25. Jahrgang | Nummer 23 | 7. November 2022

Woher soll Friede kommen?

von Joachim Lange

Das Goethe-Theater in Bad Lauchstädt ist mittlerweile wieder so schmuck herausgeputzt, dass dessen Gründer, erster Direktor, Autor und Namenspatron seine helle Freude daran haben würde. Vermutlich auch daran, dass sich das Festspiel der Deutschen Sprache, das die Sopranlegende Edda Moser als Initiatorin und aktive künstlerische Leiterin im Schulterschluss mit dem früheren Außenminister Hans-Dietrich Genscher etabliert hat, ein Höhepunkt im Kulturkalender des Landes Sachsen-Anhalt geworden ist. Das für diesen Anlass schnell in die Tastatur flutschende englische „Highlight“ verbietet sich hier von selbst, da die modisch leichtfertige Verwendung von Anglizismen einer der Gründe ist, die Sprache selbst zu verteidigen, indem man sie feiert. Vor allem mit Theatertexten der Weimarer Klassiker.

Zu diesem Festspiel, das das Prunkstück auch im Kalendarium des Goethe-Theaters bildet, hat es sich eingebürgert, dass sich der aktuelle Ministerpräsident des Landes nicht darauf beschränkt, eine kurze, launige Ansprache zur Eröffnung zu halten, sondern selbst im Barocksaal als Diskussionspartner für einen illustren Gast zu Verfügung zu stehen. Auch dieser Saal ist samt dezentem neuen Anbau ein gleichsam zusätzlich funkelnder Teil des architektonischen Kleinodes, zu dem Kuranlagen und das Theater in Bad Lauchstädt vor den Toren Halles geworden sind.

Bei dem seit 2007 in Bad Lauchstädt zelebrierten Festspiel zum Lobe und der Verteidigung der deutschen Sprache bildet eine Klassiker-Lesung im Theater mit einer hochkarätigen Auswahl von Schauspielern (diesmal in der Überzahl) und Schauspielerinnen den Kern eines mittlerweile mehrtägigen Programms. In diesem Jahr ist es Schillers Wallenstein-Trilogie. Dem Festspiel und seinem Anliegen an sich ist in jüngster Zeit durch den eskalierenden Korrektheit- und Korrekturfuror, dem sich besonders öffentlich rechtliche Sender, Dramaturgen und andere Bescheidwisser verschrieben haben, immer mehr Legitimation zugewachsen. Und sei es als eine Selbstvergewisserung all derer, die das mit Sorge sehen, mindestens aber als Teil der Debatte um die Sprache [siehe auch der Beitrag von J. Hauschke in diesem Heft – d.Red.].

So wie der Sache an sich durch äußere Umstände Unterstützung naht, erging es auch dem aktuellen Text. Den gab es diesmal als Fortsetzung. „Wallensteins Lager“ und „Die Piccolomini“ als ersten und „Wallensteins Tod“ am Folgetag als zweiten Teil. Zu diesem großen Kriegspanorama von Goethes Dichterfreund Schiller (der den Geschichtsprofessor auch hier nie verleugnet) passte der Gesprächspartner von Rainer Haseloff im „Literarisch-philosophischen Gespräch“ Rüdiger von Fritzsch, der u. a. deutscher Botschafter in Moskau war. Von dem mit überlegter Sachkunde auffallenden, gelegentlichen Gast bei Lanz z. B. und Buchautor stammt übrigens das Bild vom umgeworfenen Schachbrett, das der Bundespräsident kürzlich auf Putins historischen Regelbruch mit dem Überfall auf die Ukraine bezogen, verwendete.

Ein Zitat aus dem Stück, das den gebannt dem puren Text folgenden Zuhörern schon bei der Lesung auffiel, stand über der Debatte. Im vierten Auftritt der Piccolomini, in dem der kaiserliche Gesandte Questenberg, Octavio und Max Piccolomini aufeinandertreffen, sagt Max: „Denn hört der Krieg im Kriege nicht schon auf, woher soll Friede kommen.“ An dem Gespräch beeindruckte, dass sich weder Rüdiger von Fritzsch, noch sein Quasi-Gastgeber Reiner Haseloff auf das von mdr-Moderatorin Sabine Falk-Bartz intendierte Niveau einer Hätte-man-es-nicht-wissen-müssen-Debatte, wie sie in diversen Gesprächsrunden (um nicht TV-Talkshows zu sagen) dominiert, abdrängen ließen. Hier konnte man stattdessen einem aktiven Politiker und einem pensionierten Diplomaten, ganz gleich ob man die Postionen im Detail teilt oder nicht,  mit Gewinn beim Nachdenken zuhören.

Einen intellektuellen und ästhetischen Hochgenuss bot natürlich die abendliche Lesung im Theater. Ohne Ablenkung bei Schiller hinterm Schreibtisch sozusagen. Wie auch anders, wenn Thomas Thieme (nach dem Prolog von der Galerie aus) als bodenständig machtbewusster und doch zweifelnd zögerlicher Wallenstein zwischen seine Leute tritt. Oder Max Simonischek den kompromisslos an seinen Feldherren glaubenden Max Piccolomini und Peter Lohmeyer dessen taktierenden Vater gibt. Oder wenn Udo Schenk (neben seinem Job in der Sachsenklinik) dem Mann mit Amt und ohne Meinung Questenberg erstaunlich menschliche Züge verleiht. Oder wenn Bernt Hahn u. a. den Grafen Tertzky und Ruth Reinecke seine Frau sprechen. Im Lager und als Isolan brillieren Christian Grashof und Hans-Martin Stier, daneben jüngere Kollegen wie Benjamin Krüger oder Sandro Kirtzel.

Es ist durchweg eine wahre Freude! Eine Inszenierung, die über die Sprache hinausgeht, fehlte hier niemandem. Sollte sie ein Theater planen, dürfte ihm ein Teil dieses Publikums sicher sein …