Ab und an werden als prominent graduierte Politiker beim redlichen Tun im deutschen parlamentarischen Bundesalltag mit Vorwürfen behelligt, in ihrem akademischen Vorleben gewisse irritierende Eigenheiten praktiziert zu haben. Da ist dann von garstigen Plagiaten oder beschönigenden Retuschen die Rede. Ach, das ist ja so lästig, denn die öffentliche moralische Empörung der nach lukrativen Schlagzeilen gierenden wachsamen Medien und politischen Mitbewerber ist groß und kann sensiblen Geistern oder sogar hartleibigen Lügenbolden schon einmal Amt und Würden kosten. Schließlich geht es ja aus reinem Herzen um das allerhöchste Menschenrecht auf Wahrhaftigkeit der Regierenden gegenüber ihren Wählern in der marktgerechten Demokratie. Da bedarf es wahrhaftig der Lupenreinheit eines besonders erlesen blitzenden Diamanten.
Doch auch dieser missliche Casus ist leider älter als die Bundesrepublik Deutschland und hat schon wesentlich bedeutendere Persönlichkeiten als zum Beispiel einen Herrn von und zu Guttenberg oder andere berührt. Wie wäre es einmal mit einem kritisch entlarvenden Blick auf Goethe und den allwissenden Herrn Mephisto: „Der Herr der Ratten und der Mäuse, Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse…“ Wo bleibt denn da bei diesem so feinfühlig missbrauchten Thema im „Faust“ der Floh, das eigentliche Kerngetier der gehobenen Weltliteratur? O nein, der Dichter hat den Floh nicht mogelnderweise ausgelassen! Bitte sehr, es gibt anscheinend eine Erklärung: Johann Wolfgang von Goethe hat eine „Juristische Abhandlung über die Flöhe (de pulicibus)“ geschrieben! Goethes originale und originelle Dissertation besitzt damit per se einen gediegenen Welterbeanspruch!
Nach langanhaltender, eingehender akademischer Prüfung der von Goethe persönlich nachweisbar benutzten Quellen und deren Zitierfähigkeit hier ein kleiner Auszug aus dem § 3 der Arbeit: „Woher das deutsche Wort Floh komme“. Der Dichter schreibt: „Meiner Meinung nach ist das Wort von der sehr großen Behändigkeit der Flöhe entstanden. Denn als die Deutschen fanden, dass ein Floh nicht gehe, nicht laufe, sondern vielmehr mit einer bewundernswerten Schnelligkeit springe, oder im raschen Sprunge seinen Körper fortbewege; da schien er ihnen allerdings würdig, ihn mit dem so herrlichen Nahmen F l o h zu bezeichnen […]“ Genial! Doch dem Doktoranden Goethe kamen bei dieser fundamentalen These trotzdem eigene kreative Bedenken und er fügte mit einem merkwürdigerweise abartigen und beleidigenden Verweis auf die negative Rolle der Frauen hinzu, „dass die Frauenzimmer, um jene Behändigkeit zu besiegen, sehr kräftige Mittel anwenden, wobei denn ihr ganzer Scharfsinn in ihre Finger geflüchtet zu sein scheint. Und hieraus haben nun die Gelehrten den Schluss gezogen, dass derjenige, welcher nicht in der größten Geschwindigkeit einen Floh fangen kann, nach menschlichen und rechtlichen Begriffen kein Frauenzimmer, sondern ein Mann gewesen sei.“ Skandalös!
Kommen da nicht Zweifel an der ehrenhaften Glaubwürdigkeit des Dichters auf? Das sollte Goethe geschrieben haben? Ein weltgeschichtlich derartig zentrales Problem so trivial zu beschmutzen! Da müsste dann doch noch einmal ein externes Gutachten prüfen, ob mit Goethes Dissertation alles zum Besten stand. Koste es, was es wolle!
Nun, Jahre sind ins Land gegangen: Der allgegenwärtige Herr Kollege Mephistopheles hat es schließlich ohne Rücksicht auf die Doktorväter und das Ansehen der Fakultät herausgefunden: Goethes Dissertation ist nicht nur ein leichtsinniges Plagiat – sie ist eine gemeine Fälschung! Welch ein Eklat, dann ist vielleicht der „Faust“ auch …?
