25. Jahrgang | Nummer 25 | 5. Dezember 2022

Monika Mann, das ungeliebte Kind

von Mathias Iven

Frühsommer 1986. Mehr als dreißig Jahre hat Monika Mann auf Capri gelebt. Allein ist sie gekommen, allein verlässt sie die Insel. Zum zweiten Mal hat sie einen Mann verloren …

Mitte der dreißiger Jahre hatte die 1910 in München geborene Tochter von Thomas und Katia Mann in Florenz den ungarischen Kunsthistoriker Jenö Lányi kennengelernt. Im März 1939 heirateten die beiden in London. Nach der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen entschloss sich das Paar, Europa endgültig zu verlassen. Die „City of Benares“ sollte sie von England nach Kanada bringen – doch die Überfahrt fand ein jähes Ende. In der Nacht zum 18. September 1940, fünf Tage nach dem Auslaufen, wurde das Schiff von einem deutschen Torpedo getroffen und sank. Von den 406 Personen an Bord ertranken 248, unter ihnen Jenö Lányi.

Monika Mann wurde gerettet und mit den anderen Überlebenden zunächst in ein schottisches Krankenhaus gebracht. Ihre Schwester Erika – zu dieser Zeit als Kriegsreporterin in England unterwegs – kümmerte sich um Monikas Transport nach Amerika zu den Eltern. Endlich, am 28. Oktober 1940, erreichte sie mit der „Cameronia“ den Hafen von New York, wo sie bereits von ihrer Mutter und zahlreichen Reportern erwartet wurde. Zwölf Jahre wird sie in den USA verbringen. Mal lebte sie an der Ostküste, mal an der Westküste. Eine Zeitlang wohnte sie bei den Eltern, dann bei ihrem Bruder Michael. Sie mietete ein Apartment, kam bei Freunden oder in Hotels unter und lebte kurze Zeit in einem Ashram. Im September 1952 kehrte sie nach Europa zurück. Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Bordighera zog sie nach Rom.

„Der Wind hat mich hergetragen“ – mit diesen Worten wird sich Monika Mann Jahre später an ihre Ankunft auf Capri erinnern. Als sie im Dezember 1954 auf die Mittelmeerinsel kommt, sucht sie nach einem Halt und nach Sicherheit. Beides findet sie schon bald in der Person Antonio Spadaros. Seiner Familie gehört die 1880 gebaute Villa Monacone, die ihr neues Zuhause wird. Von dort benötigt man zu Fuß eine gute Viertelstunde bis zur Piazetta des Hauptortes. Toni, wie Monika Mann Spadaro liebevoll nennen wird, wohnt im Parterre des Hauses unter ihrem Apartment. Er ist drei Jahre älter als sie, Junggeselle und, das fällt ihr sofort auf, unverschämt gutaussehend. Zudem spürt sie, dass es da zwischen ihnen offenbar eine Seelenverwandtschaft gibt. Sie werden ein Paar, doch ein sehr diskretes. Selten trifft man sie im Ort gemeinsam. Bis zum Schluss ist sie für Antonio in der Öffentlichkeit „la Signora“. Sind sie allein, nennt er sie zärtlich „Monascella“, abgeleitet vom lateinischen Ursprung ihres Vornamens, der „Einsiedlerin“ bedeutet.

