„Wenn wi keen Tee hebben,
muten wir starben.“
verbreitetes Bekenntnis
zwischen Emden und Leer (Ostfriesland)
Ältere Zeitgenossen werden sich noch an die Ostfriesenwitze erinnern, die vor etlichen Jahrzehnten grassierten – meist reichlich chauvinistisch und häufig genauso blöd. Einer von den dümmsten lautete: „Warum machen die Ostfriesen immer nur eine Viertelstunde Teepause? – Weil man sie sonst wieder neu zur Arbeit anlernen müsste.“
Immerhin hatte sich bis zum Erfinder desselben herumgesprochen, dass die Ostfriesen passionierte Teetrinker sind. Doch das war’s dann offenbar auch. Und keinen Schimmer von manch Segensreichem, von dem die Wissenschaft (… ist das, was auch dann gilt, wenn man nicht dran glaubt) bezüglich der Wirkungen von Tee weiß: Als gesichert etwa gilt, dass Tee wegen seines hohen Fluoridgehaltes Karies entgegenwirkt; eine epidemiologische Langzeitstudie an tausenden älterer Menschen stellte fest, dass Probanden ohne Arteriosklerose erheblich mehr Tee tranken als solche, die die entsprechenden Symptome aufwiesen; Tee-Polyphenole wiederum können sogenannte freie Radikale binden und so zum Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Multipler Sklerose und Alzheimer beitragen.
Demgegenüber sind belastbare Indizien dafür, dass Ostfriesen im Schnitt dümmer seien als jene, die billige Witze über sie reißen, bisher nicht nachgewiesen.
Tee im ursprünglichen Sinne des Wortes ist das aufgebrühte Getränk aus den koffeinhaltigen Blättern und Blüten des der Kamelie anverwandten Teestrauches camelia sinensis L. O. Kuntze, ursprünglich wohl aus den Bergregionen zwischen Indien, China, Thailand, Vietnam und Myanmar stammend und als Aufguss heute – je nach Verarbeitungsart – hautsächlich unter weißer, grüner oder schwarzer Tee firmierend sowie nebensächlich des Weiteren unter Olong- (blauer; Bezeichnung in China) und gelber Tee. Alle anderen als Tee bezeichneten Warm- oder Kaltgetränke, woraus auch immer sie hergestellt sein mögen, sind letztlich bloßer Etikettenschwindel.
Der Legende nach fällt die Entdeckung der belebenden Wirkung von Teeblättern auf das Jahr 2737 vor Christus: Da soll dem chinesischen Kaiser und Gelehrten Shen Nung (den die offizielle Historiographie freilich gar nicht kennt) ein Teeblatt in seine Tasse mit heißem Wasser geweht sein …
Apropos belebende Wirkung: Die geht von einer Substanz aus, die früher allgemein als Teein bezeichnet wurde, von der die Chemie aber längst ermittelt hat, dass es in deren Struktur keinen Unterschied zum Koffein gibt. Teeblätter enthalten davon zwischen drei und sechs Prozent – gegenüber lediglich ein bis zwei Prozent bei Kaffee. Dass eine Tasse von letzterem trotzdem meist mehr Koffein enthält als das Tee-Pendant, liegt an der Differenz der verwendeten Mengen pro Tasse.
Der Wirkungsmechanismus als solcher schließlich ist dieser: Nervenzellen, die im Wachzustand ständig aktiv sind, erzeugen den Neuromodulator Adenosin, der Hirnzellen vor Überanstrengung schützt. Adenosin dockt an bestimmte Rezeptoren der Nervenbahnen an und signalisiert den Zellen, ihre Aktivitäten herunterzufahren; sind genügend Nervenzellen durch den Stoff blockiert, macht sich Schlafbedürfnis bemerkbar. Koffein ähnelt chemisch dem Adenosin, besetzt als sogenannter Antagonist dieselben Rezeptoren und hindert Adenosin am Andocken. In der Folge verfliegt Müdigkeit, die Konzentrationsfähigkeit nimmt parallel zu, Antrieb und Stimmung verbessern sich …
Die heutigen Hauptproduzenten von Tee – China (2,8 Millionen Tonnen, 2019) und Indien (1,14 Millionen Tonnen, 2019) (63) – sind übrigens nicht die Hauptexporteure; in beiden Ländern überwiegt der inländische Verbrauch bei weitem. Das Außenhandelsranking wird vielmehr angeführt von Kenia (etwa eine halbe Million Tonnen, 2020). Auf Rang drei – nach China – folgt Sri Lanka (rund 300.000 Tonnen, 2020).
All diese Fakten und Erkenntnisse sowie davon jeweils noch sehr viele mehr finden sich in Peter Rohrsens „Buch zum Tee“. Und quasi als Garnierung – unterhaltsam Anekdotisches. Wie etwa die Passage über die um 1850 einsetzenden sogenannten Tea Races, Wettfahrten von schnellen Transportseglern, die jeweils den Tee der neuen Ernte aus Fernost nach London brachten: Wer zuerst kam, malte zuerst, respektive erzielte den höchsten Preis. Im Great Tea Race von 1866 zum Beisipel legten neun voll beladene Klipper etwa zeitgleich in Fuzhou/Südostchina ab, und nach 99 Tagen und der Umrundung von zwei Dritteln des Erdballs liefen zwei der Schiffe mit nur 20 Minuten Unterschied in London ein. Der Weltrekord, den der US-Klipper „Champion of the Seas“ mit 861,18 Kilometern Tagesleistung bereits 1854 aufgestellt hatte, hielt sich 130 Jahre.
Auch Weisheiten zum Thema fehlen bei Rohrsen nicht. So wusste schon der chinesische Tee-Weise Li Chi Lai im 12. Jahrhundert: „Drei Dinge auf dieser Welt sind höchst beklagenswert: das Verderben bester Jugend durch falsche Erziehung, das Schänden bester Bilder durch unverständiges Begaffen und die Verschwendung besten Tees durch falsche Behandlung.“
Und um nochmals auf die Ostfriesen zurückzukommen: Deren jährlicher Teekonsum pro Kopf beläuft sich auf 300 Liter, lässt selbst klassische Teenationen wie Libyen (287 Liter) und die Türkei (277 Liter) weit hinter sich – von Irland (220 Liter) und Großbritannien (170 Liter) ganz zu schweigen – und bringt, so Rohrsen, „Deutschland, sonst in Sachen Tee eher ein Entwicklungsland, überhaupt erst auf die Weltkarte der Teetrinker“.
Peter Rohrsen: Das Buch zum Tee. Sorten – Kulturen – Handel, C.H. Beck, München 2022, 247 Seiten, 22,00 Euro (gebunden), 16,99 Euro (Kindle).
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