Transparenz stand auf der Agenda. Wer hat Goethes Dissertation geschrieben und den Genialen derart beschmutzt, dass er fortan nur noch Elegien schreiben wollte und empört alle Ministerposten abgelehnt hat? Da beginnt wohl die wahre Tragik des großen Dichters: Der Fälscher ist niemals ganz wirklich und vollständig identifiziert worden! Die mutmaßliche Goethe-Dissertation ist dennoch oder gerade deshalb bis heute ein recht erquickliches Geschäft mit zahlreichen Neuauflagen geblieben, mit denen man immer wieder nach dem echten Schurken fahnden kann.
Beim weltweiten Image des Opfers war es allerdings unmöglich, der nach Sühne, Buße und Gerechtigkeit lechzenden Öffentlichkeit keinen Täter zu präsentieren. Aus dem Kreis der Verdächtigen hat sich ein Mann herausgeschält – die Taste sträubt sich, seinen Namen zu drücken: Otto Philipp Zaunschliffer (1653-1729)! Die Lebensdaten verraten es: Zaunschliffer mag das Opus geschrieben haben. Aber er kann es dem Goethe gar nicht in die Schuhe geschoben haben, wenn er 20 Jahre vor dessen Geburt gestorben ist.
Der Fall wird kompliziert! Wer hatte ein Interesse daran, den klassischen Dichter aus Weimar derart gemein zu desavouieren?
Uns liegt ein geheimes Gutachten vor, dessen Aussagen hier (ungeschwärzt) zusammengefasst werden: Der Marburger Rechtsprofessor „Opizius Jocoserius“ (Klarname: Otto Philipp Zaunschliffer) hat tatsächlich 1683 die „Dissertatio juridica de eo, quod justum est circa spiritus familiares feminarum, hoc est pulices” veröffentlicht. Schlicht: „Juristische Abhandlung über die Flöhe“, respektive noch einfacher, die „Flohdissertation“. Ein schöner Beleg für die Praxisnähe bereits damaliger akademischer Forschungen.
Die Arbeit wurde mehrfach neu herausgegeben, weil sie auf humoristische Weise dem Problem der vornehmen Kreise, der Flohplage im barocken Milieu Herr zu werden, auf den Leib rückte. Es ging da in der Tat um ein in der Literatur weit verbreitetes Thema. Doch erst nach 1830 kamen giftige und neidische Spaßvögel auf die Idee, Goethe als Autor anzugeben, denn der wusste letztlich doch am besten, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Sie konnten sich auf die 1824 in Halberstadt veröffentlichte Schmähschrift „Goethe als Mensch und Schriftsteller, aus dem Englischen übersetzt von Friedrich Glover“ berufen. Als Verfasser dieser Schrift wurde später ein Buchverleger identifiziert. der seinen Namen Volger in Glover verändert haben soll.
Andere Floh-Dissertations-Forscher schreiben die Autorenschaft an der Schmähschrift dem Rechtsgelehrten Christian Heinrich Gottlieb Köchy zu. Köchy war Professor im baltischen Dorpat. Er wurde aber seiner akademischen Würde enthoben, weil er einem reich gewordenen Schneider widerrechtlich zur Erlangung der juristischen Doktorwürde verholfen hatte. Anschließend übte er viele Tätigkeiten aus und kommt als Volger-Köchy-Glover in Frage.
Goethe hat nur einen einzigen Brief von Köchy aus dem Jahre 1796 erwähnt. Siehe da: Köchy war 1800 Privatdozent an der Universität Jena – mithin dem Wissenschaftsminister Goethe durchaus bekannt. Ist das ein Indiz für die Urheberschaft bübischer Spaßmacherei? Es erlaubt zumindest recht viel Spielraum für Nachdenkliches über die ethische Selbstlosigkeit unter gelehrten Kollegen und Politikern.
Schlagwörter: Detlef Jena, Dissertation, Floh, Goethe, Plagiat