönheit der ehrwürdigen Bäume, die das Erscheinungsbild des Parks bestimmen. Die Jahreszeit hat ihnen die Blätter genommen. Nun sieht man ihre Strukturen, ihr Lebensgerüst, die Architektur der Zweige, aber auch ihre Wunden.
Am Schlossteich entlang zur alten Majestät. Von den Jahren gezeichnet, gestutzt, gestützt, vierfach vertäut, um ihr Halt zu geben. Trotz der Gebrechlichkeit noch voller Kraft. Zarte Zweige umspielen sie als Zeugen des Überlebensmutes. Ich suche nach ihrer Identität. Welke Blätter am Boden und Früchte verraten die Abkunft: eine Buche.
Unweit der Majestät steht eine Baum-Gruppe beisammen als wollte sie einen Disput führen. Der Wind wird sie zum Reden bringen. – Ein Stück des Wegs. Das nächste Gehölz gibt Rätsel auf. Ein dichtgewachsenes, ausgedehntes (etwa 30 Meter im Durchmesser) strauchartiges Areal. Spiraea, ungezügelt gewachsen? Schneebeere? – keine Beeren in Sicht. Liguster, außer Rand und Band? Nichts von alle dem. Eine Strauch-Rosskastanie, die Ende des 19. Jahrhunderts in den Garten kam. Im Juni/Juli wird sie, einem smaragdgrünen Juwel gleich, ihre weiße, duftende Blütenpracht entfalten. Das weitverzweigte Wurzelgeflecht bringt stets neue Triebe ans Licht, die für das dichte Breitenwachstum sorgen.
Hinüber zum „Neuen Schloss“. Ein Märchenbau. Am Aufgang stehen zum Empfang bereit: zwei Säulenpappeln, eine Hängebuche, die in Trauer ihre Zweige senkt und der Riesenlebensbaum (ich nehme mir heimlich einen Zweig, von wegen des langen Lebens). Von erhöhtem Ort aus gleiten die Blicke über Sichtachsen in die Tiefe des Parks.
Die gesuchten drei Platanen sind auf der Schlosswiese zu finden; kraftvoll, standfest, stattlich und stolz ragen sie empor. Sie halten zusammen – ein Sinnbild der Eintracht. Während sich am Rundweg die Neugier einen Platz eroberte. Zwei Buchen haben eine Linde in ihre Mitte genommen und belauschen die Spaziergänger.
Ein Baumkunstwerk besonderer Art erwartet mich nahe der südlichen Schlossrampe: Der Torso einer Blutbuche, die Fürst von Pückler im Jahr 1826 mit einem „Baumverpflanzungswagen“ nach Muskau bringen ließ. Sie und er waren damals beide 40 Jahre alt. Demnach ein Großbaumtransport. Die Verpflanzung glückte. Die Buche überlebte Zeit und Ungemach … bis eine Pilzkrankheit ihr zusetzte. Alle Rettungsversuche schlugen fehl. Sie starb. Bevor dies geschah, entnahm man ihr Reiser und brachte sie zum Anwachsen. Eines davon wurde dem abgestorbenen Blutbuchenstumpf eingepflanzt – und gedieh. Es wächst nun vorwitzig als Ur-ur-ur-ur-Sprössling über die sterblichen Überreste seiner Stammesmutter hinaus.
Zum Abschied besuche ich die Veteranen der Vorzeit: Sumpfzypresse und Urweltmammutbaum, die lebenden Fossilien. Sie stehen am Ufer der abgeleiteten Hermannsneiße, die an der Karpfenbrücke – der Park ist brückenreich – in den Schlossteich fließt. Die Sumpfzypresse stiehlt die Schau. Um ihren Fuß versammelt sich eine biologisch interessante Gesellschaft. Es sind Luftwurzeln („Luftknie“), die wie Stalagmiten in die Höhe streben. Sie unterstützen in sauerstoffarmer Umgebung den Gasaustausch des unterirdischen Wurzelsystems.
Auf dem Rückweg grüße ich sie noch einmal, die weise Majestät, Pücklers Blutbuche und die Platane am „Alten Schloss“. Dabei geht es mir durch den Sinn, ob ich vielleicht schon zur Dendromanin geworden bin?
Schlagwörter: Bad Muskau, Fürst Pückler, Renate Hoffmann