Das akademische Prekariat ist kein neuzeitliches Phänomen. Wenn Lenzens „Hofmeister“ von Regiegenies auf die sexuelle Frage reduziert wird, zeugt das von solider Halbbildung. Der arme Kerl litt zuvörderst unter seiner erbärmlichen sozialen Lage. Auch der Erfinder des Kindergartens, Friedrich Wilhelm August Fröbel, musste sich als Hofmeister verdingen – und die Herrschaft in Person des Herrn „von“ zeigte ihm, wo Bartelt den Most holt. Mit der Herrin lief es wohl etwas besser. Fröbel war das sechste Kind eines wie alle seines Standes unter prekären Verhältnissen lebenden schwarzburgisch-rudolstädtischen Dorfpfarrers. Sein Geburtshaus in Oberweißbach ist heute Museum. Natürlich ist dort eine Menge „Fröbelsches“ zu sehen – aber das Haus durchzieht der Geruch von Lavendel- und Kamilletinkturen. Man widmet sich dort auch dem Thema Olitätenhandel, das war seinerzeit ein Armeleutegewerbe. Heute will man damit rund um das Schwarzatal Touristen ködern.
Zum Hofmeisterdasein fand Friedrich Fröbel aufgrund zweier Ereignisse: Die offenbar mit großen Ambitionen begonnenen universitären Bemühungen endeten im Fiasko – in Jena landete er für neun Wochen im Karzer, weil er diverse Gebühren nicht entrichten konnte. Und 1805 begegnete er während eines kurzen Aufenthalts in Iferten (Kanton Schwaaz) erstmals Johann Heinrich Pestalozzi. Das gab wohl den Anstoß für den künftigen Beruf. Ansonsten war das Verhältnis beider zueinander offenbar ambivalent.
1812 begann er in Berlin wieder einmal ein Studium – Mineralogie und Philosophie –, diesmal kam ihm das Nationale in die Quere: „Es war mir gar nicht zu denken, wie ein waffenfähiger junger Mann Erzieher von Kindern werden könne, deren Vaterland er nicht mit seinem Blut und Leben verteidigt habe.“ Vom April 1813 bis zum Juni 1814 war Fröbel Lützower Jäger. 1816 versuchte er, seinen reformpädagogischen Gedanken Gestalt zu verleihen. Bei Stadtilm gründete er die „Allgemeine Deutsche Erziehungsanstalt“, die 1817 nach Keilhau in der Nähe von Blankenburg (heute Bad Blankenburg) verlegt wurde und sich durchaus erfolgreich entwickelte. Er hatte Glück mit einer einflussreichen Gönnerin: Karoline Luise von Hessen-Homburg, Witwe des Herzogs von Schwarzburg-Rudolstadt. Das war auch nötig.
Am 23. März 1819 ermordete der Jenenser Student Karl Ludwig Sand den unter Burschenschaftern verhassten Stückeschreiber und russischen Generalkonsul August von Kotzebue. Fröbel geriet als ehemaliger Lützower infolge der Karlsbader Beschlüsse erst recht in das Blickfeld der preußischen Polizei. Die warf ihm „staatsumwälzende“ Absichten vor, der preußische Innenminister forderte die Schließung des Keilhauer Instituts. Schwarzburg-Rudolstadt war nicht Preußen, Karoline Luise spielte nicht mit. Üble Nachrede half aber damals schon, die Schülerzahlen sanken dramatisch. Fröbel wich nach Helba bei Meiningen aus. In Thüringen musste man damals nur über den Berg und war im Ausland. Er übernahm dort die Leitung einer „Volkserziehungsanstalt“. „So soll Arbeit, Unterricht und Spiel ein ungestücktes Lebganzes und ein wahrer Grund eines zukünftig ungeteilten, tatkräftigen, einsichtigen und freudigen Lebens werden“, brachte er sein Konzept für Helba auf den Punkt. Der Herzog beendet 1831 die demokratischen Blütenträume.
Fröbel ging in die Schweiz. 1831 gründet er auf Schloss Wartensee im Kanton Luzern eine Erziehungsanstalt, die wird als „religionsgefährdend“ eingestuft. Er verlegt das „Tochterinstitut“ Keilhaus nach Willisau. Das nutzt auch wenig, 1836 wird die Schule auf Druck der Obrigkeit aufgelöst. Sinnigerweise befand sie sich im ehemaligen Landvogteischloss … Friedrich Fröbel kommt spätestens in der Schweiz zur Erkenntnis, dass Herrschende wohl immer misstrauisch auf bildungspolitische Ansätze für alle Schichten sehen: „Ich möchte, daß kein Kind des betreffenden Alters von dem Besuch des Kindergartens ausgeschlossen werde, in welchem amtlichen und geschäftlichen Verhältnisse auch immer die Eltern desselben stehen“, formuliert er später seine sozialpolitische Grundhaltung. Von diesem Ansatz sind wir heute wieder meilenweit entfernt. Bildung ist in Deutschland geldabhängiger denn je. Die strukturellen Auslesemechanismen sind denen der Fröbel-Zeit nicht unähnlich.
