26. Jahrgang | Nummer 1 | 2. Januar 2023

Falladas Briefe aus Frankreich

von Mathias Iven

Als im Jahre 2007 Hans Falladas Briefwechsel mit seiner Frau Anna veröffentlicht wurde, fragte sich wohl manch aufmerksamer Leser, ob es zwischen Ende 1937 und Anfang 1944 keinerlei brieflichen Austausch zwischen den beiden gab. Sicher, im Vorwort hatte Uli Ditzen darauf hingewiesen, „dass nur ein gutes Drittel des Bestandes abgedruckt wird“ – doch warum wurden von Falladas ältestem Sohn gerade diese Jahre ausgespart? Die Antwort dazu findet sich im Nachwort zu den jüngst publizierten sogenannten „RAD-Briefen“ des Jahres 1943: Uli Ditzen hatte entschieden, dass diese Briefe für die Öffentlichkeit gesperrt bleiben sollten. Erst nach dessen Tod wurde diese Verfügung durch seinen Bruder Achim aufgehoben.

Werfen wir einen Blick auf die Vorgeschichte. Die Verbindung zum Reichsarbeitsdienst (RAD) wurde durch die aus dem Sudentenland stammende Marianne Portisch geknüpft. Fallada hatte die damals Siebzehnjährige 1938 im NS-Sportsanatorium Hohenlychen kennengelernt und schnell eine Beziehung zu ihr aufgebaut. Er unterstützte die junge Frau zudem bei ihren schriftstellerischen Bemühungen. Ohne ihn davon in Kenntnis zu setzen, wandte sich Portisch im Jahr darauf an Thilo Scheller, den Kulturreferenten des RAD. Sie bat ihn, „wenn es irgend möglich wäre, Hans Fallada vom Reichsarbeitsdienst irgendwo hinzuschicken. Im Rahmen der kulturellen Truppenbetreuung.“ Zunächst tat sich nichts. Als das Oberkommando der Wehrmacht im August 1942 bei ihm anfragte, ob er sich denken könne, bei Frontreisen „kleine Vorlesungen heiteren Charakters aus eigenen Werken zu halten“, antwortete Fallada ausweichend, dass er „schon nach einer Viertelstunde Lesens stockheiser“ werde. Schließlich meldete sich der RAD bei ihm. Am 23. März 1943 teilte Fallada seiner Schwester Margarete nicht gerade erfreut mit: „Leider muss ich Mitte Mai für 2 bis 4 Wochen im Auftrag des Reichsarbeitsdienstes nach Frankreich, wahrscheinlich in den Süden, um die dortigen Arbeiten zu besichtigen und ev. darüber zu schreiben. Einer dieser Aufträge, denen man sich kaum noch entziehen kann.“

Dass der Einsatz kein Erholungsaufenthalt werden wird, ist ihm schnell klar. Neben den geplanten Auftritten vor RAD-Angehörigen – zumeist wird Fallada aus seinen 1941 erschienenen Kindheitserinnerungen Damals bei uns daheim lesen – erwartet man von ihm im Nachgang eine entsprechende Veröffentlichung. Im ersten, an seine Frau gerichteten Schreiben vom 14. Mai 1943 wird es dann auch heißen: „Diese Briefe an Dich sollen mein Tagebuch sein, ich werde zu weiter nichts kommen. Ich fresse Landschaft, Städte, Menschen – es ist richtig herrlich, trotzdem ich manchmal sehr abgespannt bin.“ Immerhin bleibt ihm genügend Zeit, sich um zahllose Besorgungen für die Familie zu kümmern. „Seit Jahren“, schreibt Fallada an einer Stelle, „habe ich nicht mehr so gerechnet wie auf dieser Reise, aber ich will nun einmal möglichst viel für Euch mitbringen, das ist ein Fimmel von mir.“ Stolz kann er berichten, was er alles erstanden hat: Strümpfe, Schuhe, Hosen, Seife, Kakao, Olivenöl … Und ganz nebenbei vermeldet er: „Übrigens erkundigte ich mich bei einer Buchhandlung, in der ich mir einen Pariser Stadtplan kaufte, nach ,Fallada‘. Man bedauerte außerordentlich, aber Fallada sei völlig ausverkauft, nichts zu kriegen. Fallada und Rilke seien z.Z. die größte Mode in Paris.“

Selbst wenn er, wie er nach Hause schreibt, „nichts von [s]einem eigentlichen Auftrag sagen darf“, so muss er doch gestehen, „dass [er] vom RAD keine Ahnung gehabt habe, nichts von seinen wirklich ungeheuren Leistungen gewusst habe […]“. Und an anderer Stelle kann seine Frau lesen: „Die Arbeitsmänner freuen sich durchweg auf ihren Wehrmachtsdienst, sie sind völlig unbefangen und unverschüchtert. Was aber für die innere Stimmung das Entscheidende ist: jedes Gequatsch über Zukunftsaussichten, Kriegsende, Miesmacherei gibt es nicht.“

Abgesehen davon hat Fallada, der nie beim Militär war und jetzt als Sonderführer im Range eines Majors unterwegs ist, aber auch einen wachen Blick für das Alltagsleben der Franzosen: „Das ganze Volk scheint in eine schwere Lethargie versunken, will nichts mehr tun. […] Es geht ihnen wirklich schlecht, nirgendwo noch sah ich (seit der Inflation) so viel Elendsgestalten wie in Paris, von einem ganz fürchterlichen Elend. Daneben den größten Luxus. […] Ich bin sicher, dass es der Bevölkerung sehr schlecht geht, sie bekommen nur auf Karten was, und auch da nur ein Drittel unserer Portionssätze.“

Nach gut vier Wochen geht es zurück nach Carwitz, sein vorerst letzter Brief ist datiert auf den 17. Juni 1943. Knapp ein Vierteljahr später ist Fallada ein weiteres Mal auf dem Weg nach Frankreich. In nur wenigen Wochen, so stellt er fest, hat sich dort nicht nur die Versorgungssituation geändert, auch die Stimmungslage der Bevölkerung ist eine andere. „Überhaupt ist Frankreich, was die Bevölkerung angeht, lange nicht so nett wie bei meiner ersten Reise. Die Menschen antworten oft sehr unfreundlich und feindlich, man hat diesmal doch sehr das Gefühl, im Feindesland zu sein.“ Ende September endet sein Einsatz.

Carsten Gansel, der sich seit Jahrzehnten mit Falladas Leben und Werk befasst, stellt in seinem Nachwort die berechtigte Frage, „ob und in welcher Weise die Briefe von Hans Fallada Auskunft über sein Verhältnis zum Nationalsozialismus geben“. Eine abschließende Antwort wäre in diesem Fall sicherlich gewagt, zumal man davon ausgehen sollte, dass Fallada mit Blick auf eine mögliche und damals übliche Postkontrolle in seinen Formulierungen bewusst unverbindlich blieb.

Nach den Veröffentlichungen der letzten Jahre, man denke an die Geschwisterbriefe (Blättchen 16/2018) oder an die Schreiben an Falladas Kinder (Blättchen 16/2020), wird mit dieser Edition endlich eine weitere wichtige biographische Lücke geschlossen.

 

Hans Fallada: Die RAD-Briefe aus dem besetzten Frankreich. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Carsten Gansel, Verlag Das Kulturelle Gedächtnis, Berlin 2022, 160 Seiten, 24,00 Euro.