25. Jahrgang | Nummer 20 | 26. September 2022

Antworten

Maritta Adam-Tkalec, Berliner Zeitung, schaut über den deutschen Tellerrand und stellt Fragen – In Chile herrscht Abstimmungspflicht. 62 Prozent der Stimmberechtigten haben dort gerade einen von seinen Verfassern besonders fortschrittlich gestalteten Vorschlag für eine neue Verfassung krachend durchfallen lassen. Denn leider hatten diese Verfasser – ein, so Ihr Ausdruck, „Minderheitensammelsurium“ diverser linker Avantgarden – „die Mehrheit aus dem Blick“ verloren. Sie meinen: „Die Ablehnung der Magna Carta ist eine Lehre für alle. Wer die Gesellschaft verändern will, muss dem Volk zuhören, statt ihm zu sagen: Du bist mir egal.“ Und Sie konstatieren: „Dieser Umstand macht das chilenische Polit-Beben zu einer Erschütterung, die auch vor der eigenen Haustüre einiges wackeln lässt.“

Nämlich?

„Wird Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), der ‚egal ist‘, was die deutschen Wähler über ihr Ukraine-Engagement denken, das chilenische Signal hören? Wird über die deutsche Energieversorgung ideologisch entschieden oder nach Faktenlage? Bestimmen identitär oder dekolonial bewegte Kleinstgruppen den Fortschritt der Gesellschaft oder gewählte Gremien? Legen akademisch-elitäre Blasen fest, wie geschrieben und geredet und was gelesen wird?“

Mit diesen Fragen sind wir ganz bei Ihnen.

Doch warum sollte ausgerechnet Baerbock ein Signal hören, das für sie als solches vermutlich gar nicht erkennbar ist? In Deutschland herrscht keine Abstimmungspflicht, und trotzdem haben die Wähler bei der Landtagswahl in NRW im Mai dieses Jahres den Stimmanteil der Grünen mal eben knapp verdreifacht. Mit diesem Trend könnte Baerbock demnächst Kanzlerin werden.

Getreu dem Motto: Schlimmer geht’s immer!

Mary Elizabeth „Liz“ Truss, neueste britische Premierministerin – Schon dass die soziale Dampfwalze Margaret Thatcher als Ihr Vorbild gilt, ließ Schlimmstes befürchten. Doch wie schlimm es für die Briten kommen könnte, diesen Teufel hat die schottische Schriftstellerin A. L. Kennedy gerade an die Wand gemalt: „Unsere neue Regierungschefin heißt Truss. Ihr Name ist Programm, denn ‚to truss‘ heißt ‚etwas sehr fest einschnüren‘. Bei Liz Truss denkt man unwillkürlich an etwas Unansehnliches, zum Beispiel abgebundene lebenswichtige Körperteile, mit denen irgendetwas schrecklich schiefgelaufen ist. […] Truss stolpert von einem dummen, aggressiv-kämpferischen Fauxpas zum nächsten. Sie wirkt dabei wie eine Fünfjährige, die gerade gegen eine Tür gelaufen ist – und die Gefallen daran gefunden hat. […] Im Januar werden wir nicht mehr funktionsfähig sein […]. Unser Niedergang geht jetzt schon sehr rasch vonstatten, seien es Gerichte, Krankenhäuser, Lebensmittel, Verkehr oder Wohnungen: Liz Truss’ vorsätzliche Ignoranz, ihr Pastellfaschismus und ihre plündernden Kumpane werden kaum einen Stein auf dem anderen lassen.“

Wow!

Ein Volk, das sich solch eine Premierministerin überhelfen lässt, dem ist nicht nur nicht mehr zu helfen, das braucht auch sonst keine Feinde …

Ulrike Guérot, rausgeschmissene Abweichlerin – Die deutsche Welt schmückt sich in Jurys und ähnlichen Gremien gern mit klingenden Namen, die schlagzeilenträchtig sind. Als Politikwissenschaftlerin und Publizistin fielen Sie immer wieder mit Äußerungen auf, die nicht so recht in den medialen Papageienkäfig der Republik passten. Jedenfalls hatte sich der NDR wohl auch deshalb entschlossen, Sie in die Jury des diesjährigen NDR-Sachbuchpreises zu berufen. Jetzt wurden Sie stillschweigend entfernt. Wir teilen auch nicht alle ihre Positionen, aber was sich die NDR-Chefs da leisteten ist ein Paradestück moderner Zensur. Sie hätten sich „mit öffentlichen Äußerungen von den Werten der wissenschaftlichen Gemeinschaft und des NDR Sachbuchpreises deutlich entfernt“. Wir übersetzen dieses Schwabber-Deutsch einmal: Sie haben sich in der letzten Zeit zu strittigen politischen Fragen anders geäußert, als es die Chefetage des Senders zum Beispiel von ihren Redakteuren erwartet. Wer nicht Mainstream plappert, der fliegt raus.

Wer sich noch immer über die graue Gleichförmigkeit der selbsternannten „Qualitätsmedien“ wundert, kann an Ihrem Beispiel sehen, wie die zustande kommt. Ein Joachim Herrmann – wir erinnern uns: der war Agitationschef der SED –  ist heute überflüssig. Es geht auch anders.

Annalena Baerbock, Technikabstinente, kommt aus dem Völkerrecht – Kürzlich wollte doch eine gewisse Anne Will im live-TV von Ihnen wissen, warum die Ukraine zwar Haubitzen, aber keine Kampfpanzer aus Deutschland erhält. Die politische Argumentation scheuten Sie, Sie verlegten sich aufs Technische: „[…] Wir sehen, dass dieses Material, wenn es falsch bedient wird, schnell kaputtgeht. […] Es geht hier um hochmodernes Zeugs, wo ich die Details auch als Außenministerin nicht im Detail verstehe.“ Klar doch, Details im Detail verstehen, das kann nun wirklich niemand verlangen! Es ist schon schwer genug, den Deutschen die Bedienung von Waschlappen und Heizungsdrehknopf zu erklären, wie wir dank Ihres Parteifreundes aus Stuttgart wissen. Und nun noch den Ukrainern einen Leopard II! Wie kriegt man das Ding überhaupt auf? Winfried, hilf!

Prinz Harry, trauriger Prinz – Weil böse Menschen aus der Familie dafür sorgten, dass die Uniform, die Sie bei der Ehrenwache für die verstorbene Granny tragen durften, nicht vollständig war, sollen sie „am Boden zerstört“ gewesen sein. Auf den Schulterstücken fehlte das „ER“ („Elizabeth Regina“). „Er ist untröstlich. Die Initialen seiner Großmutter zu entfernen, fühlt sich sehr absichtlich an.“ So berichtete die Sunday Times. Aber Gattin Meghan hat alles wieder gutgemacht: Ihr Hof-Knicks in High-Heels vor dem Sarg war perfekt. Seien Sie stolz auf die Verrenkungskünste Ihrer Frau und meiden Sie künftig das United Kingdom. Die mögen Sie dort eh nicht. Übrigens hatte sich schon Egon Friedell darüber gewundert, dass die alten Griechen Familie mit „bester Freund“ synonym setzten.