25. Jahrgang | Nummer 17 | 15. August 2022

Theaterberlin

von Reinhard Wengierek

Diesmal: „Die Deutschlehrerin“ – Kleines Theater am Südwestkorso / Mindestlohn – den Mimen mehr Geld. Und: Was heißt „ordentlich Theater“?

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Südwestkorso: Zimmerschlacht auf leisen Sohlen 

Sechzehn Jahre waren Mathilda und Xaver ein Paar; das will was heißen. Das heißt, im gegebenen Fall, eine vornehmlich aufs Geistige orientierte Übereinstimmung. Beide sind sonderlich fantasiebegabt, erfinden lustvoll fremde Lebensverläufe und Lebenswelten, sind literarisch bewandert, lieben das Fabulieren und Formulieren – zwei kultivierte Feingeister mit einschlägigen Berufen. Sie ist eine beliebte, erfolgreiche Deutschlehrerin; er Schriftsteller mit deutlich weniger Erfolg und Einkommen (sie finanziert den gemeinsamen Haushalt).

Doch dann reißt der Knoten: Xaver gelingt der große Wurf; er landet einen Bestseller, an dem wiederum Mathilda wesentlichen Anteil hat. Denn sie war es, die seinem Erfolgsroman das Gerüst, die psychologischen Zuspitzungen und dramatischen Wendungen herbei fantasierte. – Und jetzt der scharfe Schnitt in der Geschichte dieser offensichtlich besonders im Kreativen segensreichen Partnerschaft: Xaver, nunmehr Star-Autor, verlässt Knall auf Fall ohne Abschied Mathilda, um sein Leben fortan mit einer selbstredend jüngeren Frau aus – auch das noch – prominenter, bestsituierter Familie zu teilen. Nach sechzehn Jahren.

Das alles klingt wie eine saftige Story aus dem Reich der bunten Blätter. Und ist doch, ja schon, aus des Lebens Fülle gegriffen. Der unversehens umschwärmte Gockel bricht auf zu verlockend neuen Ufern ohne Rücksicht auf Verluste. Zurück bleibt die Verletzte, die mit der Wunde zurechtkommen muss, was ihr sogar leidlich gelingt. Ein populäres Sujet mit reichlich Identifikationspotenzial. Nicht nur für Frauen.

Davon erzählt Judith W. Taschler in ihrem preisgekrönten, in bereits vierter Auflage erschienenen Roman „Die Deutschlehrerin“. Doch die österreichische Autorin, Jahrgang 1970, erzählt natürlich noch sehr viel mehr, indem sie dem schmerzvollen Abbruch einen Aufbruch gegenüberstellt, der unerfüllt bleibt, der elend endet und schließlich frappant in einen Kriminalfall mündet. Das Ganze gleicht einem durchaus virtuos komponierten Kammerspiel, einer als Zwiegespräch geführten Lebensbeichte von Mathilda und Xaver. Zwei eigentlich füreinander Bestimmte verpassen sich und folgen gegensätzlichen Lebensplänen, was tragisch endet. Aus dem Banalen, Alltäglichen erwächst Katastrophales. Es geht um Liebe, Verrat, Einsamkeit, Tod – ums menschlich allzu Menschliche. Man kennt es, und ist dennoch stets aufs Neue bestürzt.

Fürs intime Haus am Südwestkorso, das sonderlich reuissiert mit der Dramatisierung zeitgenössischer Literatur, hat Thomas Krauß geschickt eine Bühnenfassung erstellt, die mit jeder so überraschenden Wendung der quasi parallel aufgeblätterten Geschichten die Spannung ins nahezu Unheimliche steigert. Birgit Schade und Markus Gertgen liefern ein eloquentes, dabei psycholgisch ziseliertes Spiel, inszeniert von Karin Bares, der erfahrenen Hausherrin und Regisseurin. Ein zunächst amüsant anfangendes, dann zunehmend beklemmendes, bitteres und böses Stück im engsten Raum. Am Südwestkorso heißt das: im kleinen Format. Oder anders: Eine auf leisen Sohlen ausgetragene Zimmerschlacht. Starker Beifall.

