25. Jahrgang | Nummer 14 | 4. Juli 2022

Theaterberlin

von Reinhard Wengierek

Diesmal: „Der Krieg mit den Molchen“ – Schaubühne / „Gmilfs“ – Berliner Kabarett Anstalt / Ottfried Laur – Eine Bühnenlegende wurde 80.

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Schaubühne: Molche gegen Menschen

Kapitän Van Toch und die Besatzung seines Kolonialschiffs entdecken in Äquatornähe im flachen Küstenwasser eine bislang unbekannte Gattung von Molchen. Ihre alle Welt überraschende Besonderheit: Es sind höchst intelligente Tierchen. Sofort beginnt der auf Gewinn erpichte Käpt’n ein Geschäft: Er liefert den Amphibien Waffen gegen Haie, die sie gefährlich beißen. Dafür bekommt er von den Wassertieren die bei ihren Beutezügen anfallenden Muscheln – wegen der kostbaren Perlen. Vor allem für die Kolonialisten ein komfortables Tauschgeschäft, das rasch üppig Reichtum bringt.

Prompt gründet Van Toch eine Handelsgesellschaft, die sich alsbald nicht mehr auf Perlenschmuck beschränkt. Inzwischen sind nämlich die gelehrigen Viecher als Dienstleister für Europäer gefragt und werden so rücksichtslos wie gewinnträchtig ausgebeutet. Sie sollen vor allem nutzbringende Landmassen vergrößern, indem sie auf Kosten der Meere Küsten aufschütten und Inseln anlegen, mithin Natur zerstören. Was dem schlauen Getier freilich nicht passt; verkleinerten sie auf diese Art doch selbst ihren wässrigen Lebensraum. Und so schwimmen sie sich gewaltsam frei von der brutalen Menschen-Diktatur – es kommt zum Krieg, zum unaufhaltsamen Aufstieg der Molche zur Weltherrschaft. Und die Menschheit säuft ab.

Karel Čapeks Roman „Der Krieg mit den Molchen“ von 1936 gilt als irrwitzige Parabel vom Aufstieg des Faschismus in Europa. Und zugleich als Warnung vor einer Moderne mit ihrem Fetisch radikale Vernunft, die einerseits einem zunehmend besseren Leben dienen, anderseits unendlich wachsenden Gewinn versprechen soll. Aber letzten Endes werkelt sie an der Menschen Untergang. So gesehen stehen nicht allein die beängstigend intelligenten Amphibien, sondern auch Van Toch nebst gesamter Menschheit für das Destruktive, das zur Auslöschung führt.

Toller Stoff aus der historischen Bibliothek. Aber auch aus der Gegenwart, die einer wohl immer schlimmer werdenden Zukunft zustrebt.

Soeren Voima, ein Dramaturg unter eitel Pseudonym, der in hiesiger Theaterwelt zu Recht berühmt ist als Bearbeiter, Neutexter oder Überschreiber vorhandener, phantasievoll ins Jetzt gejagter Texte, Voima hat also die Čapek-Dystopie umgeformt. Hat sie aufgeschäumt mit Witz, Sprachkraft und natürlich Themen von Klimawandel, Kolonialismus, Profitgier bis hin zu Globalisierung und (für feine Ohren) sogar Russen-Krieg.

Regisseurin Clara Weyde inszenierte das Ganze nicht etwa dröge agitatorisch, sondern lustvoll komödiantisch-klamaukig (und ein bisschen allzu breit) als bissige Satire; verstärkt durch schmissige Musikeinlagen von Thomas Leboug. Man erfreut sich am Polit-Entertainment der Molche – und natürlich an dem amphibisch wie menschlich artistisch agierenden, von Clemens Leander witzig kostümierten Ensemble (Holger Bülow, Doga Gürer, Thomas Leboeg, Bastian Reiber, Alina Vimbai Strähler). Als Feuchtgebiet dient ein Riesenbassin, von Bühnenbildnerin Bettina Pommer gefüllt mit lustig springenden Gummibällchen. Das Publikum ist begeistert. Wie schön; ist doch andernorts im Hochleistungs-Schauspielbetrieb wenig Anlass für pfiffig gemachte Unterhaltung.

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BKA-Theater: Frauenpower in der Seniorinnen-WG

„Golden Gmilfs“? – Nie gehört! Was mag das sein, etwa eine goldige neue Hündchenzucht? Natürlich nicht, obgleich derartiges prima passen würde in die Anstalt für Spezies unverschämten Entertainments, die auch diesmal nicht enttäuscht. Denn auf der BKA-Brettl-Bühne toben die Parodisten und Parodistinnen des TV-Serienklassikers „The Golden Girls“. Und „Gmilfs“ setzt sich, kleines Verwirrspiel, zusammen aus Initialen der kalkuliert überdrehten Mitwirkenden, die sich verstecken hinter den abenteuerlichen Pseudonymen Destiny Drescher, Jurassica Parka, Margot Schlönzke, Milli, Miss PanAm DragAirlines, Ryan Stecken und Tom Bola.

Die Truppe belässt es im Dunkel, wer von denen Regie, Text, Choreographie, Bühnenbild, Kostüm und Video macht – wahrscheinlich in heller Aufregung irgendwie alle zusammen in dieser, dem US-Original auf ganz eigene Art nicht wirklich nachstehenden Playback-Sitcom-Dancing-Show „The Golden Gmilfs“.

