26. Jahrgang | Nummer 3 | 30. Januar 2023

Über den „realen Sozialismus“ – eine Wortmeldung

von Lothar W. Pawliczak

Die Frage, wie Sozialismus und Kommunismus begrifflich zu bestimmen sind, dürfte nach dem Kollaps dessen, was mit Honecker als „realer Sozialismus“ bezeichnet wird, wohl nur „gegenwärtig unter linken Gesellschaftskritikern, Umweltaktivisten und Veränderungswilligen“ interessant sein, die sich bemühen, „sich eine Welt ohne Kapitalismus vorzustellen“ (Ulrich Busch). Die Frage allerdings, warum dieser „reale Sozialismus“ 1989/90 zusammenbrach, ist sicher von allgemeinerem Interesse. Es ist doch wohl nicht nur so, daß dieses System speziell in der DDR durch Mauerbau und Wahlfälschung sich selbst diskreditiert und delegitimiert hatte. Wer Marx studiert hat, weiß: Die Basis determiniert den Überbau. Es ist letztlich nach den ökonomischen Ursachen für politische Veränderungen zu fragen. Aber um das zu wissen, muß man nicht Marx kennen. Auch Bürgerliche wissen das bekanntlich sehr gut: „It’s the economy, stupid!“

Peter Ruben setzt mit der Erklärung der ökonomischen Ursachen des Scheiterns des „realen Sozialismus“ bei der Interpretation der Begriffsbestimmung von Gemeinschaft und Gesellschaft durch Ferdinand Tönnies an. Wohlgemerkt: Es ist eine Interpretation! Gemeinschaft und Gesellschaft seien duale Gegensätze, die in ihrer Einheit untrennbar aufeinander bezogen sind, ebenso wie der Dualismus von Produktion und Austausch. Der russisch dominierte Kommunismus sei, schrieb Peter Ruben in „Gemeinschaft und Gesellschaft – erneut betrachtet“, als „Restauration der Gemeinschaft gegen die Gesellschaft“ zu verstehen, als Versuch, den ökonomischen Verkehr (Austausch) durch die Distribution zentralstaatlicher Verteilung zu ersetzen. Gegen den Weltmarkt und gegen die ökonomischen Gesetze mit Staatsplanwirtschaft dauerhaft bestehen zu wollen, ist aber eine Illusion. Der „reale Sozialismus“ ist nicht nur am Versuch gescheitert, den Markt durch den Plan ersetzen, weil der Markt praktisch nicht abzuschaffen ist. Staatsplanwirtschaft ist innovationsfeindlich, weil jede Neuerung eine Rebellion gegen den Plan ist. Das Neue planen zu wollen, setzt die Absurdität voraus, es zu wissen, bevor es da ist. Staatsplanwirtschaft ist daher immer totalitär. Joseph A. Schumpeter hat in seinem Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ geschlußfolgert, es gäbe „wenig Grund zu glauben, dass dieser Sozialismus das Heraufkommen jener Zivilisation bedeuten wird, von der orthodoxe Sozialisten träumen. Es ist viel wahrscheinlicher, dass er faschistische Merkmale aufweist.“ Zu dem gleichen Schluß kam Friedrich August von Hayek, dessen Buch „The Road to Serfdom“ 1944, zwei Jahre nach Schumpeters „Sozialismusbuch“, erschien.

Eine Planbehörde kann das Neue nicht unter den Plan nehmen. Sie dekretiert, verteilt, kontrolliert, sanktioniert und daher ist Sozialismus oder Kommunismus oder Staatsplanwirtschaft oder Gemeinwirtschaft (so die Bezeichnung von Ludwig von Mises) oder wie man dieses System auch immer nennen mag innovationsfeindlich und muß im weltwirtschaftlichen Wettbewerb scheitern.

Die Geschichte hat das Urteil gefällt: Der „reale Sozialismus“ ist an mangelnder Innovationsfähigkeit gescheitert. Ein staatsplanwirtschaftliches System ist auf dem Weltmarkt nicht hinreichend wettbewerbsfähig.

Ruben beantwortet auch die Frage, welchen Platz die DDR in der deutschen Geschichte habe: Er rezipiert die Theorie der langen Wellen von Nikolai Dmitrijewitsch Kondratjew und deren Interpretation durch Joseph A. Schumpeter im Aufsatz „Über den Platz der DDR in der deutschen Geschichte“. Die Gründung der DDR ist eine historische Wegmarke, die kommunistische Antwort auf den Ausgang des 2. Weltkrieges im sowjetisch besetzten Ostteil Deutschlands. Ihr Zusammenbruch sei ein Krisenereignis im weltwirtschaftlichen Konjunkturverlauf. Der Aufstieg des Sowjetimperiums ab den 1930er Jahren, seine Ausdehnung auf Osteuropa, schließlich dessen Stagnation und Verfall könne mit der Konjunkturtheorie als Aufschwungs- und darauf folgende Niedergangsphase gedeutet werden, die 1989/90 ihr Ende fand. Daraus läßt sich auch schlußfolgern: Wir erlebten bis etwa 2016 die Aufschwungphase eines neuen, etwa 55jährigen Zyklus, befinden uns derzeit in der Abschwungphase, die wohl Anfang der 2040er Jahren ihren Tiefpunkt erreichen wird.

Lothar W. Pawliczak ist Philosoph und Ökonom. Er lebt in Berlin.