Was lässt sich über eine britische Institution mit hundertjähriger Geschichte schreiben, von der jeder Hörer und Zuschauer irgendeine Vorstellung hat?
Alles begann um 1920 mit Opernübertragungen im Radio, gefördert von Radiogeräteherstellern. Diese Ausstrahlungen trafen auf begeisterte Zustimmung seitens der Opernliebhaber. Von offizieller Seite wurde ein Verbot weiterer Radioaustrahlungen ausgesprochen mit der Begründung, dass die Radioübertragungen die militärische und zivile Kommunikation stören. Überrollt von zahlreichen Lizenzanträgen vergab das General Post Office nach geraumer Zeit an ein Konsortium führender Radiogerätehersteller das Recht, ein privatrechtliches Unternehmen, die British Broadcasting Company, zu gründen. Die ursprünglichen Programminhalte sollten sich auf „informieren, bilden und unterhalten“ fokussieren. Im Laufe der Jahrzehnte änderten sich die Finanzierung und die politische Integration in das britische Staatswesen mehrfach.
Während des Generalstreiks 1926 erkannte Winston Churchill die Bedeutung eines landesweit ausstrahlenden Hörfunks im Sinne der Regierung. Sämtliche nationalen und regionalen Zeitungen wurden durch linke, notorisch streikbereite Druckergewerkschafter jahrzehntelang immer wieder lahmgelegt. Bis zum vollständigen Ersatz des Schriftsetzerberufs in den siebziger Jahren durch die Einführung des Computersatzes im Zeitungsgewerbe war die BBC in Streikzeiten in einer Monopolstellung im Mediengeschäft. Die Mär vom unparteiischen BBC-Hörfunk konnte mit den Sendeverboten für die Labour Party und der verspäteten Ausstrahlung des Friedensappells des Erzbischofs von Canterbury nicht länger aufrechterhalten werden. Die Streikenden von 1926 bezweifelten die unparteiische Berichterstattung und bezeichneten die BBC als BFC: British Falsehood Company – Britische Unwahrheitsgesellschaft.
Am 1. Januar 1927 vollzog sich die Umwandlung der British Broadcasting Company in die British Broadcasting Corporation, eine öffentlich-rechtliche Körperschaft. Im Gegensatz zu US-Medienunternehmen sollten die Einnahmen nicht durch Werbung, sondern durch Einnahmen bei der Vergabe der Radioempfänger erzielt werden.
Unstrittig ist, dass seit der Gründung, als Zeitraum wird Oktober bis November 1922 genannt, mehr oder weniger offene oder verdeckte Zensur praktiziert wurde. Texte von Kommentatoren waren stets vorzulegen und mussten bei Beanstandung angepasst werden. Kommentatoren wurden entlassen, wenn sie als ‚subversiv‘ eingestuft wurden. In der Anfangszeit gehörten britische Unterhaltungsmusik, Werke des klassischen Musikerbes, erste Radiohörspiele, Übertragungen der Anglikanischen Kirche und des Königshauses zum Markenkern der BBC-Programme.
In der Zeit vor dem II. Weltkrieg wurden erste Fernsehtestübertragungen eingestellt, stattdessen wurde alle Kraft auf den Ausbau der technischen und personellen Kapazitäten weltweit konzentriert, geleitet von einem Informationsministerium, das die Berichterstattung im Fremdsprachendienst zensierte und divergierende Bekundungen der an der Anti-Hitler-Koalition beteiligten Staaten geräuschlos glättete. Die Mobilisierung der Briten, die Einbeziehung der Commonwealth-Staaten auf der einen Seite und Information und Desinformation der gegnerischen Truppen und der Zivilbevölkerung in den faschistischen Staaten auf der anderen Seite waren die vorrangigen Aufgaben der BBC. Zeitzeugen des II. Weltkrieges erinnern sich an die charakteristischen Anfangstöne der BBC-Nachrichten: domm-domm-domm-domm, die deutsche Hörer tunlichst leise hören sollten, da das Abhören des britischen Feindsenders unter strenger Strafe stand.
Unterschiedliche Angaben existieren über den Einfluss des MI5 im Bewerbungsprozess von BBC-Angestellten für Positionen als Radio- und Fernsehjournalisten und für Managementpositionen. Von Seiten der Regierung, des Königshauses und der Kirchen auf der Hauptinsel und in Nordirland wurde und wird kontinuierlich Druck ausgeübt, um eine wohlwollende Berichterstattung im Sinne des eigenen Machterhalts zu sichern. Eine unrühmliche Rolle spielte die BBC in der Zeit des Kalten Krieges im Ost-Westkonflikt und für den Zusammenhalt des britischen Kolonialreiches. In allen von BBC-Autoren verantworteten Inhalten werden die spezifisch britischen Interessen in der NATO; vor, während und nach der EU-Mitgliedschaft hervorgehoben.