Fern von aller Öffentlichkeit, in einer selbstgewählten absoluten Anonymität, will sie ihr Leben neu ordnen, will ihre Erinnerungen an Kindheit, Familie und Emigration festhalten. Und so macht sie sich ans Schreiben: 1956 veröffentlicht der Münchner Kindler Verlag „Vergangenes und Gegenwärtiges“. In einer Art von „Selbstbefreiung“ hat sie sich ihrer Vergangenheit gestellt, all dem, was ihr wichtig ist, und auch jenen Dingen, die sie vergessen möchte. Und natürlich hat sie auch über den Vater nachgedacht, den sie liebt und an dem sie leidet, weil er ihr so wenig Verständnis und Zutrauen entgegenbringt. Gerade um ihn, den „Zauberer“, geht es auch in „Das letzte Jahr. Bericht über meinen Vater“, den zeitgleich erschienenen Erinnerungen ihrer Schwester Erika. Zwei Bücher, ein Thema – die Rezensenten sind sich schnell einig: Monikas Buch ist das bessere. Spricht sie doch vor allem das an, was Literaturwissenschaftler zukünftig thematisieren werden: die Einheit von Leben und Werk bei Thomas Mann.

Der Erfolg ihres Debüts wird zum Auftakt einer regen Publikationstätigkeit. Rund 500 Feuilletons und fünf Bücher entstehen auf Capri. Trotz ihres Erfolges bleibt sie in der Familie die Außenseiterin, deren Schreiben man nur belächelt und die man am liebsten nicht erwähnt. So wie es die Mutter tut. Als Monika die von Elisabeth Plessen und Michael Mann zusammengestellten Lebenserinnerungen Katia Manns in den Händen hält, wundert sie sich: „Auffallen muß, daß Du Dein Kind Moni in Deinen Memoiren nicht einmal erwähnst, als ob ich nie geboren wär. Merkwürdigerweisis ärgerts mich nicht mal. Nur die Leser mögen – ein bißchen staunen!“

Am 13. Dezember 1985 stirbt Antonio Spadaro im Alter von 78 Jahren an Herzversagen. Nach dem Tod ihres langjährigen Lebenspartners hält sie nichts mehr auf der Insel. Wenige Monate darauf verlässt Monika Mann Capri. Sie reist nach Kilchberg, wo ihr Bruder Golo im ehemaligen Elternhaus lebt. Doch das Zusammenleben gestaltet sich schwierig. Sie zieht ins Hotel, wohnt bei Freunden. Ihre letzten Lebensjahre verbringt Monika Mann in Leverkusen im Haus von Ingrid Beck-Mann, der Witwe von Golos Adoptivsohn. Dort stirbt sie am 17. März 1992, ein paar Tage darauf wird sie im Grab der Familie in Kilchberg beigesetzt.

Noch immer ist recht wenig über Monika Mann, die zweite Tochter von Thomas und Katia Mann, bekannt. Nach der 2010 im mareverlag erschienenen Biographie von Karin Andert hat die Journalistin Kerstin Holzer jetzt eine erste umfangreichere Arbeit vorgelegt, die sich insbesondere mit Monika Manns Zeit auf Capri befasst. Sie erzählt darin nicht nur Monikas Lebensgeschichte, die zugleich eine Geschichte der sechs Mann-Geschwister ist, sondern blickt auch auf die Historie der Insel Capri. Über ihre Protagonistin schreibt Kerstin Holzer: „Erst auf Capri und erst in ihrer Lebensmitte fand Monika Mann ein Zuhause, die Liebe und ihre Stimme als Autorin. Sie versuchte, auf der Mittelmeerinsel seelisch zu gesunden.“ Die Lektüre ihrer Texte, die Auswertung der zahlreichen unveröffentlichten Briefe sowie der Blick auf die Erinnerungen von Zeitzeugen ließen ein Bild entstehen, das Monika „als Versehrte, als Suchende im Privaten wie Beruflichen, sogar als Sonderling“ zeigt.

Mit Kerstin Holzers eindrucksvoller Studie wird eine Lücke in der Geschichte der wohl berühmtesten deutschen Schriftstellerfamilie geschlossen. Zu Wünschen bleibt allerdings, dass die Erschließung des Nachlasses und des publizistischen Erbes von Monika Mann weiter vorangetrieben wird.

Kerstin Holzer: Monascella – Monika Mann und ihr Leben auf Capri, dtv Verlag, München 2022, 205 Seiten, 22,00 Euro.