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Mehr Knete für Künstler

„Alle haben die Nase voll, dass hochqualifiziertes Personal am allerschlechtesten bezahlt wird“, schimpft Lisa Jopt, Präsidentin der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GDBA). Eine ungelernte Reinigungskraft beispielsweise, klärt sie uns auf, verdiene im ersten Berufsjahr mehr als eine ausgebildete Opernsängerin oder Schauspielerin – und bei den Herren sei es genauso. Wer hätte das gedacht …

Nun hat sich die Künstlergewerkschaft GDBA, Interessenvertreterin der künstlerisch am Theater Beschäftigten, nach langen, zähen Verhandlungen mit der Gegenseite, dem Deutschen Bühnenverein (Interessenvertreter der Theaterleitungen), auf eine neue Gagenregelung für die Solobeschäftigten einschließlich der Bühnentechniker geeinigt.

So wird die mickrige Mindestgage in zwei Stufen von bisher geradezu peinlichen 2000 Euro ab dem 1. September auf zunächst wenigstens 2.550 und ab dem 1. Januar 2023 auf 2750 Euro angehoben. Zugleich werden die Gastgagen erhöht und erfahren eine Steigerung von etwa 35 Prozent. Auch wird zu Beginn der Spielzeit 2023/24 eine dynamisierte Beschäftigungszulage von 200 Euro auf die Mindestgage eingeführt.

Und prompt schrillen bei den Arbeitgebern, also den Theatern im Lande, die Alarmglocken: Kostenexplosion! Kein Geld!  Deshalb auch gleich ein gemeinsamer Appell von Gewerkschaft und Bühnenverein an die Rechtsträger, die in ihrer Obhut stehenden Bühnen nicht schnöde sitzen zu lassen auf der finanziellen Herausforderung durch die Gagenerhöhungen. Denn die Theater können die Belastung allein nicht schultern, das ist klar. Sie brauchen die Zusage der Rechtsträger, den beträchtlichen Mehraufwand mitzutragen – noch besser: gleich ganz zu übernehmen.

Tun sie das nicht, werden die Intendanzen gegen den Spardruck ihre Rotstifte in Stellung bringen und zuallererst die Kunst zusammenstreichen; also Ensembles reduzieren, ausbeuterische Hausverträge anbieten (um Mindestgagen zu umgehen), den Spielplan ausdünnen, womöglich gar Sparten schließen. Das wiederum dürfte vornehmlich an den vielen kleineren Bühnen, den so rührigen Stadttheatern, passieren, sollten die Rathäuser und Landkreise bocken. Die großen, erst recht die berühmten Staatstheater sind da eher auf der sicheren Seite. Trotzdem, auch dort dürfte stirnrunzelnd an den Ausgaben herumgeschnipselt werden. Doch letztlich gilt überall: Will man ordentlich Theater, muss man seriös bezahlen. Was wiederum eine andere Frage aufwirft: Was heißt – noch dazu in Zeiten gravierenden Publikumsschwunds – ordentlich Theater?

Dazu beispielsweise Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles, ganz undogmatisch: Wichtig sei nicht mehr die Regietheater-Weltmeisterschaft oder eine Einladung zum Berliner Theatertreffen, nicht mehr eigene Befindlichkeit oder die Feier in der eigenen Theaterblase. Vielmehr gehe es um einen Spielplan mit aufregenden Geschichten, großen Gefühlen, gekonntem Entertainment, mit tollen Stars in tollen Ensembles. Also weg von banaler Gesellschaftskritik, von verrätselter Konzept-Regie, kaum verständlichen Dekonstruktionen und wirren Verfremdungen. Wichtig sei, wieder deutlich verstärkt von den Bedürfnissen des Publikums auszugehen. – Ein ästhetischer Paradigmenwechsel? Jedenfalls eine uralte Theaterweisheit.