25. Jahrgang | Nummer 24 | 21. November 2022

Zwischen Himmel und Erde

von Renate Hoffmann

Jena. Am Planetarium 5, Block B, Platz 23 im „Dienstältesten Großraumplanetarium der Welt“. Hier sitze ich, erfüllt von der hochgespannten Erwartung, mit Lichtgeschwindigkeit durch das All eilen, fliegen, sausen zu können (da ist nichts mit Wanderschritt!).

Sehnsucht seit Menschengedenken: Der Griff nach den Sternen; im übertragenen Forschersinn: „Durch Nacht zum Licht“ (Hesiod zugeschrieben). Beobachtungen, Berechnungen, Überlegungen. Vorangetrieben durch die Eckpunkte der Erkenntnisse von Ptolemäus, Kopernikus, Tycho de Brahe, Kepler und anderen Pionieren der Astronomie. Über Jahrhunderte hinweg versuchte man, die Vorgänge von Zeit und Raum am Himmel nachzubilden. Es geschah mit Hilfe von astronomischen Uhren, Himmelsgloben und mechanischen Planetarien. Diese nun, etwa ab 1540 in Gebrauch und oftmals kunstvoll gestaltet, erhielten, dem Wissensstand angepasst, fortlaufend Ergänzungen und Verfeinerungen. Doch die Wissbegier kennt keine Grenzen.

Der Aufenthalt im „Dienstältesten Großraumplanetarium“ versetzt in respektvolles Staunen. Anregung und Auftrag zu diesem Wunderwerk, entwickelt von der Firma Carl Zeiss Jena, kam aus München. Dort trug sich Oskar von Miller (1855–1934), Bauingenieur, begeisterter Naturwissenschaftler auf technischem Gebiet und begabter Organisator, mit dem Gedanken, ein technisches Museum einzurichten. Es gelang ihm 1906 durch Beharrlichkeit und geschicktes Manövrieren in Kreisen von Wissenschaft und Industrie, das „Technische Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik“ (kurz: Deutsches Museum) zu gründen.

Von Beginn an war darin eine astronomische Abteilung vorgesehen. Sie sollte neben anderem das Ptolemäische (geozentrische) und das Kopernikanische (heliozentrische) Weltsystem zur Anschauung bringen. Dazu erhielten kompetente Firmen Anfragen und entsprechende Unterlagen. Darunter auch Carl Zeiss Jena. Ablehnung. „[…] da derartige Arbeiten nicht in den Rahmen unserer Fabrikation passen.“ – Von Miller gibt nicht nach. Und gewinnt das Spiel. 3. Oktober 1913, aus einem Brief an die Geschäftsleitung von C.Z. Jena: „[…] wir möchten nochmals unserer Freude darüber Ausdruck geben, daß Sie die beiden Planetarien […] für den Neubau unseres Museums ausführen wollen.“ Gespräche, Briefwechsel, Austausch.

War von Miller der Anreger, so wurde Walther Bauersfeld (1879–1959), Maschinenbauingenieur und Physiker, der Ideengeber des Planetariums der Zukunft. Als gleichberechtigter Geschäftsleiter des Zeiss Werkes nahm er am 24. Februar 1914 an einem Treffen beider Interessenträger in Jena teil. Er berichtet: „Bei dieser Gelegenheit wurde viel über die Schwierigkeiten der Konstruktion“ (der Kuppel d. A.) „gesprochen, und das veranlaßte mich zu der Frage: ‚Warum wollen Sie denn eine so komplizierte Mechanik bauen? Ich denke, es müßte viel besser gehen, wenn man die Bilder von Sonne, Mond und Planeten auf die Innenfläche der Blechkugel projiziert.‘ “ Heureka! Nach Bauerfelds eigenen Worten war es die „Geburtsstunde des Projektionsplanetariums“. In die Tat umgesetzt wurde es als ein Gerät auf der Grundlage „optomechanischer Lichtprojektion“.

Der Aufbau setzte sich zusammen aus der „Sternkugel“ mit den Projektoren für die Fixsterne und dem Planetengerüst für die beweglichen Gestirne. Erprobt in einer 16 m-Kuppel auf einem Werksgebäude der Firma. – Von Miller sah dort eine Vorführung und „war außer sich vor Freude.“ Er erbat sich das Modell I für die Hauptversammlung des Museums-Ausschusses des Deutschen Museums im Oktober 1923. So geschehen und durch Bauersfeld am Ort vorgeführt. Und mit großer Begeisterung in der Öffentlichkeit aufgenommen. Der Verbleib des Gerätes in München wurde, des großen Andrangs wegen, verlängert. Die Rückkehr nach Jena erfolgte erst zu Ende des Jahres. Das Deutsche Museum erhielt anlässlich seines Neubaus den eigenen Planetariumsprojektor und weihte ihn am 7. Mai 1925 mit einem Festakt ein.

Nachdem der spezielle 25 m-Kuppelbau stand, öffnete am 18. Juli 1926 auch das Zeiss-Planetarium in Jena seine Pforten. Wie nicht anders zu erwarten, drängten sich die Besucher, und die Presse überschlug sich. Anforderungen für Projektionsgeräte kamen aus den großen Städten Deutschlands, Europas und weltweit. Die Serienproduktion bot sich an.

Um das Gerät an anderen Orten der Erde einsetzen zu können, musste das Prinzip des „Einkugelprojektors“ (Darstellung des Nordhimmels) um die Projektion des Südhimmels ergänzt werden. Das geschah durch den Ansatz eines weiteren Planetengerüstes und einer zweiten Kugel. Es entstand, der Form entsprechend, der sogenannte „Hantelprojektor“. Dieses klassische Modell („Cosmorama“) fand bis zum Jahr 1996 seinen Platz im Jenaer Planetarium. Die Ablösung erfolgte durch die Installation des weiterentwickelten Starball-Modells VIII („Universarium“), welches dank moderner Technologie das gesamte System in einer Kugel zusammenführt. Darüber hinaus erlaubt es, Programme aus Wissenschaft, Kultur und Unterhaltung auf der Kuppelinnenfläche von 800 Quadratmetern vorzuführen. – „Cosmorama“, die Altgediente, erhielt den Status eines Technischen Denkmals und wurde in das Jenaer Einkaufszentrum „Goethe Galerie“, zum allgemeinen Bestaunen, versetzt.

Ich lehne mich zurück. Das Licht verlischt, und die elegante Kugel „Universarium“ (derzeit Modell IX), die nun Nord- und Südhimmel in sich vereint, nimmt ihre Arbeit auf. Sie entführt mich in die Weiten des Weltalls, verzaubert und lässt die Erdenschwere vergessen.