Die sieben Staffeln mit insgesamt 180 Episoden – sie alle wurden Kult! – aus dem turbulent kleinbürgerlichen, von komisch-grotesken, auch bitteren, ja tragischen Konflikten durchzogenen Lebensalltag einer taffen, schlagfertigen, lebensmutigen US-amerikanischen Seniorinnen-WG „The Golden Girls“ ging zwischen 1987 und 1992 in Produktion. Anfang der 1990er Jahre kam die Chose, grandios synchronisiert, ins deutsche Fernsehen. Neuerdings gibt es diverse Theater-Adaptionen, beispielsweise in Wien. Und jetzt also im BKA.

Dass die Sache aus Miami gut ins queere Milieu gerade in Berlin passt, liegt von vornherein auf der manikürten Hand. Dass man diverse Bruchstücke aus dem üppigen Fundus der Episoden per Playback aus den Lautsprecherboxen (erstaunlich lippensynchron) nachspielt, ist ein kluger Schachzug; die Akteure wären ansonsten überfordert.

Immerhin wird zwischendurch reichlich getanzt nach den Ohrwurm-Hits aus alten Zeiten. Und weil die Szenen nicht nur im hübsch plüschigen Heim, sondern auch im Aerobic-Salon spielen, darf man Schönheits-Irrsinn, Mode-Wahnsinn sowie diverse Altersbeschwerden sarkastisch aufs Korn nehmen – Rose, Dorothy, Blanche und Sophie sind schließlich mehr oder weniger straffe, weniger bewegliche Seniorinnen.

Obendrein wird die weniger nostalgisch als vielmehr überraschend heutig über die Rampe rasende Show durchsetzt mit albernen Videos vom Künstlerinnen-Knatsch aus dem Backstage-Bereich. Denn hier ist alles und überall Camp, Trash, Augenzwinkern. Mit allerhand fein oder grob eingestreuten Wahrheits- und Weisheitspillen.

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Happy Birthday Otfried Laur

Ein Urberliner, geboren 1942, Vater Kammermusiker, Großvater Trompeter der Philharmoniker. Nach der Realschule die Höhere Wirtschaftsschule Steglitz, danach Bankkaufmann der Berliner Disconto. Daneben unentwegt aktiv im Berliner Kulturleben; schon während der Schulzeit als sogenannter Vertrauensschüler der Initiative „Theater der Schulen“ (auch damals schon kümmerte man sich um den Publikumsnachwuchs). Otfried organisierte nicht nur den Kartenvertrieb für Schulen, sondern vereinbarte auch Schülervorstellungen etwa im Schiller Theater mit dem damaligen Intendanten Boleslaw Barlog. Später übernahm er den Kartenvertrieb für den Christlichen Gewerkschaftsbund in Berlin.

In der Bank freilich hielt es Laur nicht lange. 1967 gründete er mit Zustimmung seiner das Jahr zuvor geheirateten Jugendliebe Renate, die den Lebensunterhalt beim Postscheckamt verdienen musste, den Berliner Theaterclub e.V. Er wurde ein sensationelles Erfolgsmodell, erreichte in der Spitze bis zu 50.000 Mitglieder.

Auf Wunsch des Senats betreute O.L. auch Jugendgruppen, die während der Mauerzeit subventioniert nach Westberlin reisten, mit Theaterkarten. Der Superservice (mit aufwändiger Logistik) seinerzeit: Wenn die Gruppen in den zahlreichen, in der Stadt weit verstreuten Jugendgästehäusern anreisten, lag schon die Laur-Tüte mit den Tickets in der Unterkunft parat.

Besonders heftig nachgefragt war das Musikkabarett „Insterburg & Co.“. Deshalb bat Ottfried Laur 1973 den Karl Dall um eine Zusammenarbeit – gleich im ersten Jahr wurden 23 Vorstellungen vereinbart – alle ausverkauft. Und: Die „Theater- und Konzertdirektion Otfried Laur“ war geboren. Sie wurde zu einem Markenzeichen und O.L. zur Kultfigur im populären Westberliner Veranstaltungswesen; jährlich waren es mehr als dreihundert Programme (einschließlich Tourneen) mit Klassik, Ballett, Folklore, Jazz, Schlager, Musicalshow, Operette oder Volksmusik. 2014 hat sich Laur aus dem Veranstaltungswesen verabschiedet; freilich nicht ohne zuvor für einen Nachfolger zu sorgen – wie auch zuvor, als es um die Fortführung des Theaterclubs durch eine verjüngte Leitung ging.

Nach dem Mauerfall erweiterte Laur den Wirkungskreis von Club und Agentur selbstverständlich ins Brandenburgische; auch kämpfte O.L. vehement gegen die Privatisierung des DDR-Operettenhauses Metropol Theater in der Friedrichstraße und engagierte sich für den Erhalt des historischen Standorts der beiden Theaterhäuser am Kurfürstendamm.

Am 1. Juli feierte der so bewundernswert emsige, großzügige, dabei äußerst geschäftstüchtige Kunst- und Künstlerfreund Otfried Laur seinen Achtzigsten bei einem Italiener am Pichelssee. Mit zünftiger Show (er kennt sie ja alle, die alten wie die neuen Stars und Sternchen) und mit ordentlich Feuerwerk. Klar, er lässt es krachen.