25. Jahrgang | Nummer 19 | 12. September 2022

Ein Leben für Bücher und ihre Leserschaft

von Eberhard Erdmann

Wenn ein Mensch aus diesem Leben abberufen wird, steigen bei Freunden und Weggefährten Erinnerungen auf. Das war auch so, als die Mecklenburgische & Pommersche Kirchenzeitung (MPKZ) am 14. August 2022 meldete, dass Susanne Hein am 14. Juni 93-jährig in Erfurt gestorben war. Sie hat die evangelischen Buchhandlung in Rostock („EVA“ – so die gängige Insider-Bezeichnung) von 1957–1990 geleitet. Keine leichte Aufgabe unter den allseits bekannten Bedingungen für christliches Schriftgut und kirchliches Pressewesen.

In einem Artikel zum 100-jährigen Bestehen der Buchhandlung 2007 notierte Martina Plothe in der MPKZ: „Die wenigen, heiß begehrten Druckwerke – etwa das ‚Plattdeutsche Gesangbuch‘ oder die ‚Dorfkirchen in Mecklenburg‘ wurden ihr regelrecht aus der Hand gerissen – ‚Mangel ist vermutlich leichter zu verwalten als Fülle‘, urteilt die damals 79jährige augenzwinkernd.“ Jens Langers Erinnerung nach „hat sie Jahrzehntelang im Hintergrund die Gemeinden in Rostock und darüber hinaus literarisch und theologisch nachhaltig für das Leben in der Gesellschaft samt Kirche gestärkt. Auch Nichtchristen haben das Angebot genutzt.“ Peter Wittenburg wurde zu Beginn des Studiums 1960 auf die „EVA“ hingewiesen: „Für mich eine große Überraschung, dass es in der atheistischen DDR solch eine Buchhandlung gab und sogar christliche Verlage. Dazu eine junge und den Studenten sehr zugewandte und hilfreiche Buchhändlerin. Wir erwarben bei ihr alle zum Studium wichtigen Bücher, ebenso belletristische Literatur. Plattdeutsches hatte sie aus Platzgründen nicht in der Buchhandlung. Aber soweit erschienen, bestellte sie dies sofort; als 1986 ‚Dat Ni Testament‘ von E. Voß erschien, hat Frau Hein viele Exemplare verkauft. Sie kannte die mecklenburgische Pastorenschaft, viele Pfarrhäuser und ihre Probleme. Sie war für mich eine Institution und Ansprechpartnerin.“

Dietlind Glüer, langjährige Landessynodale, erinnert sich: „Frau Hein belieferte jährlich die Gemeinden in der Landeskirche mit den gewünschten Artikeln. Sie unterstützte Büchertische in den Gemeinden und betreute solche auch persönlich bei größeren Veranstaltungen. Das bedeutete große Mühen, denn das Angebot musste dort auch hingeschafft werden. Und wie ging das ohne eigenes Auto? Nie habe ich Frau Hein klagen gehört. Sie war eine Buchhändlerin, die sich freute, ihre Kunden bedienen zu können. Ich glaube, sie kannte alle mit Namen. Ihr Engagement war hinreißend und ansteckend, ihr Fachwissen und ihre stete Freundlichkeit die beste Werbung für das Angebot.“ Klaus-Dieter Wolter äußert sich ähnlich: „Frau Hein war für mich, der neu in der Pfarrstelle war, eine große Unterstützung, nicht nur im Blick auf die eigene Literaturversorgung. Bei Gemeindefesten war sie z.B. immer bereit, sich nicht nur mit Buchständen, sondern auch mit Themen zu beteiligen.“ Christina Gropengießer nimmt die Perspektive der früheren Mitarbeiterin ein: „Nachdem meine Eltern 1979 verhaftet wurden, und ich Repressalien ausgeliefert war, fragte ich Susanne Hein, ob ich bei ihr arbeiten könnte. Sie freute sich riesig. Auf einem kleinen Handwagen wurden täglich Pakete und Päckchen zur Post gefahren – meine tägliche Arbeit, oft körperlich anstrengend.“ Sie bezeichnet diese Zeit aber als ihr Glück und sagt über Frau Hein: „Sie war für mich die Rettung!!“

Helga Beyer hat das einige Jahre später auf besondere Weise erfahren. Sie befand sich 1985 durch den plötzlichen Tod ihres Mannes in einer schweren Lebenssituation. Wie weiter? Da bot Frau Hein ihr die Mitarbeit zu günstigen Bedingungen an. Für Frau Beyer ebenfalls die Rettung. Beide Frauen waren bald ein gut eingespieltes Team. Nach dem Ausscheiden von Frau Hein und dem Weggang des Nachfolgers übernahm sie 1994 die Leitung. Sie setzt der zur Freundin gewordenen Chefin ein beeindruckendes Denkmal. Denn deren großherzige Hilfe für sie selbst war kein Einzelfall: „So hat sie Traurige, Besorgte, Verletzte und Gefallene aufgefangen.“

Gibt es eine zutreffendere Erinnerung an einen von Nächstenliebe geleiteten Mitmenschen?