Anlässlich der Trauerfeierlichkeiten der kürzlich verstorbenen Königin Elisabeth II. dominierten Huldigungen der Königin, endlose Prozessionen in allen Landesteilen, Wiederholungen vorteilhafter, bestellter home stories der königlichen Familie die Berichterstattung. Nur kurz erwähnt wurden, begleitet von unscharfen Bildern, Buh-Rufe und Pfeifkonzerte von Gegnern der Monarchie während der Staatstrauer. Die Handgreiflichkeiten der Polizei und der Demonstranten wurden von BBC-Journalisten mit heavy-handed umschrieben. Das lässt viel Spielraum für die Übersetzung: Die Polizei reagiert ungeschickt, schwerfällig, übergriffig oder brutal. Immer wieder beklagen Medienbeobachter selektive und verzögerte Nachrichtenmitteilungen in Hörfunk, TV und Internetangeboten.
Wer sich informieren will, lernte und lernt den „British way of life“ in (Pop-)Musik, in Mode, in Innendesign, in Kulinarik, im Landschaftsbau, in den Sitten am Königshaus und im stoischen Festhalten an alten Maßeinheiten näher kennen. Manche Eigenheiten scheinen Briten und Nichtbriten so skurril und obsolet, dass sie nur mit einem gehörigen Schuss „British humour“ (in den Spielarten Schwarzer Humor, Limericks, Wortspiel etc.) erträglich sind.
In Zusammenarbeit mit dem British Council ergänzte die BBC ihre kommerziellen Aktivitäten durch Bildungsangebote zur Vermittlung der englischen Sprache. Welcher Englischlehrer kennt nicht die allmorgendlichen 15-minütigen Radiosprachkurse zu allen erdenklichen grammatischen Themen, serviert mit viel Humor in Spielszenen. In den frühen sechziger Jahren entstand zwischen BBC, British Council und Langenscheidt-Verlag die TV-Version „Lernt Englisch mit Walter und Connie“. Betrachtet man die Sendung aus soziolinguistischer Perspektive wirkt der Inhalt als „Heile-Welt-Darbietung“. Frei nach dem Motto: Lady Priscilla Molesworth fährt zu Lord Molesworth-Houghton nach Thrumpton Castle zur Tea-time … Auf diese Weise befördet man den Eindruck, ja, so leben die Briten.
Dass Sprachenlernen auch anders geht, bewiesen die Macher der DDR-Version „English for you“ wenige Jahre später. Die Strukturierung der Sendung durch eine Moderatorin, Grammatikschwerpunkte verpackt in Spielszenen, Nachsprechübungen mit Untertiteln war ähnlich. Die Inhalte waren näher an der Realität. Wir erinnern uns an die Thematik steigende Mieten mit einem Mietenkassierer (rent collector), der die Mieter wie eine Zitrone ausquetscht (lemon squeezer). Im Gegensatz zum Langenscheidt-Verlag, BBC– und British-Council-Material, das die Phonetik des Queen’s English zelebrierte, tauchten bei „English for you“ regionale Dialekte auf. Heutzutage erscheint kaum ein audiovisuelles Lehrmaterial ohne phonetische Varianten der englischen Sprache.
Erwähnenswert ist die Vermittlung belletristischer, geistes- und naturwissenschaftlicher Literatur in englischer Sprache aus der Vergangenheit und Gegenwart in BBC-Sendungen. Interessierte Cineasten können auf ein reichhaltiges Archiv aus Eigenproduktionen der BBC verschiedener Filmgenre zurückgreifen und lernen aktuelle Filmtrends kennen. Der Fremdsprachenunterricht vom Schulunterricht bis zum Universitätsniveau wurde durch diese Bandbreite der Themen mit aktuellem Material bereichert.
Prognosen über die Zukunft der BBC lassen sich schwer erstellen, ist doch der finanzielle und rechtliche Status der BBC ungewiss. Vorerst gilt das Motto: Wherever you are – you are with the BBC.
Schlagwörter: "English for you", BBC, Brigitta Wagner Corporation, British Broadcasting, Fremdsprachenunterricht, Winston Churchill