Friedrich Fröbel zog aus seinen schweizerischen – und den in Keilhau gesammelten – Erfahrungen einen weiteren Schluss: Basis jeder erfolgreichen Schule ist die Vorschulerziehung, und die sei verbesserungsbedürftig. Und man darf nicht jeden und jede auf Kinder loslassen. Pädagogisches Wirken bedarf menschlicher und fachlicher Kompetenz. Von Letzterer verabschieden wir uns in Deutschland gerade wieder. Bundesweit liegt der Anteil von Quer- und Seiteneinsteigern – Barbarentum ist schon die Erfindung dieser Begriffe – im Schnitt inzwischen bei einem Drittel. Die Qualität der universitären Lehrerausbildung – bei Erzieherinnen und Erziehern ist das noch hinterfragenswerter – ist nur suboptimal auf den späteren Beruf abgestimmt. Dass viele Absolventinnen und Absolventen der Schule sehr rasch den Rücken kehren, hat damit zu tun. Übrigens ist es in Thüringen – dem Fröbel- und Salzmann-Land – derzeit nur die AfD, die die Wiedereinrichtung einer pädagogischen Hochschule zur zielgerichteten Ausbildung des pädagogischen Nachwuchses fordert. Bildungsminister Helmut Holter (DIE LINKE) berauscht sich momentan an Visionen über „Hybrid-Unterricht“, mittels dessen die nicht vorhandenen Lehrer durch digitalisierte Unterrichtsformen ersetzt werden sollen. Ein Physiklehrer könne doch gleichzeitig mehrere Klassen … Holter stammt aus Mecklenburg. Da galt die einklassige Dorfschule bis 1945 als Erfolgsmodell.
Ein Politiker muss nichts vom Wert einer Lehrer-Schüler-Beziehung wissen, deren Basis immer tiefes gegenseitiges Vertrauen und die bedingungslose Liebe zum Kind ist. Allerdings sollte er dann nicht Bildungsminister sein.
Ebenso wie Pädagogen, die im iPad-Rausch – und wohl auch aus Stolz darauf, die Technik selbst begriffen zu haben – am liebsten nur noch Digitales zulassen möchten. An der Johann-Wolfgang-Goethe-Schule in Schleiz sind iPads ab Klasse 7 verpflichtend, berichtete jüngst die OTZ. Finanzieren müssen das die Eltern. Wem das nicht möglich ist, dem wird großmütigst eine Ratenzahlung eingeräumt … Die Schleizer Schule ist eine Regelschule, kein privates Gymnasium.
Aber zurück zu Fröbel. 1837 ist er wieder in Blankenburg und gründet eine „Anstalt zur Pflege des Beschäftigungstriebes der Kindheit und Jugend“. Und er entwickelt seine berühmten „Spielgaben“, reduziert auf die geometrischen Grundformen Kugel/Ball, Würfel und Walze/Zylinder, die auf unterschiedlichste Weise geteilt werden können. Dazu kommen die vielfältigsten „Spiel- und Beschäftigungsmittel“ – wir erinnern uns wohl noch alle an die Stäbchen- und Flechtspiele der eigenen Kindheit –, die kongruent zum physischen und entwicklungspsychologischen Reifegrad des Kindes zum Einsatz kommen sollten. Sie müssen allerdings vermittelt werden … damit sind wir wieder beim Pädagogen-Problem. Fröbel war sich dessen bewusst.
1839 organisiert er in Blankenburg Bildungskurse für „Kinderführer“, am 28. Juni 1840 findet im Blankenburger Rathaus das Stiftungsfest des ersten deutschen Kindergartens statt. Bereits 1842 beginnt Fröbel mit Kursen für Kindergärtnerinnen in Blankenburg. Im Mai 1850 gründet er die erste Kindergärtnerinnenschule der Welt in Marienthal – heute gehört der Ort zu Bad Liebenstein. Im Folgejahr werden die Kindergärten in Preußen wegen ihres angeblich umstürzlerischen und sozialistischen Gedankenguts verboten. So etwas hält mental lange an. Nach 1990 hätten konservative Bildungspolitiker im Zuge der Wiedervereinigung die Kindergarten-Idee am liebsten ganz in den Orkus gespült. Das ging nicht mehr, stattdessen wurden wir mit dem skurrilen Begriff „Kindertagesstätte“ und einer langanhaltenden Diskussion darüber beglückt, ob das denn nun Bildungseinrichtungen seien oder nicht.
Hieße ich Rio Reiser und wäre König von Deutschland – ich würde alle Bildungspolitiker der Republik zu einem Dreitages-Seminar in Bad Blankenburg verdonnern. Natürlich in Gruppen, die nur 50 Prozent des von ihnen verordneten „Betreuungsschlüssels“ ausmachen. Sie sollen schließlich was lernen. Seminarort wäre das Friedrich-Fröbel-Museum in Bad Blankenburg. Es befindet sich im Gebäude des ersten Kindergartens der Welt und bietet „Fröbel-Seminare“ an. „Kommt, lasst uns unsern Kindern leben!“ steht groß am Haus. Friedrich Fröbels Lebensmotto.
Friedrich-Fröbel-Museum, Johannisgasse 4, 07422 Bad Blankenburg.
E-Mail: besucherservice@froebelmuseum.de.
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