25. Jahrgang | Nummer 17 | 15. August 2022

Bartholomäusnacht

von Hermann-Peter Eberlein

Vor 450 Jahren, in der Nacht vom 23. auf den 24. August 1572 – den Tag des Heiligen Bartholomäus – läuten die Glocken der Pariser Pfarrkirche St.-Germain-L’Auxerrois das schlimmste Pogrom an Protestanten ein, das die europäische Geschichte kennt: die Bartholomäusnacht.

Dabei hatten gerade diese Tage der Versöhnung zwischen den seit Jahrzehnten verfeindeten Konfessionsparteien in Frankreich dienen zu sollen: Es wurde die Hochzeit zwischen der katholischen Prinzessin Margarete von Valois, der Schwester Karls IX., und Heinrich von Bourbon gefeiert, einem der Führer der Calvinisten, seit wenigen Wochen König des protestantischen Navarra und seit Jahren Premier prince du sang, also präsumptiver Thronerbe Frankreichs für den Fall des Aussterbens der regierenden Dynastie. Vor dieser Hochzeit, arrangiert von der Königinmutter Katharina von Medici, liegen die ersten drei von später insgesamt acht Hugenottenkriegen, die Frankreich insgesamt 36 Jahre lang verheeren sollten und – wie der Dreißigjährige Krieg in Deutschland – nur zu einem Teil Religionskriege darstellten. In Frankreich ging es letztlich um das Verhältnis des Adels zur königlichen Zentralgewalt, es ging um die außenpolitische Positionierung im Antagonismus zu den in Spanien und Österreich regierenden Habsburgern, es ging vor allem um die Macht: Sollte sie in Zukunft bei den Guise liegen, den Anführern der katholischen Partei, oder beim seit 1560 dem Calvinismus zugetanen Haus Bourbon? Der König und sein Bruder waren schwach und hatten keine legitimen Söhne.

Bereits am 22. August hatte ein vermutlich von den Guise gedungener Attentäter den militärischen Führer der Protestanten (in Frankreich Hugenotten genannt) zu ermorden versucht, Admiral Coligny. Der junge König, der in Coligny einen väterlichen Freund kennengelernt hatte, war entsetzt; die Bevölkerung von Paris fürchtete Racheakte der Hugenotten – immerhin standen 4000 von ihnen unter Waffen vor den Toren der Stadt. Am Abend des 23. August hat diese Angst auch den König erreicht: Er spricht von einer conspiration und befiehlt, die Stadtmiliz zu bewaffnen und die Tore zu schließen. In der Nacht ermorden Mitglieder der königlichen Leibgarde unter der Führung des Herzogs von Guise Coligny in seinem Haus, eigenmächtig ruft Guise zum Mord an allen wegen der Hochzeit in der Stadt versammelten Hugenottenführern auf und nimmt dafür die Autorität des Königs in Anspruch. In der aufgeheizten Stimmung wird dies als Aufruf zur Massenexekution verstanden. Die gesamte Führungselite der Hugenotten wird ausgelöscht, nur Heinrich als Schwager des Königs und potentieller Thronerbe wird verschont. Das Gemetzel fordert allein in der ersten Nacht etwa 2000 Tote, über 10.000 sollen es insgesamt in Paris sein, an den folgenden Tagen geht es auch in der Provinz weiter, wo man die Zahl der Opfer auf 30.000 schätzt. Wahllos werden Frauen, Kinder, wehrlose Flüchtlinge massakriert, der Pöbel gerät in einen Blutrausch. Der Graf von Coconas etwa verspricht dreißig Hugenotten Schonung, wenn sie ihrer Religion abschwören, um sie nach ihrem Widerruf mit kleinen Dolchstichen ganz langsam zu Tode zu foltern.

Am 26. August übernimmt der König die Verantwortung für die Morde, Papst Gregor XIII. lässt zum Dank ein Tedeum singen und eine Gedenkmünze prägen. Am 11. September wird im Vatikan der Ermordung Colignys und des Sieges der christlichen über die türkische Flotte bei Lepanto im Jahr zuvor in einer großen Feier gedacht, und noch heute geht man in der Sala Regia des Apostolischen Palastes an einem Triptychon von Vasari vorbei, noch 1572 vom Papst in Auftrag gegeben, das die Bartholomäusnacht verherrlicht. In diesem Saal finden die Andachten vor jedem Konklave und die Neujahrsempfänge des Papstes statt, sein Bildprogramm repräsentiert mithin in besonderer Weise das Selbstverständnis der Papstkirche.

In Frankreich folgen nun weitere fünf Hugenottenkriege, blutiger als die vorangegangenen, bis ihnen Heinrich von Navarra, mittlerweile zum Katholizismus konvertiert und als Heinrich IV. seit 1589 auch König von Frankreich, 1598 durch das Edikt von Nantes ein Ende bereitet, das zwar den Katholizismus zur Staatsreligion erklärt, den Protestanten aber feste Sicherheitsplätze gewährt. Heinrich hat seine Konversion rein politisch begründet (Paris vaut une messe – Paris ist eine Messe wert); persönlich war er wohl Skeptiker, und solcherart Skeptizismus hat eine entscheidende Richtung des französischen Geistes in den folgenden Jahrhunderten geprägt: Von Montaigne bis zu den großen Moralisten wie La Rochefoucauld findet sich eine individualistische, rationale Weltklugheit, in der die Religion nur als gegebene soziale Größe eine Rolle spielt – auch der Protestant Pierre Bayle gehört wohl in diese Reihe. Joseph Chambon, der Historiker des französischen Protestantismus, hat es so ausgedrückt: „Das rationale Denken des Franzosen emanzipiert sich von den metaphysischen Gesichtspunkten und Bindungen des christlichen Glaubens, dessen Vertreter in beiden Parteien der Religionskriege an ihren Idealen jammervollen Verrat üben. Der Typus des religionslosen vernünftigen Lebenskünstlers tritt in Erscheinung.“ So ist denn die französische Aufklärung – anders als die deutsche – mehrheitlich antikirchlich und teilweise schroff materialistisch und antireligiös.

Die Nachfahren Heinrichs IV. regieren heute noch in Spanien; Gaspard de Colignys Tochter Luise heiratete Wilhelm von Oranien; ihre Nachfahren tragen beziehungsweise trugen die Kronen der Niederlande und Preußens. Die Bartholomäusnacht wie das Königtum Heinrichs IV. haben sich tief eingegraben in das französische Nationalbewusstsein. Für Deutschland hat Heinrich Mann in seinem Henri Quatre (1935–1938) die Gestalt Heinrichs zu einem Bild ideologiefreier und lebensbejahender Humanität stilisiert, die in einer Zeit moralisch und ideologisch aufgeheizter politischer Stimmungen genauso aktuell ist wie zu ihrer Entstehungszeit.